-Kapitel 3-

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Ihr war es ziemlich egal, dass es schon so dunkel war und so sprang sie in ihre Sportsachen, steckte sich die Kopfhörer ins Ohr und lief los.

Das Joggen und die Musik lenkte sie ab und machte ihren Kopf frei. Prompt lief sie in ein Fahrradfahrer hinein, der sie dann auch noch vollschnauzte.
"Sie könnten ja auch mal aufpassen", schrie sie ihm noch hinterher und lief dann weiter. Wie unfreundlich die Menschen heutzutage doch waren. Mina fragte sich immer wieder, warum sie eigentlich unbedingt auf das McCartney College wollte. Sie hatte schon oft gehört, dass es dort sehr viele Regeln gab und auch strenge Konsequenzen, wenn man sich daran nicht hielt, trotzdem wollte sie dort hin. Langsam wurde es immer dunkler und ihr Handy vibrierte in ihrer Jackentasche. Schnell machte sie die Kopfhörer ab und hielt ihr Handy ans Ohr.
"Ja?", fragte sie und wartete kurz auf die Antwort. Aufgebracht schrie ihre Mutter ins Telefon:
"Wo zum Teufel steckst du?"
"Ich bin joggen, komm aber gleich wieder nach Hause." Mina legte auf und dachte darüber nach, wie oft sie heute schon telefoniert hatte. Sie beeilte sich etwas, damit sie nicht allzu viel Ärger bekam.
"Ab sofort wirst du pünktlich um zweiundzwanzig Uhr zu Hause sein." Mina ihre Mutter war selten so aufgebracht gewesen und dabei war es erst mal zweiundzwanzig Uhr fünfzehn. Sie hörte ihre Geschwister aus dem Wohnzimmer und ging dort hinein. Ihre Geschwister hatten eigentlich beide ein eigenes Haus in der Nähe, verbrachten aber die meiste Zeit bei ihnen. Enrico, ihr Bruder, hatte eine Verlobte, die aber immer viel arbeitete und grade bei ihren Eltern in Deutschland war. Ihre Schwester April war eine Reporterin und schrieb den Sportteil in den Nachrichten. Somit war Mina auch immer auf dem neusten Stand über den Sport.
"Ich fahr dann mal noch schnell einkaufen", sagte ihr Bruder und ging. Vorher gab er Mina noch einen Kuss und lief aus der Tür. Wie immer hatte sie ein ungutes Gefühl im Magen und ignorierte es wieder. Man sollte sich wirklich fragen, warum der Supermarkt in Amerika rund um die Uhr offen hatte. Keine halbe Stunde später ertönte der schrille Ton der Hausklingel. Mina sprang von der Couch auf und öffnete die Tür.
"Hallo, Familie Payne?", fragte ein Polizist und Mina nickte. Sie öffnete die Tür ganz und so gingen die Polizisten in das Haus.
"Es tut uns leid, ihnen dies mitzuteilen, aber ihr Sohn ist bei einem Unfall verunglückt", erklärte nun der andere Polizist mit sanfter und trauriger Stimme. Mina starrte nur geradeaus und fühlte nichts als Leere. Sie hatte das Gefühl ein Stück ihres Herzens wurde herausgerissen und nun klaffte ein großes Loch darin, welches nie wieder gefüllt werden konnte. Eine Träne lief über ihre Wange und hinterließ einen brennenden Schmerz. Und schon wieder war sie Schuld, hätte sie ihren Bruder nur zurückgehalten und auf ihren Magen gehört, dann wäre er niemals gegangen und hätte niemals diesen Unfall gehabt. Es war alles ihre Schuld. Benommen zog sie ihre Jacke an und folgte ihrer Familie. Die Polizei wollte, dass sie sich das Opfer ansahen, um wirklich zu wissen, dass das ihr Bruder war.

Die blasse Haut, seine roten Lippen und die schürf Wunden in seinem Gesicht sahen furchtbar aus und leider war es doch ihr Bruder. Ihr Bruder Enrico Payne, der junge Mann, der grade dabei war eine Familie zu gründen und der so wunderbar war. Wie konnte das nur passieren und was würde seine Verlobte nur sagen? Amanda, wusste sie es überhaupt schon? So viele Fragen schwirrten Mina durch den Kopf und sie verließ die Autopsie, da sie es nicht mehr ertrug, den leblosen Körper ihres Bruders zusehen. Weinend setzte sie sich auf die Steintreppen vor dem Eingang und wartete auf ihre Familie. Immer wieder hörte sie die Stimme ihres Bruders und bildete sich ein, ihn auf der anderen Straßenseite zu sehen, wie er sie traurig an sah und die Worte:
"Ich liebe dich", mit den Lippen formte. Wieder überkam sie ein schweres und erdrückendes Gefühl und sie stand auf. Die Türen des großen Steingebäudes öffneten sich und Minas Schwester April viel ihr in die Arme. Sie weinte schrecklich und ihre Wangen glühten rot. Zusammen liefen sie zum Auto und stiegen ein. Nie wieder könnte Mina ganz ruhig und entspannt Auto fahren, dass wusste sie jetzt schon. Zuhause angekommen legte sie sich sofort ins Bett und versuchte zu schlafen. Immer wieder wachte sie auf und wenn sie dann mal einschlief, dann war ihr Schlaf sehr unruhig. Vielleicht lag es am Vollmond, der hell am Himmel leuchtete oder aber daran, dass sie ständig die Bilder von Enrico im Kopf hatte. Garantiert würde sie morgen im Unterricht einschlafen, wenn sie jetzt nicht ruhig schlafen konnte.

Verschlafen stand Mina auf und machte sich fertig. Sie wollte alles andere, nur nicht in die Schule. Nachdem sie sich einen Toast gemacht hatte, stieg sie in ihr Auto und fuhr zur Schule. Als sie ausstieg fiel Siller ihr sofort in die Arme.
"Du glaubst nicht, was ich grade gehört habe", sagte Siller stürmisch und fuhr einfach fort:
"Nate muss sein Auto weggeben, da er eine sechs in der Matheklausur bekommen hat." Mina interessierte es überhaupt gar nicht, was mit ihrem Ex-Freund und seinem Auto passierte.
"Was ist denn los mit dir?" Siller war besorgt. Ihre Freundin hatte ihr zwar öfters nicht zugehört, aber nie war sie mit den Gedanken so abwesend gewesen.
"Alles bestens", gab Mina von sich und lief weiter.
"Nur noch zweieinhalb Monate und dann sind wir auf dem College", sagte Siller freudig und ein Funken Hoffnung flammte in Mina auf. Auf dem College würde sich alles ändern, schließlich hatte sie dort einen Neuanfang. Sie würde wieder Fußball spielen und sogar mal ganz anders sein. Sie fragte sich immer noch, wie sie auf die Idee kam, sich als Junge auszugeben.

Zwei Monate war es jetzt her, dass Mina ihr Bruder verstorben war und jetzt machten sie sich auf den Weg zur Beerdigung. Siller wusste inzwischen auch schon bescheid und begleitete Mina als Unterstützung. Amanda, Enricos Verlobte wurde noch am selben Tag, wo er starb, angerufen. Sie machte sich sofort wieder auf den Weg nach Hause und blieb dann eine Weile bei Mina und ihrer Familie. Mina mochte es gar nicht auf Beerdigungen zu sein, aber wer mochte es schon, wenn ein Familienmitglied beerdigt wurde. Alle standen sie in ihren schwarzen Sachen um das große Loch herum, wo der Sarg hinein kam. Mina sah sich um und entdeckte fremde Gesichter, die sie noch nie zuvor gesehen hatte. Waren es Familienmitglieder? Freunde? Eigentlich war es ihr egal, da sie diese Leute eh nie wieder sehen würde und so sah sie traurig in das dunkle Loch und hatte grausame Bilder im Kopf. Sie sollte sich angewöhnen weniger Horrorfilme zu sehen, wo es um irgendwelche Kreaturen ging, die Leichen aßen und deren Knochen als irgendwelche Dinge benutzten. Schnell schüttelte sie den Kopf, um die Bilder aus den Gedanken zu bekommen.
"Alles gut?" Siller war in den letzten Wochen sehr darauf bedacht gewesen, was sie sagte und so erzählte sie nur belangloses Zeug. Mina nickte ihr als Bestätigung zu und sah wieder in das große, dunkel Loch.

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