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05.03.2024, 17:05 Uhr, Dallas, Texas

Die Vibrationen ihres Handys schreckten Alina hoch. Sie hatte sich soeben nach Feierabend tief in ihre Couch sacken lassen und war kurz eingedöst. Sie starrte auf das Display. Chris?! Endlich! Ihr Puls beschleunigte sich. Sie drückte sich hastig das Gerät an Ohr. „Ja?"

„Um 18:00 Uhr hole ich Dich ab!" Seine Stimme klang blechern durch das Telefon. Und strahlte dadurch merklich weniger Autorität aus als in Wirklichkeit. Entschlossen wirkten seine Worte dennoch. „In Ordnung!" bestätigte Alina. Innerlich hüpfte sie vor Freude. „Bis dann!" Bevor sie darauf antworten konnte tutete es bereits. Einfach aufgelegt. Das plötzliche Ende dämpfte ihre Euphorie ein wenig und erinnerte sie an ihre emotionale Achterbahnfahrt der vergangenen Tage. Sie starrte auf die Uhr. Mehr als eine Stunde blieb ihr nicht. Das war knapp! Alina hetzte unter die Dusche und zog die Sachen an, die Chris ihr gekauft hatte. Dieses Mal dachte sie auch an die Unterwäsche.

Als sie gerade mit einem Anflug von Erregung in den kleinen String schlüpfte, meldete sich ihr Kopf mahnend zurück. Er erinnerte sie an die wirren Überlegungen, die sie während der letzten Tage ohne Chris immer wieder angestellt hatte.

Sollte sie ihn heute auf ihrem Date nun befriedigen - wie er es verlangt hatte - oder nicht? Ihre Antworten darauf oszillierten noch immer zwischen den Extremen. Es war jedes Mal das gleiche: Je mehr sie über Chris Forderung nachdachte, desto ungeheuerlicher kam sie Alina vor. Bis sie sich schon sicher wähnte, es auf keinen Fall zu tun. Doch dann keimte wieder dieses Gefühl in ihr auf. Chris war anders! Für ihn galten ihre Überlegungen nicht. Die Forderung an sich war vielleicht unverschämt - aber er selbst war es nicht. Er war gut! Oder war er es doch nicht? Immerhin hatte er sie geschlagen! Und dann gab es da noch die Momente, in denen Alina im Bett lag. Die glitschigen Finger zwischen ihren Schenkeln kannten nur noch einen Film - Chris der sie versohlte und anschließend berührte! Auch jetzt kämpften die ungleichen Argumente in Alinas Kopf um die Oberhand. Sie hatte quälend lang auf Chris Anruf gewartet - und war nun irgendwie doch nicht bereit.

Als Chris vorfuhr eilte Alina aus ihrer Wohnung. Sie wollte in ihrem Outfit nicht zu lange am Straßenrand stehen. So alleine – ohne Chris an ihrer Seite und in ihrer eigenen Nachbarschaft bescherte ihr das doch noch Unbehagen. Wie immer stieg Chris aus, begrüßte sie mit Küsschen rechts und links und half ihr beim einsteigen in seinen Mercedes.

„Waren die letzten Tage sehr stressig?" fragte Alina liebevoll als sie bereits fuhren. Es ging in Richtung Hopewell. „Sie waren nicht unüblich. Ich habe meistens viel zu tun!" antwortete Chris ausweichend. Alina schluckte und hakte nicht weiter nach. An tagelanges Warten würde sie sich wohl gewöhnen müssen.

Genau das hatte Alina die vergangenen Tage beinahe wahnsinnig gemacht. Zwischen Hoffen und Bangen gefangen, gequält von ihrer Sehnsucht nach Chris. Sie empfand wieder diese Hilflosigkeit von der sie zu fliehen versuchte, seit sie denken konnte! Chris hatte dieses Gefühl zurück in ihr Leben gebracht. Und damit ernste Zweifel gesät, ob sie das mit ihm wirklich weiterführen konnte - und wollte.

Kurz nachdem Sie Hopewell erreicht hatten, bog Chris bereits ab. Wie in Zeitlupe beförderte er das Auto behutsam auf den kleinen Schotterparkplatz. Der aufgewirbelte Staub vom musste ihn sicher nerven – penibel wie er seinen Mercedes stets pflegte. Besucher von Feinschnitt stand auf kleinen Nummernschildern geschrieben, die am Ende der Parkplätze im Boden steckten.

Alina schnaufte noch einmal durch. Ein Friseur also! Es hätte wesentlich schlimmer kommen können. Chris blieb seinen Mustern treu. Allmählich begann sie, sich ein wenig an diese Termine zu gewöhnen. Gleichzeitig störte sie sich immer stärker daran, je mehr sie darüber nachdachte. Warum konnte er sie nicht einfach so nehmen und akzeptieren, wie er sie vorgefunden hatte? Das verstand Alina nicht.

Auch der heutige Salon strotzte nur so vor Luxus und Annehmlichkeiten. Kein normal betuchter Mensch hätte sich in einem solchen Laden die Haare schneiden lassen. Chris musste es wirklich ziemlich dicke haben! Alina konnte sich nicht vorstellen, dass dies jemals ihre Welt werden könnte. Sie fühlte sich in dieser Umgebung noch immer fremd. Fremd und eingeschüchtert. Sie setzte sich trotz ihrer Bedenken. Der schwule Inhaber bediente Alina persönlich und begann direkt damit, ihr die Spitzen zu schneiden. Es folgte eine zeitaufwändige Coloration, die Alinas dunkelblondes Haar in hellstes Wasserstoffblond verwandelte. Alina blieb stumm. Sie konnte förmlich dabei zusehen, wie ein weiteres Stück ihrer alten Persönlichkeit vor ihren Augen verschwand.

Als Chris den Inhaber bezahlte war aus ihrer etwas langweilig anmutenden, tristen Frisur ein auffälliger, leicht gelockter Look entstanden. Der neue Haarschnitt gefiel Alina durchaus – das musste sie Chris lassen. Lediglich die Farbe erschien ihr eine Nuance zu hell. „Sehr schön..." sagte auch Chris als er sie auf dem Weg zurück zum Parkplatz musterte. Die hohen Schuhe schmerzten schon wieder an Alinas Füßen. Sie musste endlich mit ihm reden!

Schwarze KräheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt