Entscheidungen

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Eins stand fest. Ich liebte meine neue Wohnung. Bisher hatte ich nur in Studentenunterkünften oder WGs gelebt. Ein eigenes zu Hause zu haben, war ein kleiner Traum von mir gewesen. Leider Gottes, ist London unglaublich teuer, weshalb ich mit dem Großteil der Dekoration noch etwas warten muss, um sie bezahlen zu können. Willkommen im Leben einer Studentin.

Na gut, studieren tat ich nicht mehr, aber meine Lebensumstände waren immer noch die selben.

Ich machte mit 17 mein Abitur in Deutschland und bekam dann mein Stipendium für ein Medizinstudium in Cambridge. Keine paar Monate später war ich dort, schuftete wie ein Tier und konnte ein paar Jahre später mit Freuden mein Diplom entgegennehmen. Das ganze klingt wie ein Traum. War es aber ganz und gar nicht.

Ich war kein überdurchschnittlicher Schüler. Mein IQ befindet sich im Normalbereich und ich hatte weder ein fotographisches Gedächtnis, noch eine dieser akademischen Vorteile meiner Kommilitonen. Nein. Ich hatte schwerst geacktert um so weit zu kommen. Hatte meine ganze Kindheit und Jugend mit Lehrbüchern verbracht und die Ferien für Lernkurse genutzt. An einer Hand kann ich abzählen, wie oft ich mit Freunden etwas unternahm. Die kann ich übrigens auf die selbe Art zählen. Wenn jemand überhaupt etwas mit mir zu tun haben wollte.

Zugegeben, war mein Interesse für andere auch sehr einfach gestrickt, oder eher kaum vorhanden, aber jetzt zurückblickend glaubte ich, doch etwas verpasst zu haben. Aber bereute ich es? Nein, eigentlich nicht. Nur so, konnte ich so weit kommen.

Und aufhören konnte ich damit auch nicht. So saß ich in einer Weiterbildung für innovative Obduktionsmethoden. Doch mich so richtig zu konzentrieren fiel mir schwer. Ich konnte nämlich nicht aufhören an die zwei Bilder hinter dem Präsentator zu schauen. Sie waren auf unterschiedlichen Höhen und das machte mich wahnsinnig. Sobald Pause war, müsste ich sie richten, sonst würde ich nicht ein Wort aus diesem Kurs mitnehmen können.

Als es den endlich soweit war, und ich zielstrebig auf die Bilder zuging, war ich nicht schnell genug gewesen. Ein Lockenkopf mit grauen Mantel war schneller gewesen. Ich blinzelte einige Male. "Mr. Holmes", brachte ich heraus und blickte auf die Bilder. Jetzt waren sie perfekt. Und doch musste ich noch mal handanlegen. Jetzt war alles gut.

"Eine Zwangsstörung bekämpft man durchaus erfolgreich mit Expositionsübungen. Wenn Sie unter Behandlung stehen würden, dann wäre es zwar schwer für Sie gewesen, den Blick der Bilder auszuhalten, aber Sie hätten auch nichts daran geändert. Da sich hier aber das Gegenteil darspiegelt, kann ich davon ausgehen, dass Sie in keiner Therapie sind." Geschockt schaute ich ihn an. "Entschuldigen Sie mal! Das geht Sie nichts im geringsten an."

"Doch das tut es, denn durch Ihr ständiges gewackelt, durch ihre Nervosität kann ich mich nicht konzentrieren. Vieles war dieser Mann sagt, ist zwar absolut idiotisch, aber durchaus eine Bestätigung für meine Theorie, dass das Leben mit einem kleinen Gehirn einem solche Dinge glauben lässt." "Dann können Sie ja auch gehen." Mr. Holmes schaute mich an, als würde er diese Möglichkeit wirklich in betrachte ziehen.

"Sie sind Ende Zwanzig, kommen aus Deutschland, sind alleinstehend und legen sehr viel Wert auf ihre Bildung. Daraus resultierte auch ihr zwangsgesteuertes Verhalten. Am Obduktionstisch lagen die Geräte der Größe nach, in einer klaren Ordnung nebeneinander. Sie hassen es, wenn etwas nicht akkurat ist. Und trotzdem haben Sie eine Katze zu Hause, bestimmt, um diesen Handlungen entgegenzuspielen, aber das ist nebensächlich. Desweiteren behandeln Sie die Leiche in meinem Fall und könnten mir eine große Hilfe sein. Also nein, es ist viel zu interessant um zu gehen."

Hatte er mich etwa eben deduziert? Während des Studiums habe ich einige Zeit auch etwas Psychologie belegt und von dieser Methode gehört. Aber noch nie im Leben hatte ich so etwas erlebt. Nicht mal der Professor konnte das so gut, wie der Mann vor mir.

"Unglaublich.", murmelte ich und er schaute mich fragwürdig an. "Das war faszinierend. Wie machen Sie das?". Etwas klirtte ganz kurz durch seinen Kopf, denn er brauchte ein paar Sekunden, um zu antworten. "Ich sehe, analysiere und interpretiere." Viel Antwort war das jetzt nicht, aber genug, um zu verstehen, dass eher eine selbstverständliche Gabe als eine gelehrte Methode ist.

"In wie weit, kann ich den eine Hilfe in diesem Fall sein? Die Ursache ist geklärt und so weit ich weiß, gibt es auch schon Verdächtige." "Ja, aber keinen Schuldigen. Der Unterschied zwischen jemandem im Verdacht und jemanden, der die Tat begangen hat, kann großer sein als man denkt. Und ich wenn ich eins weiß, dann das Scotland Yard absolut unfähig ist und den falschen im Visier hat. Was ich aber zu meiner eigenen Unzufriedenheit feststellen muss ist, dass ich zwar ausschließen kann, aber den Täter nicht kenne. Und da kommen Sie ins Spiel. Es gab noch mehr ähnliche Morde, die alle in der Leichenhalle des Barts liegen. Bringen Sie mir die toxikologischen Ergebnisse ihres Blutes." Der war mir ja einer.

"Sie wollen also, dass ich in meinem brandneuen Job Akten klaue und sie zur einer unautorisierten Person bringe, nur damit dieser einer unglaublich dünnen Spur hinterherlaufen kann?" "Jap." Die Gelassenheit in seiner Stimme war merkwürdig. Als würde er das Problem nicht im geringsten verstehen können.

"Was springt für mich dabei raus?", fragte ich und schaute ihm in die Augen. Sie waren eher gräulich als blau und hatten einen ganz besonderen Glanz. Mehr noch. Ein Verlangen oder Sucht. Auch davon hatte mir Molly erzählt. Für Sherlock war das ganze eine Droge und er brauchte immer mehr davon, um sich damit befriedigen zu können.

"Gar nichts. Vielleicht die Tatsache, dass sie mir im Lösen des Falles helfen, aber davon abgesehen, eigentlich nichts."

Entscheidungen bestimmen den Weg unseres Lebens, meinte meine Großmutter immer. Wenn ich damals wusste, was ich heute weiß, dann würde ich ihr sagen, dass sie recht hatte. Mein Leben war nie wieder dasselbe nach dem ich nach seiner Hand griff und auf seine Bitte einging.

It's been a long time, Mr. HolmesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt