„Aber nun zu dir." Aiven legte Madalyn beide Hände auf die Schultern. „Was machst du hier? Ich dachte, du bleibst noch bis nächsten Monat in der Türkei." „Ja." Die junge Frau nickte. „Das war eigentlich auch mein Plan. Aber vor ein paar Tagen erhielt ich den Anruf, das mein Vater einen Autounfall hatte. Da bin ich natürlich sofort zurück nach England geflogen. Er liegt jetzt hier im Krankenhaus." „Oh Gott.", entfuhr es Aiven. Wie...geht es ihm?" „Zum Glück ganz gut. Aber er wird wohl noch ein paar Tage bleiben müssen."
Madalyn seufzte und Fayn zuckte zusammen, sowie sie ihn plötzlich direkt ansah. „Ach übrigens. Das ist Fayn. Mein..." Aiven brach ab, schien zu überlegen und fuhr dann fort: „Ein Freund von mir." Ein Freund von mir? Ja. Genau das war er. Nur ein Freund. Fayn biss sich auf die Unterlippe. Aber weshalb hatte Aiven gezögert? Egal. Der junge Mann schob diesen Gedanken beiseite. „Hallo Fayn. Ich bin Madalyn. Aiven und ich haben uns in der Türkei kennengelernt." Madalyn reichte Fayn ihre Hand und dieser nahm sie entgegen. „Hallo.", war das einzigste, was er herausbekam.Fayn sah aus dem Autofenster in den gräulichen Himmel hinauf. Nachdem er sich auf Aivens Bitte hin einer Untersuchung unterzogen hatte, waren sie gemeinsam mit Madalyn zum Hotel ihres Vaters gefahren. Ihren Erzählungen nach sollte sie es in ein paar Jahren übernehmen. Fayn lehnte sich in seinem Sitz zurück. Madalyn hatte sie doch tatsächlich eingeladen im Hotel zu übernachten. Der junge Mann schüttelte innerlich den Kopf. Das Aiven dieses Angebot ablehnte, war natürlich keine Option gewesen. Warum auch?
„Und ihr wohnt beide wirklich...in Daisy Village?", riss Madalyns Stimme ihn urplötzlich aus seinen Gedanken. Sofort saß er kerzengerade auf der schwarz gepolsterten Rückbank des Käfers. „Ja." Aiven lenkte den Wagen um eine Straßenecke. „Oh..Gott...dann...ward ihr bei dem Massaker dabei? Ich meine, das stand doch überall in den Zeitungen." „Also...ich nicht. Ich bin an dem Tag aus der Türkei zurückgekommen. Aber Fayn...war dabei." Kaum hatte Aiven seinen Satz beendet sah er durch den Rückspiegel nach hinten und suchte Fayns Blick. Doch dieser entkam dem Augenkontakt, indem er sich erneut dem Fenster widmete. Er wollte jetzt nicht über die vergangenen Tage und Stunden reden.Fayn lag auf dem großen Bett und starrte an die schneeweiße Zimmerdecke. Nach einer Hotelführung und einem gemeinsamen Abendessen mit Madalyn hatte Fayn sich auf sein Zimmer zurückgezogen während Aiven sich noch weiter mit der Frau des Hotelbesitzers amüsierte.
Keinen Herzschlag später wurde die Tür geöffnet und Fayn setzte sich eilig auf. Aiven betrat den Raum, bewaffnet mit einer Sektflasche und zwei Gläsern. „Zimmerservice. Ich bringe ihnen einige Köstlichkeiten, mit denen sie sich die nächsten Stunden versüßen können." Sein Freund grinste breit und auch Fayns Mundwinkel wanderten nach oben. „Was machst du denn hier?" „Wie gesagt ich bringe dir einige Köstlichkeiten oder eher gesagt uns." Aiven stellte die mitgebrachten Sachen auf dem kleinen vergoldeten Tisch gleich neben der Tür ab.
„Ähm. Es ist nämlich so...das hier ist das letzte freie Zimmer." Das letzte freie Zimmer! Blitzschnell war Fayn vom Bett aufgesprungen. „Was? Wirklich? Das ist nicht dein Ernst, oder?" „Komm jetzt übertreib mal nicht, Fayn. Die Situation ist vielleicht nicht optimal aber...es gibt weitaus Schlimmeres." Weitaus Schlimmeres? Aufgewühlt begann Fayn im Zimmer auf und ab zu gehen. In einem Raum, in einem Bett mit dem Mann zu schlafen, in den man immer noch bis über beide Ohren verliebt war, zählte sehr wohl zu der Kategorie „schlimm". „Komm, jetzt trinken wir erst mal ein Gläschen und du wirst sehen, dann sieht die Welt schon deutlich besser aus." Aiven winkte ihn mit der Sektflasche zu sich.Fayn Herz pochte. Mit angezogenen Beinen lag er auf der linken Seite des Bettes, möglichst nah am Rand und versuchte irgendwie ein Auge zuzubekommen. Unruhig wälzte er sich herum. Schlief Aiven schon? Angestrengt lauschte er in die tiefschwarze Dunkelheit hinein. Nichts. Kein Laut war zu hören. „Fayn?" Er fuhr zusammen. Musste Aiven ihn so erschrecken? „Ja..ja?" „Wo ist eigentlich meine Jacke?" „Deine Jacke?", wiederholte Fayn. „Ja. Die Jacke, die ich dir heute gegeben habe, als wir in diesem Keller fest saßen."
Obwohl schon reichlich Platz zwischen ihnen war, schien Aivens Stimme trotzdem so nah. Fayn überlegte und kurz darauf wusste er es. „Deine Jacke. Ich habe sie im Keller liegen lassen. Ich weiß auch nicht...es ging alles so schnell, ich bin einfach los und da muss ich sie wohl vergessen haben." „Schon gut." „Wirklich?" „Ja wirklich.", lachte Aiven. Fayn schmunzelte und strich sich eine schwarze Strähne aus der Stirn. Ein einzelner Gedanke keimte in ihm auf uns noch bevor der junge Mann wirklich wusste, was er tat, begann er zu sprechen.
„Aiven ich muss dir was sagen. Es...es stimmt nicht, dass ich nach den Halluzinationen im Wald keine mehr hatte. Ich weiß ich hätte dir die Wahrheit sagen müssen, aber..." Fayn brach ab und schwieg. Aiven machte keine Anstalten etwas zu erwidern. Ein silberweißer Strahl des am Himmel tanzenden Vollmonds fiel in das Zimmer, verharrte kurz auf dem hölzernen Boden, ehe er langsam aber sicher weiter wanderte. „Weißt du, ich kann verstehen, dass du mir nichts erzählt hast.", durchbrach Aiven jetzt die Stille. „Du wolltest nicht, dass ich mir Sorgen mache. Aber...weißt du was...wir reden morgen weiter, okay? Jetzt lass uns erst mal schlafen." „Okay." Fayn nickte, obwohl er wusste, dass sein Freund diese Geste nicht sehen konnte. Seufzend kuschelte er sich in die warme Decke und schloss die Lider. Eine Mütze Schlaf würde ihm sicher mehr als guttun.
„Fayn, ich bin hier. Fayn." Zu Tode erschrocken riss Fayn die Augen auf. „Fayn, siehst du mich? Ich bin hier? Gekommen, um dich zu holen." Der junge Mann schauderte. Nein. Diese Stimme war nur in seinem Kopf. Nur in seinem... „Hallo Fayn." Jemand trat an das Bett heran und nach und nach schälte sich das Gesicht eines Mannes aus der Dunkelheit. „Na? Fürchtest du dich? Hast du Angst?", lachte der Fremde und im selben Augenblick war er verschwunden.
Fayn atmete tief durch, oder zumindest versuchte er es. Denn wie schon zuvor im Wald fiel es ihm von Sekunde zu Sekunde schwerer den Sauerstoff in sich aufzunehmen. Gelangte überhaupt noch Luft in seinen Körper? Fayn schälte sich aus der Decke und nahm auf dem Rand des Bettes Platz. Okay. Ganz ruhig. Er musste einfach versuchen ganz ruhig weiterzuatmen. Dann würde sich das alles schon bald wieder legen.
Doch so war es nicht. Mit jedem weiteren Atemzug fühlte Fayn sich nur noch hilfloser. Panik stieg in ihm auf, trieb ihm die Tränen übers Gesicht. „Fayn? Ist alles in Ordnung?" Das war Aivens Stimme.
DU LIEST GERADE
Das Grauen von Daisy Village🌼
Misterio / SuspensoFayn Musgrave wird Zeuge eines furchtbaren Verbrechens, welches ihn bis ins Mark erschüttert. Doch die Täter und all diejenigen, die sich retten konnten, verschwinden nach dem Ereignis spurlos. Einzig Fayn weiß, was passiert ist und gerät immer mehr...