reckless

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„Sag mal, Dad. Hast du eigentlich nie Angst vorm Tod?", erwischte Jay die Frage eiskalt, als er mit Maddy nur eine Woche später im Auto saß. Mittlerweile ging es der 14 Jährigen besser.

An diesem Tag waren sie auf dem Weg zu Halsteads Therapeutin. Maddy sollte ihn zu einer Therapiesitzung begleiten. Hailey würde sie später abholen, damit er danach noch zu seinem Termin beim Armyarzt fahren konnte.

Jay, der an einer Ampelkreuzung zum stehen gekommen war, sah seine Tochter verdutzt an.

„Natürlich habe ich manchmal Angst. Ich bin genauso sterblich, wie alle anderen Menschen auch. Obwohl ich mir um die, die ich liebe, die größten Sorgen mache", schüttelte er dann verdutzt mit dem Kopf und sah seine Tochter mit nach oben gezogenen Augenbrauen an.

„Aber wie zur Hölle kommst du jetzt darauf?"
Unschuldig zuckte Maddy mit den Schultern.

„Einfach so", war sie sich sicher, ehe sie ihren Blick nach draußen auf die schneeweißen Straßen fallen ließ. Mittlerweile hatten sie den Monat Dezember erreicht. Zum ersten Mal dieses Jahres hatte es in Chicago zu schneien begonnen.

„Es ist doch auch normal Angst zu haben. Wobei mir die Endlichkeit meiner Zeit auf der Erde keine Panik macht. Ich weiß ja auch nicht, was vor meiner Geburt war. Viel größere Bedenken habe ich vor meiner letzten Zeit vor dem Tod. Dass es auch schmerzfrei ist und sich nicht zu lange hinzieht."

„Da sagst du was", sah Maddyson ihren Dad mit einem Kloß im Hals an. Jay, der sich ein bisschen vor sich selbst erschrocken hatte, sah an der nächsten Ampelkreuzung besorgt zur Seite, blickte seine Tochter eindringlich an.

„Darüber sollten wir aber nicht im Auto und im Stau philosophieren."
Maddy überhörte den Kommentar bewusst, offenbarte jetzt einen anderen Gedankengang.

„Aber was ist, wenn man dann alles verliert? Wenn man stirbt, dann ist alles weg. Nicht nur das was man erreicht hat, sondern alles was man hatte. Eltern, Familie. Das finde ich daran ehrlich gesagt am schlimmsten."
Jay seufzte schwer, sah sie ergriffen an.

Eigentlich wollte er solche Gespräche nicht mit ihr führen. Jetzt schon gar nicht, aber manchmal ließ sich das Timing eben nicht vermeiden.

Weil er noch etwas Zeit bis zur Therapiestunde hatte, fuhr er kurz in eine Seitenstraße, die zum Chicago River führte. Er hielt vor einer alten Werkhalle, stellte das Fahrzeug ab und sah Maddy bewegt an.

„Ich weiß, dass du dir darüber Gedanken machst. Dass du Angst hast. Und ich bin kein Seelenklempner oder Therapeut und vermutlich ist das auch normal, aber keiner von uns kann in die Zukunft sehen. Das habe ich dir damals schon in Nordwisconsin gesagt und..."

„Ich will meine Eltern aber nicht verlieren. Nie."

Jay atmete schwer, dann hielt er Maddy seine Hand entgegen, die sie ergriff.
Leise begann Maddy ihre Bedenken weiter auszuführen.

„Mir ist klar, dass ich sterblich bin, aber bisher war mir der Tod noch nie so nahe. Im Krankenhaus hatte ich manchmal das Gefühl, als ob er mir ständig im Nacken sitzt. Und als du in die Ukraine gegangen bist, da konnte ich ihn manchmal auch genau spüren. Obwohl das jetzt merkwürdig klingt. Ich finde die Vorstellung, dass man einfach nicht mehr da ist, total grauenhaft."

„Ja, weil es das ist, was uns Menschen ausmacht. Dass uns die eigene Sterblichkeit bewusst ist. Dass ist das, was uns von Tieren unterscheidet."

„Wie hast du gelernt, damit zu leben? Ich meine, mit deinem Job? Ein Kind zu haben und jeden Tag diesem Risiko einzugehen?"

„Tja, willkommen in meinem Leben", versuchte Jay den Ernst der Lage zu überspielen, antwortete dann aber dennoch auf ihre Frage.

„Man versucht das zu verdrängen. Sonst könnten Mom und ich gar nicht arbeiten. Aber zu der anderen Sache...."
Er machte eine lange Pause.

„Maddy, ich verstehe, dass du darüber nachdenkst. Vielleicht ist das auch Teil der Krankheitsbewältigung, aber lass das nicht zu sehr dein Leben bestimmen. Man kann damit auch richtig depressiv werden. Wie ich dir schon gesagt habe, verbaut man sich sonst viele schöne Momente. Das ist wie bei diesem Typ, der immer in die Pfützen geschaut hat und sich dabei so faszinierend fand, dass er keinen Sinn für alles andere hatte."
Maddy musste herzhaft lachen.

„Papa, du und deine Beispiele. Das heißt der Spiegel des Narziss und entstammt der griechischen Sagen- Mythologie."

„Wow, wieder eine Bildungslücke geschlossen. Ich bin begeistert."

„Deine Tochter ist eben schlauer als du. Trotz Homeschooling."
Jay lachte.

„Genau das war ja auch der Plan."

„Wie?"
Verdutzt sah ihn Maddy an.

„Weil man für seine Kinder immer das Beste will. Deshalb wollen wir dich später ja auch aufs College schicken. Meine Eltern hätten vieles davon nicht möglich machen können, was Mom und ich ermöglicht haben."
Maddy schwieg. Sie sah ihren Vater nur an, grinste dann.

„Ich hab dich lieb", sagte sie plötzlich leise. Jay, der nachdenklich nach draußen geschaut hatte, nickte ihr zu.

„Ich dich auch. Immer. Egal was du anstellst."

Jay wollte bereits den Motor starten, als sie sich abschnallte und ganz plötzlich in seine Arme kroch.
Überrascht sah er sie an.

„Whooow, was ist das jetzt?", fragte er leise, während er merkte, dass sie leise zu weinen begonnen hatte. Erschrocken verstärkte er seinen Griff, sagte aber nichts. Stattdessen fuhr er ihr gleichbleibend über den Hinterkopf.
Vielleicht auch, weil es nichts zu sagen gab.

„Halt mich einfach fest", wisperte Maddy leise, ehe sie etwas vielsagendes hinzufügte.

„Das war so eine scheiß Zeit ohne dich", hörte Jay sie sagen. Es tat ihm weh sie so zu sehen. Und doch war ihm klar, dass es das war, war sie gebraucht hatte. Die Tränen mussten raus, weil sich sonst der gesamte Balast anstaute...

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Nur eine halbe Stunde war wieder business as usual. Maddy hatte kein Sterbenswörtchen über den Vorfall verloren. Auch nicht als sie ihren Vater am heutigen Tag zur Psychotherapie begleitete.

Die heutige Sitzung bestand ohnehin daraus die Zeit der Krankheitsnachricht zu bearbeiten. Eigentlich hätte die 14 Jährige die Therapie viel nötiger gehabt, aber sie hüllte sich bei vielen Dingen in Schweigen. Maddy wusste nicht woran es lag, aber auf eine gewisse Weise war ihr die Therapeutin unsympathisch. Sie fühlte sich ein wenig wie ein kleines Kind behandelt und zeitgleich schien die Zeit der Diagnose nicht mehr aktuell zu sein. In ihrem Kopf beschäftigten sie ganz andere Dinge. Jays potenzielle Einberufung zurück nach Europa oder das nächste MRT, das in wenigen Wochen anstand, waren gerade viel relevanter, als die Schockdiagnose des Tumors, die sie auf eine gewisse Art und Weise längst verarbeitet hatte.
Und dennoch machte sie gute Miene zu bösem Spiel. Auch Jay zu Liebe. Obwohl sie längst gespürt hatte, dass auch der nicht alles erzählte und bei den Emotionen, die sie aus ihm hervor kitzeln wollte, ziemlich verhalte geblieben war. Vielleicht, weil sie der Therapiesitzung an diesem Tag mit beiwohnte. Vielleicht aber auch, weil er in Wahrheit nur sein Gewissen beruhigen wollte und die Therapiestundennachweise für sein medizinisches Gutachten brauchte.

Maddy wusste es nicht und wenn sie ehrlich war, verschwendete sie auch keine weiteren Gedanken daran.
Nach 50 Minuten Theapiesitzung war der Spuk vorbei. Sie verblieben so, dass Maddy bei Bedarf noch einmal mitkommen konnte. Viel Redezeit hatte sie nicht gehabt. Auch wenn Jay die meisten Minuten für sein Gutachten benötigt hatte, dass er bei der Army einreichen wollte.

Vor dem Gebäude, in dem die Therapeutin ihre Praxis hatte, wartete bereits Hailey auf die zwei. Maddy verabschiedete sich von ihrem Vater, der gleich den Termin beim Arzt hatte. Dann trennten sich ihre Wege.

„War das Gespräch bei der Therapeutin gut?", wollte Upton wissen, aber Maddyson zuckte nur mit den Schultern.

„Mein Ding ist es nicht. Ich hab das nur wegen Dad gemacht", sagte sie leise und sah dann wieder aus dem Fenster.
Sie hielten ein wenig Small Talk. Maddy war dankbar, dass ihre Mutter den Gesprächsmittelpunkt auf ein anderes Thema legte, auf das sie locker mit einstimmte.

Sie hatten die Hälfte der Strecke bereits erreicht, als über Funk eine Meldung herein kam.

„Zwei Tote nach Schusswechsel an der Abbington Bridge."
Hailey rollte genervt mit den Augen.

„Was ist?"

„Das ist hier ganz in der Nähe."

„Ja, und?"

„Ich werde nicht den gleichen Fehler wie Dad machen und dich einer derart gefährlichen Situation aussetzen."

„Hat er damals ja gar nicht. Er hat den Wagen eine halbe Meile vorher an einem Supermarkt abgestellt", nahm sie ihren Vater in Schutz, aber Hailey schüttelte mit dem Kopf.

„Trotzdem. Das ist mir zu riskant. Wir machen das anders."

Letztendlich hielt Hailey in einer Seitenstraße, in der ein Streifenwagen parkte. Sie kannte Alex Miller und Tonya Simons von früher. Die zwei waren erfahrene Polizisten, daher hatte Hailey auch keine Hemmungen die zwei mit einer ungewöhnlichen Bitte zu konfrontieren.

Sie fragte, ob die zwei bereit wären, Maddy mit in die Wache zu nehmen. Auch Maddy kannte die zwei Cops vom sehen. Nicht überragend gut, aber sie hatte die Streifenpolizisten ab und an gegrüßt. Sie waren ihr des Öfteren bei Platt in der Zentrale begegnet.

Die Idee schien gut ausgeklügelt. Doch noch ahnte niemand, dass der anfänglich gute Tag schon bald eine abrupte Wendung nehmen sollte.

Maddy verabschiedete sich von Hailey und stieg zu Alex und Tonya in den Streifenwagen. Mittlerweile hatte sie aufgehört zu zählen, wie oft sie in einem Polizeiauto gesessen hatte. Als Kind war sie ganz vernarrt danach gewesen, aber mittlerweile war es fast zur Normalität geworden.

Sie fuhren den alt bekannten Weg zur Wache entlang. Vor ihnen lagen nur noch wenige Meilen an Weg, als Alex zum halten kam und spürbar langsamer wurde. Sie waren ganz in der Nähe des Rodgers Park.
„Was macht der da?", holte Tonya mittlerweile auch Maddy aus den Gedanken. Inmitten der Seitenstraße parkte ein SUV genau auf dem Mittelstandstreifen. Normalerweise durfte das der Fahrer gar nicht.

„Halt mal kurz. Das sehen wir uns genauer an", forderte die Polizistin, aber Alex sah skeptisch in den Rückspiegel.

„Wollen wir nicht den Kollegen Bescheid sagen und Mini-Halstead hier in der Wache abliefern", aber Tonya schüttelte mit dem Kopf.

„Lass mich das übernehmen. Du wartest hier im Wagen", gab sie ihrem Kollegen zu verstehen. Nichts schien danach auszusehen, dass der Fahrer des blauen parkenden Chevys eine böse Absicht haben würde.

„Sir, Sie parken auf dem Standstreifen", war Tonya ausgestiegen. Freundlich wollte sie den Mann darauf hinweisen, doch in diesem Moment begann bereits der Kugelhagel. Plötzlich trat ein braunhaariger Typ samt einem Komplizen aus der Seitenstraße und begann wie völlig geistesgestört mehrere Schüsse aus seiner Waffe abzufeuern. Tonya, die sofort getroffen wurde, brach noch auf der Straße zusammen. Instinktiv war Alex aus dem Fahrzeug gestiegen und versuchte ebenfalls zu schießen, um seine Kollegin aus der Schusslinie zu ziehen, doch es war längst zu spät.

Maddy, die sich hinter den Sitzen versteckte, sah geschockt dabei zu, wie die Schützen binnen weniger Sekunden beide Polizisten so schwer getroffen hatten, dass sie mitten auf der Straße bewegungslos liegen geblieben waren.

Zu ihrem Glück saß sie auf der Rückbank und war instinktiv nach unten hinter die Sitze gekrabbelt. Durch die bereits geöffnete Fahrertür schien niemand der Täter zu merken, wie sie leicht die Hintertür der Beifahrerseite öffnete. Am gesamten Körper zitternd krabbelte sie ganz leise nach draußen, sah im Augenwinkel, wie ihr die Männer den Rücken zugewandt hatten und über den leblos auf dem Bürgersteig verharrenden Polizisten knieten.

„Sind die tot?", fragte einer der Täter und fuchtelte mit seiner Pistole hin und her.

„Sieht ganz danach aus. Aber da war doch noch jemand im Wagen", hörte sie den größeren der Typen sagen und schickte Stoßgebete gen Himmel, während ihr Herz heftig gegen die Brust hämmerte.

„Quatsch, das hast du dir eingebildet. Los, geh zurück zu unserer Karre."

Und dann, gerade als sie sich zu ihrem Auto bewegten, nutzte Maddy den alles entscheidenden Moment und begann panisch los zu laufen. Ganz zu ihrem Leidwesen hatten das aber auch die Männer gemerkt, die nun wieder umdrehten und ebenfalls mehrere Schüsse in ihre Richtung abfeuerten.

Maddy spürte, wie ihr Arm zu brennen begann. Dennoch setzte sie die Flucht hemmungslos in Richtung des angrenzenden Waldstücks fort. Sie wusste, wenn sie jetzt anhalten würde, um eine Pause zu machen, würde das den sicheren Tod bedeuten.

Letztendlich war sie nicht sicher, wie lange sie gelaufen war, aber irgendwann schienen die Männer ihr nicht mehr gefolgt zu sein. Reflexartig griff sie an ihren Arm. Offenbar hatte eine der Kugeln ihren Oberarm knapp verfehlt, sodass es in einem Streifschuss geendet hatte. Die Zähne zusammen beißend öffnete sie ihre Jacke und sah auf die blutige Wunde. Es schien nicht sonderlich tief, aber sichtbar. Doch dafür blieb jetzt keine Zeit. Sie musste an ihr Iphone denken. Verflucht, warum hatte sie das Gerät in ihrer Tasche und nicht wie gewöhnlich in ihrer Jeans aufbewahrt? Doch für Vorhaltungen war es längst zu spät. Erfüllt von Todesangst kam sie völlig außer Atem zum halten. Ihre Lungen brannten wie Feuer. Panisch schaute sie sich in der nahestehenden Umgebung um und realisierte dann schmerzhaft, dass sie nicht mehr wusste, wo sie eigentlich war...

fighter (Chicago PD fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt