Kapitel 8

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Wie in Zeitlupe drehte Fayn sich um und begegnete Aivens nicht zu deutenden Blick. „Du...weißt ja, dass ich sechs Monate lang aufgrund meines Berufs in der Türkei war...und dort...habe ich jemanden kennengelernt.“ Jemanden kennengelernt? Fayns Gedanken fuhren Achterbahn. „Eine Frau. Ihr Name ist Madalyn. Sie ist...einfach toll, weißt du.“, schwärmte Aiven. „Sie ist Engländerin und kommt hier aus der Gegend, ist das nicht ein Zufall? Also jedenfalls habe ich vor, mich bald mit Madalyn zu treffen.“ Aiven löste jetzt den Griff um sein Handgelenk und Fayn starrte seinen Freund ungläubig an. War diese Situation hier real? „Ich wollte dir nur davon erzählen, weil ich dachte, du hättest vielleicht ein Problem damit. Unsere Trennung ist ja noch nicht so lange her.“ „Ein Problem?“, hörte Fayn sich selbst sagen. „Nein, ich habe kein Problem damit.“ „Wirklich nicht?“ Aiven hob eine Augenbraue. „Nein. Überhaupt nicht. Ich...muss mich jetzt umziehen.“ Rasch wandte Fayn sich um und eilte in Aivens Schlafzimmer. Sein Herz pochte und das Blut rauschte ihm in den Ohren. Kein Problem. Kein Problem? Wütend blinzelte Fayn die heraufkommenden Tränen fort. Natürlich hatte er ein Problem damit, wenn Aiven sich mit dieser Frau traf. „Fayn?“, erönte da Aivens Stimme aus dem Wohnzimmer. „Ist wirklich alles in Ordnung?“ „Klar. Alles bestens.“, entgegnete Fayn, hörte auf seinem Schmerz entgegen zu wirken und ließ seinen Tränen freien Lauf. Reichte die Trennung nicht? Warum musste Aiven jemanden kennenlernen? Eine neue Liebe? Fayn schüttelte den Kopf. Aiven hatte sich nicht in diese Madalyn verliebt, er fand sie einfach nur nett. Oder? Fayn wischte sich mit der Hand die Tränen weg und schlüpfte wieder in seine eigenen Klamotten. „Hey.“ Aiven betrat das Zimmer. „Tut mir leid, dass ich einfach hereinplatze.“ Er hielt ein großes Messer mit blauem Griff in die Höhe. „Das hier habe ich gefunden, ich glaube, dieses Messer hast du mal bei mir vergessen. Möchtest du es wieder haben, oder kann ich es behalten?“ Fayns Atem beschleunigte sich. Dieses Messer! Das Massaker! Einer der Täter hatte genauso ein Messer bei sich gehabt. Scharf und mit blauem Griff. „Nein, du...du kannst es...behalten.“ Während Fayn sprach, bemerkte er, wie ihm das Atmen Stück für Stück schwerer fiel. „Okay. Gut. Dankeschön.“ Aiven lächelte, machte aber keine Anstalten zu gehen. Wie gebannt hing Fayns Blick an dem Messer in der Hand seines Freundes und die Bilder, welche in seinen Gedanken aufblitzten wirkten so real, dass sie Fayn förmlich in dieses abscheuliche Massaker zurück katapultierten. Der junge Mann versuchte tief durchzuatmen, doch er versagte kläglich und die Luft die er in sich aufnahm schien immer weniger zu werden. Das Messer. Er reagierte irgendwie auf das Messer. „Kannst...du das Messer bitte wieder...in die Küche bringen.“ „Klar.“, meinte Aiven. „Kommst du mit?“ Fayn nickte. „Ich komme gleich nach.“

Fayn saß auf der Treppe vor Aivens Haus und beobachtete einen kleinen Vogel, welcher auf dem staubigen Boden nach etwas Essbarem zu suchen schien. Nachdem Aiven das Messer zurück in die Küche gebracht hatte, war Fayn nach draußen gegangen, um dort frische Luft zu tanken. Der junge Mann sah zum Himmel hinauf. Winzige Wölkchen schmückten das helle Blau. Fayn vergrub das Gesicht in den Händen. Warum passierte ihm das alles? Erst das Massaker, dann die Halluzinationen und jetzt auch noch die Sache mit Aiven und dieser Frau. „Hier bist du.“ Fayn zuckte zusammen, als sein Freund urplötzlich neben ihm auftauchte. Konnte er ihn nicht einmal fünf Minuten in Ruhe lassen? Aiven stieg jetzt die drei steinernen Stufen hinunter und ging vor Fayn in die Hocke. „Es tut mir leid. Ich wollte dich vorhin nicht so überfahren. Das mit Madalyn war...nicht geplant, hörst du? Und...ich verstehe, wenn es für dich nicht leicht ist.“ Aiven sah ihn an, doch Fayn wich dem Blick seines Freundes aus. „Ich habe kein...Problem damit.“ „Doch hast du.“ „Nein, das habe ich doch schon gesagt.“ „Ja, aber ich kenne dich Fayn. Ich weiß wann du mir nicht die Wahrheit sagst und vorhin hast du mich zu hundert Prozent angelogen.“ Fayn verdrehte innerlich die Augen. Warum war es für diesen Mann so einfach, ihn zu durchschauen? „Hey.“ Aiven erhob sich aus seiner Position und nahm ebenfalls auf der Treppe Platz. „Ich muss nochmal los, ich habe vorhin beim Einkaufen etwas vergessen. Kann ich dich alleine lassen?“ Fayn nickte. Vielleicht würde er auch einfach rüber zu seinem Haus gehen. Sich in den Garten setzen? Ein Buch lesen? Etwas essen oder trinken? Jedenfalls machte das sehr viel mehr Sinn als hier herum zu sitzen und Trübsal zu blasen. Fayn kam auf die Beine, doch anscheinend hatte sein Freund in dieser Sekunde dieselbe Idee und so wären sie beinahe gegeneinander geprallt. „Oh..tut mir leid.“, lachte Aiven und Fayn konnte deutlich seinen warmen Atem spüren. Weshalb war er diesem Mann erneut so verdammt nah? Wie bereits vergangene Nacht trafen sich die Blicke der beiden Männer, wurden eins. Türkisblau verschmolz mit dunklem Bernstein. Aivens linke Hand bewegte sich langsam nach vorne und streifte für eine Millisekunde Fayns Finger. Die Luft war von einem Knistern erfüllt, das immer mehr an Intensität annahm. „Ich...ich muss los.“, meinte Aiven ohne die Augen von Fayn abzuwenden. Ein Windstoß wirbelte die orangenen Herbstblätter durch die Luft, ließ sie tanzen, gab ihnen für einen Moment die Fähigkeit zu fliegen. „Wolltest...du nicht gehen?“, fragte Fayn leise und sein Freund nickte während sich ihre Hände verbanden. „Ja..ich gehe...gehe jetzt.“ Aiven schien im Inneren mit sich zu ringen. Unmittelbar ließ er Fayns Hand los. „Wir...sehen uns später.“ Hastig lief Aiven davon und Fayn schloss die Augen. Ein einzelner Regentropfen fiel auf ihn herunter, nistete sich in seinen Haaren ein, bevor er dann doch über Fayns Stirn rann und am Ende im linken Mundwinkel des Mannes hängen blieb.

Das Grauen von Daisy Village🌼Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt