Kapitel 6

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„Möchtest du vielleicht reinkommen und mir zur Hand gehen?“ Aiven deutete auf den Wasserkocher, welcher neben der Spüle seinen Platz gefunden hatte. „Du könntest ein bisschen Wasser kochen.“ „Kl...klar.“Fayn machte sich auf den Weg zum Wasserkocher und füllte diesen bis zur Hälfte mit Wasser. „Zitrone oder Orange?“ Aiven hielt ihm zwei Teepackungen vor die Nase und Fayn zuckte kurz zusammen. Wie warsein Freund so schnell hierher gekommen? „Ich nehme Orange.“„Okay. Orange.“ Aiven schaltete den Wasserkocher an. „In ein paar Minuten ist dein Wasser fertig. Du kannst auch zurück insWohnzimmer gehen, Fayn. Ich bringe dir deinen Tee dann rüber.“„Nein, nein.“, lehnte Fayn ab. „Ich kann den Tee auch selber tragen. So schwer ist die Tasse bestimmt nicht.“ Fayn musste über seine eigene Aussage lachen und auch Aiven grinste über beide Ohren. „Du weißt, wie ich das gemeint habe, Fayn.“ „Ja.“ Fayn strich sich eine schwarze Strähne aus der Stirn, als leise Schritte an sein Ohr drangen. Der junge Mann hob den Kopf. Eine Frau stand vor ihm, die Arme rechts und links neben dem Körper, das schneeweise Kleid blutbefleckt. Fayns Atem stockte. Ein hämisches Lachen drang aus der Kehle der Fremden und erschrocken machte Fayn einen Satz nach hinten. Dabei streifte er mit dem rechten Arm einige Schüsseln, die auf der Arbeitsfläche standen. Klirrend gingen die Porzellangefäße wenig später auf dem kastanienbraunen Holzboden zu Bruch. „Sag mal, geht's noch? Fayn! Was soll denn das?“ Aivens Stimme war getränkt von purer Wut. „Ich...es tut mir wirklich leid.“ Fayn ging in dieHocke. „Es tut mir leid. Ich mache die Scherben für dich weg.“„Nein, Fayn. Du schneidest dich doch nur.“ Aiven kniete sich zu ihm und Fayn warf einen raschen Blick zur Seite. Die Frau war verschwunden. „Komm jetzt, lass das.“ Aiven griff vorsichtig nach der Scherbe in Fayns Hand, welche er gerade an sich genommen hatte. „Du hast uns nicht gerettet! Warum? Du hast es nicht einmal versucht! Du elendiger Feigling!“ Fayns Kopf schnellte herum. Miss Honeymoon, die im Haus gegenüber wohnte, kauerte vor ihm. Auch sie war dem Massaker zum Opfer gefallen. Auf solch abscheuliche brutaleWeiße war ihr mit einem Küchenmesser die Kehle aufgeschlitzt worden. Die flehenden Schreie, die angsterfüllten, weit aufgerissenen Augen dieser so unschuldigen älteren Dame würde Fayn wohl niemals wieder vergessen. „Wie fühlst du dich Fayn? Wie fühlt es sich an, so vielen Menschen einfach beim Sterben zuzusehen? Ohne auch nureinen Finger zu rühren! War sich der Herr etwa zu fein dafür?“ Miss Honeymoons Stimme überschlug sich beinahe. „Fayn?“ AivensStimme drang von weit her an sein Ohr und wie in Trance wandte Fayn den Kopf. „Hey, das mit den Schüsseln ist ja jetzt auch kein Weltuntergang.“ Aiven lächelte leicht. „Ich hole jetzt einen Besen und mache schnell das Missgeschick weg und danach trinken wir gemeinsam einen Tee.“

Fayn öffnete die Augen und sah sich schlaftrunken um. In der Ferne schlug die Kirchturmuhr. Kurz nach eins. Fayn seufzte und setzte sich auf. Wahrscheinlich schlief Aiven schon. Kein Wunder. Immerhin hatte erheute auch einiges erlebt. Ein Poltern ertönte. Fayn runzelte die Stirn, rappelte sich auf und knipste das Licht an. „Oh mein Gott.“,brachte er tonlos hervor, sowie er den menschlichen Kopf sah, welcher am Fuße des violetten Sofas ruhte. Er musste dieses Poltern verursacht haben. Ein Würgen verließ Fayns Inneres und genau da kam eine blutige Hand unter dem Sofa hervor und verpasste dem Kopf einenStoß. Das Körperteil rollte herum und Fayn schrie entsetzt auf.Zwei türkisblaue Augen starrten ihn an. Aiven! „Jetzt siehst du, was du davon hast!“ Ein älterer Mann kroch unter dem Sofa hervor. Seine Hände waren rot von Aivens Blut. „Du hast den Menschen von Daisy Village nicht geholfen und jetzt zahlst du deinen verdammten Preis!“ Der Mann lachte laut, während Fayn einfach nur weinend da stand. Da rappelte sich der Fremde auf, rannte auf ihn zu und im nächsten Moment saß Fayn schweißgebadet auf dem violetten Sofa. Keuchend versuchte er seinen jagenden Atem unter Kontrolle zu bringen. „Hey, Fayn, hey.“ Aiven, der neben ihm auf der Couch saß, streichelte ihm beruhigend über den Unterarm. „Das war nur ein Traum, hörst du?“ Verwirrt wischte Fayn sich die Tränen aus dem Gesicht. Ein Traum. Nur ein Traum. Er hatte geträumt. „Das muss ja ziemlich schlimm gewesen sein, wenn du sogar im Schlaf weinst.“,meinte Aiven. „Ich wollte mir nur kurz ein Glas Wasser aus der Küche holen, da habe ich dich weinen gehört und als ich nachgesehen habe, bist du auch schon aus dem Schlaf hochgeschossen. Was hast du denn geträumt?“ „Ich...“ Fayns Augen füllten sich mit Tränen. „Hey. Du musst es mir nicht erzählen, okay?“ „Okay.“ Fayn nickte und Aiven legte eine Hand an seine rechte Wange. „Soll ich noch ein bisschen hier bleiben?“ Er bejahte die Frage und spürte sogleich, wie eine wohlige Wärme seinen Körper durchströmte. Aiven lächelte und zog seine Hand zurück. Fayn senkte den Blick. Dieser Traum hatte so echt gewirkt. Wäre Aiven wirklich gestorben, dann... Der junge Mann brachte den Gedanken nicht zuende. „Was grübelst du denn schon wieder?“ Aiven sah ihn amüsiert an. „Nichts. Gar nichts.“ Fayn lächelte und sein Freund schien sich damit zufrieden zu geben. Was blieb ihm auch anderes übrig? „Hast du seit den Halluzinationen im Wald eigentlich noch weitere gehabt?“„Äh...nein. Warum?“ „Nur so. Du weißt doch ich mache mir nur Sorgen.“, erklärte Aiven und Fayn überkam sofort das schlechte Gewissen. Warum hatte er seinem Freund nicht einfach die Wahrheit gesagt?

Das Grauen von Daisy Village🌼Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt