Kapitel 5

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Schweigend liefen die beiden Männer durch das menschenleere, inzwischen in vollkommene Dunkelheit gehüllte Daisy Village. Einzig der Schein der am Abendhimmel tanzenden Sterne schenkte ihnen ein wenig Licht. „Ich kann einfach nicht glauben, dass sie alle tot sind.“ Aivens Stimme war wie aus dem Nichts gekommen und ließ Fayn für einige Sekunden zusammen zucken. „Das ist so verdammt ungerecht.“ Aiven blieb stehen. „Wer kommt auf den Gedanken, ein ganzes Dorf auszurotten?“ Fayn zuckte mit den Schultern. Er wusste es doch selbst nicht. „Ich meine, das muss man erstmal hinbekommen. Ich denke, ich könnte niemanden einfach so niedermetzeln. Da gehört schon eine gewisse Kälte dazu.“ Während Aiven so sprach, trat der Mond hinter den Wolken hervor und bald schon hatte Fayn das Gefühl, buchstäblich in einem silberweißen Ozean zu ertrinken. „Komm.“ Aiven winkte ihn mit glitzernden Augen weiter. Fayn runzelte die Stirn. Weinte er etwa? „Ich...“ Mitten im Satz verstummte Fayn. Keine zehn Schritte entfernt schälten sich nämlich in diesem Augenblick drei seltsame Gestalten aus der Dunkelheit. Trotz des spärlichen Lichts konnte man deutlich die blutverschmierten Gesichter erkennen, welche sich zu einem breiten Grinsen verzogen hatten. Unmittelbar schoss Fayns Puls in die Höhe. Handelte es sich hier erneut um Halluzinationen oder entsprangen diese Menschen tatsächlich der Realität? „Kommst du?“ Aiven sah ihn fragend an und als hätte irgendjemand einen Knopf gedrückt, verschwanden die drei Fremden so schnell wie sie gekommen waren. Fayn atmete hörbar aus. „Gehen wir weiter oder willst du hier Wurzeln schlagen?“ Noch immer ruhte Aivens Blick auf ihm. „Was? Klar...“ Wie ferngesteuert begann Fayn zu laufen, versuchte das gerade eben gesehene abzuschütteln, einfach aus seinen Gedanken zu vertreiben. Ohne Erfolg. Die Angst keimte in ihm auf, breitete sich in Fayns Körper aus wie ein Feuer, welches zu einem unkontrollierbaren Inferno herangewachsen war. Der junge Mann blieb stehen. Wie aus heiterem Himmel begannen sich die Häuser um ihn herum erneut und dieses Mal um einiges heftiger zu drehen. Fayn stolperte nach hinten, taumelte und war dankbar, als sich Aivens Arme helfend von hinten um seinen Körper legten. „Hey, was ist denn los, Fayn? Ist dir wieder schwindelig?“ Er bejahte die Frage. „Verdammt. Weißt du,das sist wirklich nicht lustig. Vielleicht sollten wir zu einem Arzt fahren oder lieber gleich ins Krankenhaus.“, schlug Aiven vor und klang dabei ziemlich besorgt.
„Quatsch. Ich brauche keinen Arzt.“ Fayn löste sich von seinem Freund und drehte sich um. „Mir geht es gut.“ „Ja, das sehe ich. Du bist richtig blass um die Nase mein Lieber. Es kann dir also nicht besonders gut gehen.“  Fayn seufzte. „Ich muss mich nur ein bisschen ausschlafen, Aiven. Dann ist wieder alles in Ordnung.“
„Na gut. Okay.“ Aiven verdrehte die Augen. „Aber wenn es dir morgen früh immer noch schlecht geht, dann fahren wir ins Krankenhaus. Und weißt du was, du schläfst heute Nacht bei mir. In diesem Zustand lasse ich dich bestimmt nicht alleine.“ „Was?“ Fayn riss die Augen auf. „Nein, ich...“ „Keine Widerrede.", unterbrach ihn Aiven.

Erschöpft ließ sich Fayn auf das violette Sofa sinken, welches er vor gut zwanzig Minuten gemeinsam mit Aiven aus dessen Schlafzimmer hierher ins Wohnzimmer geholt hatte. Fayn rieb sich die müden Augen und gähnte. Anstatt Jeans und Pullover, welche durch die ganzen Strapazen im Wald schon ein wenig schmutzig geworden waren, trug er nun ein weißes Kurzarm Shirt und eine Jogginghose. Beides von Aiven.
Fayn schloss für einen Moment die Lider. Er musste einfach schlafen, dann würde er all das Grauenhafte hoffentlich so schnell wie möglich vergessen. „Möchtest du etwas essen?“ Aiven war aus dem Schlafzimmer, welches direkt neben dem Wohnzimmer lag, zu ihm rüber gekommen. „Nein, danke.“, lehnte Fayn ab. „Gerade nicht.“ Sein Freund nahm ebenfalls auf dem Sofa Platz. Auch er hatte sich umgezogen. „Hey.“ Aiven legte Fayn eine Hand auf den Unterarm, was bei Fayn dafür sorgte, dass sein Herz augenblicklich schneller schlug. „Das wird schon alles wieder, okay?“ Fayn nickte. Ja, die Mörder, welche beinahe sein gesamtes Dorf ausgelöscht hatten, würden gefasst werden und mit der Zeit mussten auch einfach die Bilder in Fayns Kopf verblassen. „Ich mach dir mal einen Tee.“ Aiven wollte aufstehen, doch Fayn packte ihn am Arm und hielt ihn so zurück. „Bitte, du musst das nicht tun. Du hast heute schon genug für mich gemacht. “ Ein Lächeln huschte um Aivens Mundwinkel. „Fayn, das ist wirklich in Ordnung. Denn obwohl...wir nicht mehr zusammen sind, bist du mir dennoch sehr wichtig und du wirst immer einen speziellen Platz in meinem Leben haben.“ Jetzt war es an Fayn zu lächeln und als er seinen ehemaligen Freund so ansah, wurde ihm wieder einmal schmerzhaft bewusst, wie sehr er Aiven vermisste. „Gut. Ich denke, ich habe gewonnen.“ Aiven erhob sich. „Dein Tee kommt sofort.“ Er verließ den Raum und Fayn schloss die Augen. Noch immer war er nicht über die Trennung hinweg. Würde er das jemals sein? Sie hatten ja immerhin gemeinsam entschieden, dass es das Beste wäre, die Beziehung zu beenden. Fayn biss sich auf die Unterlippe. Aber gab es nicht vielleicht doch noch eine Chance, die Scherben wieder zusammenzufügen? Es noch einmal zu versuchen? Der junge Mann verließ seinen Platz auf dem Sofa und machte sich langsam auf den Weg zur Küche. Dort angekommen spähte Fayn vorsichtig ins Innere. Aiven stand mit dem Rücken zu ihm vor den weißen Wandschränken und war damit beschäftigt, die vielen Teepackungen, welche sich im mittleren Schrank befanden, durchzusehen. Jetzt wandte er sich ein wenig um und Fayn konnte nun das Gesicht seines Freundes genau mustern. Die vollen Lippen, darüber die ein wenig abgerundete Nase und über den türkisblauen Augen die Brauen, welche in derselben braunen Farbe schimmerten wie Aivens kurzes Haar. Fayn sog scharf die Luft ein. Die Attraktivität dieses Mannes konnte man einfach nicht mit Worten beschreiben. „Fayn? Hast du vor mich noch länger anzustarren?“ Fayns Wangen begannen zu glühen. Aiven sah ihn nun direkt an, den Mund zu einem breiten Grinsen verzogen. „Ich...äh ich habe doch...gar nicht...also...“ Fayn brach ab. Sein Gestammel brachte ihn jetzt auch nicht weiter.

Das Grauen von Daisy Village🌼Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt