Kapitel 13

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Unvermittelt ging ein Ruck durch Fayns Körper und im nächsten Augenblick kniete er neben Aiven am Boden. „Aiven. Hey.“ Von Angst erfüllt, rüttelte er an seinem Freund und einige Wimpernschläge später öffnete dieser die Augen. Eine Welle der Erleichterung strömte durch Fayns Körper und eilig wischte er sich die Tränen fort. „Was...was machst du denn hier? Du solltest...doch in unserem Versteck...warten, bis ich meinen Wagen geholt habe.“ Aiven richtete sich mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Ich...ich habe einen...Schuss gehört. Ich konnte nicht in dem Keller bleiben. Was...was ist passiert, Aiven? Wo ist dieser Mann?“
„Du kennst doch diesen unterirdischen Abstellraum da drüben.“ Fayn nickte und sah zu der geschlossenen Klappe hinüber. Dort unten hatte er sich als kleiner Junge des Öfteren versteckt. Ein wirklich interessanter, aber gleichzeitig unheimlicher Ort. Von außen konnte man das Ganze mit mehreren Riegeln gut verschließen. Von unten jedoch gab es keinen Weg rauszukommen. Man saß sozusagen in der Falle und konnte sich nur darauf verlassen, dass jemand vorbei kam und die Klappe von oben aus öffnete. „Der...Mann...er stand plötzlich vor mir und...und hat auf mich geschossen. Dabei ist er irgendwie gestolpert und runter in den Abstellraum gefallen. Ich...ich habe sofort...die Holzklappe geschlossen und alle...Riegel vorgeschoben. Er...“ Aiven brach ab und hielt sich den rechten, blutverschmierten Arm.
„Verdammt, du...du musst ins Krankhaus.“ Fayn half seinem Freund auf die Beine. „Ich...denke...es ist nur ein...ein Streifschuss.“, meinte dieser. „Aber...aber gegen einen Besuch im Krankenhaus hätte ich nichts einzuwenden.“ Aiven grinste. „Aber ich denke, du musst fahren, Fayn.“

Fayn umfasste das Lenkrad und warf einen kurzen Blick zu seinem Freund hinüber. „Und du bist dir sicher, dass es nur der Arm ist? Was...ist mit den Blutflecken an deinem Bauch?“ „Keine Sorge.“, beruhigte Aiven ihn. „Das Blut stammt alles von meinem Arm., okay?“
Fayn nickte, startete den Motor und wenige Minuten später hatten sie Daisy Village den Rücken gekehrt. Langsam rollte der kirschrote Käfer über Kieswege und teilweise grasbewachsene Abschnitte, bis er letztendlich die um diese Zeit kaum befahrene Landstraße erreichte.
Während der gesamten Fahrt war Aiven immer bleicher geworden, hatte so gut wie gar nichts gesprochen und allmählich wurde Fayn unruhig. Zwar redete sein Freund jetzt nicht ohne Punkt und Komma, aber er war definitiv aufgeschlossener als er selbst. Das hier passte nicht zu Aiven. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. War die Verletzung an seinem Arm womöglich doch schlimmer als gedacht? Oder gab es womöglich eine weitere Wunde?
Fayn musterte seinen Beifahrer. Schweißperlen glänzten auf Aivens Stirn. „Aiven? Was...ist los mit dir?“ „Ich...weiß nicht...mir geht’s nicht so...gut. Ich glaube...ich wurde auch...am Bauch getroffen.“ „Was?“ Fayn lenkte den Wagen an den Straßenrand und schaltete den Motor aus. Anschließend schnallte er sich ab und rutschte auf seinem Sitz ein wenig näher an seinen verletzten Freund heran. „Bist...bist du dir sicher, Aiven?“ „Ja.“ Wie zur Bestätigung knöpfte Aiven sein Hemd auf. Eine Wunde klaffte an seinem Bauch und aus dieser strömte Blut.
Fayn erstarrte. Und jetzt? Wie schlimm stand es um seinen Freund? Würde er verbluten? „Die...Wunde ist nicht allzu tief und...die Kugel steckt...zum Glück auch nicht drin.“,stellte Aiven fest. „Da kann ich ja...jetzt froh sein, dass mein Vater...Arzt ist. Sonst hätte ich die Schwere der Verletzung...wohl gerade nicht heraus finden können. Ich...werde also nicht...ver...bluten, aber trotzdem sollten wir...etwas auf die Wunde...drücken.“ „Ja...klar. Ähm...ich habe noch ein T-Shirt drunter, das können wir nehmen.“, bot Fayn an und noch in derselben Sekunde wurde ihm bewusst, was er da gerade von sich gegeben hatte. Er musste sich ausziehen! Vor Aiven! Verdammt! Warum stellte er sich überhaupt so an?
Ohne noch einmal darüber nachzudenken, streifte er sich den Pullover vom Körper und entledigte sich danach auch seines Shirts. Keinen Herzschlag später drehte Aiven den Kopf in seine Richtung und sofort fingen Fayns Wangen an zu glühen. Die Blicke der Männer trafen sich, hielten einander stand, ehe Aiven sich verlegen wieder abwandte. Regentropfen prasselten gegen die Fensterscheiben, perlten an ihnen ab.
Inzwischen hatte Fayn seinen Pullover wieder angezogen. Jetzt beugte er sich zu seinem Beifahrer hinüber und drückte vorsichtig das zusammengedrückte T-Shirt auf die blutende Wunde. Ein Schmerzenslaut löste sich aus der Kehle seines Freundes und reflexartig legten sich Aivens Hände auf die seinen. Fayn schnappte nach Luft, sowie sich ihre Finger berührten.

Nervös lief Fayn auf dem menschenleeren Gang auf und ab. Vor etwa eineinhalb Stunden war Aiven mit einer Ärztin und mehreren Krankenpflegern in einem der Behandlungsräume verschwunden. Weshalb dauerte das ganze so furchtbar lange? Der junge Mann rieb sich die noch immer schmerzende Nase. Was, wenn es doch schlimmer um Aiven stand? Nein! Er trieb diesen Gedanken fort. Er musste positiv denken.
„Hey.“ Fayn sah auf. Zwei türkisblaue Augen strahlen ihm entgegen. Aiven! Hatte man ihn schon entlassen? Oder vielleicht... „Mir geht es gut, Fayn.“ Aiven kam nun vor ihm zum Stehen. „Ich habe nochmal Glück gehabt.“ Befreit atmete Fayn auf und umarmte seinen Freund. Doch dieser schob ihn sanft von sich. „Ich glaube, das ist keine wirklich gute Idee, Fayn. Ich habe zwar etwas gegen die Schmerzen bekommen, aber trotzdem tut es noch ziemlich weh.“ „Oh. Stimmt. Tut mir leid.“ Er nickte und Aiven fuhr fort: „ Du solltest dich aber auch noch mal untersuchen lassen. Wegen deiner Nase meine ich.“ „Quatsch.“ Fayn schüttelte den Kopf. „Das...das ist überhaupt nicht nötig.“ „Und ob es nötig ist. Du lässt dich untersuchen, Fayn sonst...“
„Aiven!“ Beide Männer fuhren herum. Eine junge Frau näherte sich ihnen. Die langen, aschblonden Locken reichten ihr bis knapp über die Schultern. „Ma...Madalyn.“ Ungläubig starrte Fayn seinen Freund an. Hatte gerade genau dieses Wort Aivens Mund verlassen? Dieser Name? Madalyn? „Was machst du denn hier?“, lachte Madalyn und schloss Aiven freudig in ihre Arme. „Vorsicht, vorsichtig. Ich...habe eine Verletzung. Du solltest mich besser nicht umarmen.“ „Was? Oh nein. Das...das tut mir leid.“ Die Miene der jungen Frau wurde ernst. „Was ist denn passiert?“ „Ich wurde angeschossen.“ „Angeschossen?“ Madalyn riss die Augen auf. „Oh mein Gott. Das ist ja schrecklich.“ Aiven nickte. „Und auch eine etwas längere Geschichte.“ Sprachlos stand Fayn da und war unfähig sich zu rühren. Das war also Madalyn. Die Frau von der Aiven so geschwärmt hatte.

Das Grauen von Daisy Village🌼Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt