Fayn stand am Fenster und starrte in die dunkle Nacht hinaus. Sterne schmückten den tiefblauen Nachthimmel, schickten ihr Licht herab, welches sich als weiser Schimmer auf den Hausdächern von Daisy Village niederließ. Vor gut zwanzig Minuten war Aiven wieder schlafen gegangen, nachdem er noch eine ganze Weile bei Fayn gesessen hatte. Der junge Mann stützte sich mit einer Hand am Fenstersims ab. Der Traum von Aivens Tod wollte ihm einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Die Option, schlafen zu gehen, gab es im Moment nicht, zu groß war die Angst, dass diese schrecklichen Szenen erneut über ihn herfallen würden. Aber konnte er wirklich noch einmal dasselbe träumen? Fayn verschränkte die Arme vor der Brust. Oder war dies ein Ding der Unmöglichkeit? „Fayn?“ Er fuhr herum. Aiven lehnte am Rahmen der Wohnzimmertür. „Hast du wieder schlecht geträumt?“ Die Sorge, welche in der Stimme seines Freundes mitschwang, zauberte Fayn eine Gänsehaut auf den Rücken. „Nein, ich...ich habe, seit du gegangen bist, noch kein Auge zubekommen.“ „Wirklich nicht?“ Aiven löste sich vom Türrahmen und kam näher. Fayn nickte. „Aber...du kannst ruhig wieder schlafen gehen.“ „Ja, könnte ich.“ Aiven hatte ihn nun erreicht. „Aber ich würde sowieso nur die ganze Zeit wach liegen und mir Vorwürfe machen, weil ich dich mitten in der Nacht alleine hier habe stehen lassen. Von Angst erfüllt, ohne jegliche Hoffnung auf Rettung.“ Fayn musste grinsen. „Jetzt übertreibst du aber etwas. “ „Stimmt.“, gab Aiven zu. „Da ist wohl gerade mal wieder der Schauspieler in mir erwacht. Naja. Ich vermisse das alles auch wirklich sehr. Auf der Bühne stehen, in verschiedene Rollen schlüpfen. Das war immer ein unbeschreibliches Gefühl. Und bevor du jetzt sagst, ich kann ja jederzeit zum Theater zurückkehren, nein, ich habe meine Entscheidung getroffen. Als Reporter zu arbeiten, die Welt zu sehen, live am Geschehen zu sein, das...das erfüllt mich einfach.“ Fayn wandte sich wieder dem nächtlichen Himmel zu. „So sehr ich die Schauspielerei auch liebe, als Reporter zu arbeiten, liebe ich genauso und wer weiß, vielleicht kann ich ja irgendwann beides machen.“ Während Aiven so sprach, wanderten Fayns Gedanken ab. Vor zwei Jahren hatte sein Freund als Reporter bei einer englischen Nachrichtensendung angefangen, was dazu führte, dass er viel unterwegs war. Wochen lang, manchmal sogar mehr als einen Monat. Abrupt fuhr Fayn zusammen, als sich Aivens Hand auf seine rechte Schulter legte. „Tut mir leid, dass ich dich mit meinem Gerede belästige. Ich hätte wohl an deiner Stelle jetzt auch keinen Nerv dafür. Ich meine, du hast als einziger ein Massaker überlebt.“ „Du belästigst mich nicht, Aiven, im Gegenteil.“ Fayn nahm seine Hände vom Fensterbrett und drehte sich zu seinem Freund um. „Ich...ich bin froh, dass du...da bist.“ Aivens Mundwinkel wanderten automatisch nach oben und ehe Fayn sich versah, hatte sein Freund ihn in eine Umarmung gezogen. Der junge Mann schloss die Augen, erwiderte die Geste und ließ sich fallen, tauchte ein in ein Meer von purer, nicht endender Wärme. „Ich bin da für dich, Fayn, als Freund. Und das werde ich immer sein.“ Aivens Worte trafen Fayn mitten ins Herz und lösten dort eine wahrhaftige Gefühlsexplosion aus. Auf der einen Seite herrschte die Rührung, welche Aivens Worte auslösten, aber auf der Gegenseite regierte die Tatsache, dass es bei den Worten nur um Freundschaft ging. Ich bin da für dich. Als Freund. Fayn seufzte schwer. Da war keine Liebe. Keine Gefühle. Was fühlte Aiven überhaupt noch? Oder versteckte er seine Empfindungen hinter der Maske seines schauspielerischen Talents? Fayn löste sich von Aiven und sah ihm geradewegs in die blauen Augen. Ihre Gesichter waren einander jetzt so nah, dass einzig eine Bewegung gereicht hätte, um ihre Lippen zu vereinen. Doch soweit kam es nicht, denn bevor etwas derartiges passieren konnte, trat Aiven einige Schritte zurück und beendete so die intime Situation. „Ich...ich gehe ins Bett, okay? Versuch du auch zu schlafen. Wir sehen uns dann morgen.“ Für den Bruchteil einer Sekunde trafen sich ihre Blicke abermals, ehe Aiven auf dem Absatz kehrt machte und mit schnellem Schritt den Raum verließ. Fayn ging zum Sofa hinüber und ließ sich ächzend in die Kissen fallen.
Fayn öffnete die Augen. Ein einzelner Sonnenstrahl schien ihm mitten ins Gesicht und für einen Moment genoss er voll und ganz die behagliche Wärme. Anschließend schälte er sich aus den Decken und gähnte erst einmal herzhaft. Ein handgeschriebener Zettel ruhte auf dem kleinen Tisch vor dem Sofa. Fayn runzelte die Stirn, setzte sich auf und griff nach dem Stück Papier. Ich bin einkaufen, komme aber bald wieder. Du hast so schön geschlafen, deswegen habe ich dich nicht geweckt. Aiven. Fayn musste schmunzeln und seine Gedanken wanderten zur vergangenen Nacht und dem nahen Moment mit Aiven zurück. Der abrupte Weggang seines Freundes wieß doch darauf hin, dass da immer noch Gefühle waren. Oder? Fayn fuhr mit dem Zeigefinger die Buchstaben auf dem weißen Untergrund nach. Aivens Schrift hatte schon immer etwas magisches an sich gehabt. Amüsiert über den eigenen Gedanken lachte der junge Mann leise auf. Die Tür wurde aufgeschlossen und Fayn legte den Zettel rasch auf den Tisch zurück. „Bin wieder da!“ Aivens Stimme hallte durch das Haus. „Fayn,bist du wach?“ Ein Poltern erklang aus der Küche. Einige Minuten verstrichen, dann näherten sich Schritte der Küche. „Hey.“ Aiven kam in das Wohnzimmer und augenblicklich beschleunigte sich Fayns Herzschlag. „Hey.“, erwiderte er heiser. „Bist du gerade erst aufgestanden?“, wollte Aiven wissen. „Ja. Wie spät ist es denn?“ „Kurz nach zwölf.“ „Echt?“ Fayn sah an sich herunter. „Ich...ich bin wirklich gerade erst aufgewacht.“ „Alles gut.“, lachte sein Freund. „Die Kleidung von gestern habe ich dir gewaschen. Die Sachen liegen drüben in meinem Schlafzimmer.“ „Okay. Danke.“ Er lächelte und wollte sich auf den Weg zu seinen Klamotten machen, doch jemand umfasste sein Handgelenk und hinderte ihn daran, weiter zu gehen. „Fayn.“ „Ja?“, fragte er, ohne sich umzudrehen. „Ich...“, fing Aiven an. „Ich muss dir was sagen.“
DU LIEST GERADE
Das Grauen von Daisy Village🌼
Mystery / ThrillerFayn Musgrave wird Zeuge eines furchtbaren Verbrechens, welches ihn bis ins Mark erschüttert. Doch die Täter und all diejenigen, die sich retten konnten, verschwinden nach dem Ereignis spurlos. Einzig Fayn weiß, was passiert ist und gerät immer mehr...