Kapitel 18

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Seine Hände zitterten unter dem Gewicht der Erinnerungen, welche er so lange verdrängt hatte. Er war nachhause gegangen, brauchte Abstand, Abstand von Isaac, von den vielen Strassenbahnen, den vorbeifahrenden Autos und vor allem von den vielen Menschen, welche sich ungewollt zurück in seine Erinnerung geschlichen hatten und all die schönen Momente in den Hintergrund drängten.
Er hatte es sich geschworen. Nie wieder würde er auch nur ein einziges Wort mit ihm reden. Damals, als er bei seiner Tante eingezogen war, damals, da hatte er sich gewünscht, sein Vater käme zurück, würde ihn in den Arm nehmen wenn er traurig war, ein Pflaster auf sein blutendes Knie kleben, nachdem er vom Fahrrad gefallen war, doch die Wunde welche er in seinem Herzen hinterlassen hatte, die konnte man nicht einfach mit einem Dinopflaster verdecken und alles war wieder gut.
Sein Blick hing seit gefühlten Stunden an der verdunkelten Wohnwagendecke. Sein Körper, eine leere Hülle. Eine Hülle, das war er, ein Wrack. Vielleicht war er ja auch einfach an einem Punkt angekommen an welchem er nicht mehr existieren wollte. Nein, er hatte nicht vor sein Leben zu beenden. Das könnte er Isaac nicht antun. Seit langem, der einzige Mensch, der ihm wirklich etwas bedeutete. Er wollte nur eben einfach nicht existieren. Nie existiert haben. Es war ein absurder Gedanke und doch war es genau das was er wollte. Für immer eine Leere Hülle sein. Eine Statue im Stadtpark, welcher keiner wirklich Beachtung schenkte. Niemanden interessierte. Er wollte niemandem etwas bedeuten, denn wer geliebt wird hat einen Grund zu bleiben, und er wollte keinen
Grund haben, keinen Grund um zu leben. Vielleicht war es das leise Surren einer Fliege, die Tür welche leise hin und her schwankte oder das ticken des Kühlschranks welcher diese Nacht besonders Laut erschien, vielleicht war es aber auch einfach er selbst, welcher ihn diese Nacht wach hielt. Die endlosen Gedanken welche ihre Kreise drehten wie eine Karusselfahrt, die nie zum Stillstand kam...
Das Gefühl beobachtet zu werden, es verfolgte ihn, hielt seine Sinne wach. Unaufhörlich trommelten seine Finger den Rhythmus auf die Kante seiner Matratze, welche halb vom Rost hing. 1,2,3,4 1,2,3,4 und wieder von vorn. Immer wieder, immer schneller, trommelten seine Finger den Rhythmus.
Ruckartig setzte er sich auf. Als er durch das Fenster nach draussen sah, konnte er kaum etwas erkennen. Die gespenstischen Silhouetten der umstehenden Bäume, schaukelten sachte im eisigen Wind. Der erste Schnee hatte sich wie jedes Jahr, in einen ekelhaften Schneeregen verwandelt, welcher sich als Slush-Eis, auf den geteerten Strassen sammelte. Die meisten Leute waren mit ihren Wohnwagen schon längst über alle Berge. Keiner hatte lust bei diesen Temperaturen auf einem schlammigen Campingplatz zu verweilen.
Die nasse, kalte Winterluft liess Malik erzittern, trotz der dicken Winterjacke, welche seinen schmächtigen Körper umhüllte. Seine Schuhe waren von innen durchnässt und gaben mit jedem Schritt ein schmatzendes Geräusch von sich. Er konnte nicht länger die stickige Luft atmen, welche ihm das Atmen erschwerte, jeden Tag aufs neue seine Lungen mit dem Jahre alten Staub füllen welcher in den Ritzen der Bodendielen vergessen ging. Er braucht etwas neues, Etwas wofür es sich zu töten lohnte. Das zu töten was ihm vor langer Zeit das Wichtigste genommen hatte. Seine Mutter.

Die Pfütze meines Lebens (Narben der Vergangenheit)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt