4. Kapitel

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Ich liege wach. Seit drei Stunden. Wenn ich genau wüsste, warum meine Gedanken so sehr umher wirbeln, dass es mir meine Stunden klaut, in denen ich schlafen könnte, würde ich etwas dagegen tun.

Was soll das?!

'Ich hab dich auf Instagram gesucht. Hab nichts gefunden.' 'Das ist ja auch mein Ziel.'

Ich lüge nicht. Aber trotzdem kommt nur Dreck aus meinem Mund, sobald ich ihn öffne.

Ich weiß, was er eigentlich sagen wollte.

Du bist ein niemand.

und das stimmt.s

Obwohl ich in den Pausen und auch in meiner "Freizeit" mit zwei anderen Jungs abhänge, hab ich keine Freunde.

sofern meine Vorstellung von Freundschaft nicht völlig falsch ist, interessieren sich diese Menschen für alles, was man so tut, was passiert, helfen dir, Probleme zu lösen.

Wir trinken unsere Sorgen weg. Ein Weg sie in den Hintergrund zu schieben und zu vergessen und sich nicht darum zu kümmern.

Ich habe keine Freunde.

Niemand, der sich um mich kümmert, wenn es mir dreckig geht. Warum tut diese Erkenntnis nur so weh? Ich meine, ich lasse nie jemanden auch nur in die Nähe meines Herzens. Ist doch nicht verwunderlich, dass sich niemand für mich interessiert. 

Ich bin weder nett noch freundlich. Nicht geduldig und mich macht alles wütend, was mir nicht in den Kram passt. Klingt doch nach einem tollen, herzensguten Menschen, oder?

*

"Cole! Mach endlich diese Wecker aus!" 

Seit zwei Minuten liege ich im Bett und lausche auf die zwei Melodien, die absolut nicht zusammenpassen und unregelmäßig erklingen. 

Meine Mutter wird halb wahnsinnig. noch ist sie nicht reingekommen, aber sie so zu nerven, macht irgendwie Spaß. Ich kann mir ein kleines Grinsen nicht verkneifen.

Ich höre Moms Schritte, ihr genervtes Gesicht huscht an mir vorbei. sie macht die Wecker aus und kommt und mir ans Bett.

"Du siehst schrecklich aus", jetzt erinnere ich mich wieder, woher ich diese abstoßende Ehrlichkeit habe.

Ich drehe ihr den Rücken zu und vergrabe mich mehr in meiner Decke.

"Ich seh immer so aus"

Sie seufzt leise. Ich spüre ihre Hände sanft auf meinem Rücken. 

"Lass mich in Ruhe. Musst du nicht langsam mal zur Arbeit gehen?" Ich versuche erst gar nicht, meine Wut gegen sie zu verstecken. Hat sie sich aus heiterem Himmel wieder daran erinnert, dass sie ein Kind hat? Wenn das ihre Art ist, jemanden zu lieben, will ich gar nicht erst wissen, wie sie jemanden behandelt, den sie hasst.

Jedes Mal, wenn wir am Tisch sitzen, bekomme ich diesen Blick, der mich fragt, warum ich bei ihr geblieben bin, obwohl es mir angeboten wurde, nach der Scheidung bei Das und meinem Halbbruder Declan zu wohnen. aber ich habe Mom nicht alleine lassen wollen. Dad hat es verstanden, als ich es ihm ängstlich gebeichtet habe. 

Ich habe diese Entscheidung jeden Tag mehr bereut und weiß bis heute nicht, warum ich ihr nie gesagt habe, dass ich lieber bei Dad wäre. Mittlerweile ist es mir egal, wo ich bin; Mom ist sowieso nie da, sie stellt mich auf mich selbst und hofft wahrscheinlich auch noch, dass das als Erziehung gilt.

"Ich hab mir heute freigenommen"

"Cool, warum schläfst du dann nicht aus und lässt mich einfach in Frieden?"

"Cole, du musst zur Schule, es ist chon halb sieben."

Mein Bus kommt erst in zwanzig Minuten, ich hab noch genug Zeit.

"Und? Sonst bist du doch auch schon weg, bevor ich aufstehe. Woher willst du überhaupt wissen, dass ich da noch hingehe? Vielleicht war ich da ja schon lange nicht mehr. Ich bin bei den Lehrern genauso unsichtbar wie bei dir"

"Du bist nicht unsichtbar, Cole. Ich seh dich doch"

Ich drehe mich zu ihr um und blicke ihr fest in die Augen.

"Du kennst mich nicht. Null. Du weißt weder, was ich in meiner Freizeit mache, noch wie ich mich in der Schule durchkämpfe. Du kennst meine Freunde nicht und interessierst dich auch nicht dafür, wie es mir geht und wo ich nachts herkomme. Du siehst mich? Wo denn? Wenn du morgens aufstehst, guckst, ob ich überhaupt noch da bin, dann für den ganzen Tag arbeiten gehst und keine Ahnung hat, was ich tue? Wenn wir einmal in zwie Wochen zusammen essen und du so tust als würde ich nicht existieren? Stimmt du hats recht. Du siehst mich. Viel mehr als jeder andere."

Ich habe genau das erreicht, was ich wollte. Moms Gesicht verliert jegliche Farbe, je länger ich rede. Sie weicht zurück und kann mir plötzlich nicht mehr in die Augen sehen.

"Soll ich dir eines meiner Probleme schenken, weil ich nett bin?" 

ich warte nicht, bis sie antwortet.

"Ich bin einsam, Mom, weil es niemanden gibt, mit dme ich reden kann, bin ich aggressiv und habe keine Kontrolle über mich. Oh, tut mir leid, dass waren zwei."

Sie geht. Ich höre, wie sie die Tür leise hinter sich schließt. 

Ehrlich, ich habe ihr das alles nie gesagt, weil ich vor allem gehofft habe, dass sie von selbst etwas merkt. Dass sie merkt, dass ich eine Familie brauche. Vielleicht denkt sie jetzt nach, merkt, dass sie mir helfen kann, mich kennenlernen will.

Aber irgenwie weiß ich jetzt schon, dass sie genauso sein wird, wie vorher, wenn ich später nach Hause komme.

Ich bleibe so lange im Bett, wie es geht und als es so spät wird, dass mein Bus in unter zehn Minuten kommt, raffe ich mich auf, ziehe mich an und verschwinde ohne ein weiteres Wort ausdem Haus

*

Die Menschen in der Schule nerven mich. Nicht nur, weil viele der Gesichter, die ich täglich sehe, lächeln, lachen oder viel entspannter wirken, als ich es mir bei mir selbst vorstellen könnte. Bei mir gibt es so was nicht. Permanent muss ich alles im Blick habenm so gut es geht wissen, was um mich herum geschieht.

Heute ist eher einer dieser Tage, an denen es mir unheimlich auf die Nerve geht, dass diese Menschen nicht eine Sekunde ruhig sein können. Immerzu reden und reden und reden sie. Wen interessiert das alles? Das merkt sich da eh niemand, was da pro Stunde an tausend worten gelabert wird. Nicht zum ersten Mal wünsche ich mir, dass sie sich einmal ein Beispiel an mir nehmen.

Ich bin still, aufmerksam- zumindest meistens- rede nicht viel bis gar nicht, kümmere mich um mein Leben und mische mich nirgends ein. Was ist da so schwer dran?

Ich gehe allen aus den Weg, so gut es geht. Die Frage, was passiert, wenn ich nach Hause komme, macht mich unruhig und nervös. Ich habe einmal im meinem Leben Glück. Ich habe nach der Mittagspause eine Doppelstunde frei und muss danach nur noch ein Fach ertragen.

 Der einzige Ort, an dem mich niemand nervt, weil so gut wie nie jemand, außer diese Nerds, die immer lernen. Mich sucht niemand und hier findet mich auch keine Seele. 

Die Bibliothek.

In der Ecke stehen versteckt ein paar Sessel. Ich lasse mich auf einen von ihnen sinken, hole meine Kopfhörer raus und beame mich weg. Meine Augen schließen sich schon automatisch, als ich die Musik lauter drehe und ich absolut kein Geräusch mehr um mich herum wahrnehme.

The Distance between usWo Geschichten leben. Entdecke jetzt