𝗕𝗹𝘂𝗺𝗲𝗻𝘀𝘁𝗿𝗮̈𝘂ß𝗲
Am Tag darauf waren meine Erinnerungen nicht die besten, doch Kenan war dennoch sehr präsent in meinem Kopf. Diese Begegnung mit ihm fühlte sich wie ein Fiebertraum an, und ich war mir unsicher, ob ich das Gefühl, das ich verspürte, wenn ich seinen Namen hörte, noch in Hass wandeln konnte.
Zumindest hoffte ich das, denn ich würde niemals romantische Absichten mit einem Mann hegen, den ich zwar unfassbar anziehend, aber nicht sympathisch fand. Tatsächlich schweiften meine Gedanken ab und zu zu ihm hinüber, wenn ich an meinem Schreibtisch saß, kochte oder sogar beim Autofahren war. Er entfachte ein seltsames Gefühl in mir, das ich schon lange nicht mehr gespürt hatte.
Doch jedes Mal, wenn das geschah, versuchte ich, den Gedanken an ihn in binnen Sekunden abzulegen, da er mir wieder unglaublich unattraktiv erschien, wenn ich daran dachte, dass dieser Mensch nur seinen Gelüsten nachging. Ein Mann, der wusste, dass er Frauen den Kopf verdrehte, war voller Arroganz und einer Selbstsicherheit, die an Größenwahn grenzte. Ein Mann, den ich nicht einmal in Jahrhunderten mit dem Herzen attraktiv finden könnte.
Ich saß gerade an meinem Schreibtisch und öffnete den Browser auf meinem MacBook. Eigentlich musste ich noch ein paar Recherchen anstellen, aber die legte ich kurz beiseite, als ich Instagram öffnete und Kenan vorsichtig in die Suchleiste eintippte.
Er erschien mir als zweite Person, da ihm Aya folgte. Ich verstand nicht, woher Aya ihn kannte und warum er plötzlich in unserem Bekanntenkreis so integriert war. Es ergab für mich keinen Sinn, dass ich diesen Mann nicht kannte.
Schockiert stellte ich fest, dass er anscheinend wirklich ein erfolgreicher Fußballspieler gewesen war, bevor er sich das Bein so brach, dass er nicht einmal mehr nach Juventus transferiert werden konnte. Ich konnte mir nicht ausmalen, wie schrecklich es sein musste, wenn niemand außer einem selbst Steine in den Weg gelegt hatte – und das nicht einmal gewollt.
Interessanter wurde es, als ich ganz unten auf seiner Seite ankam und es plötzlich bei mir klingelte.
Das war dieser Kenan. Kenan und ich waren damals, ich denke am Anfang der Mittelstufe, im selben Nachhilfeinstitut. Ich konnte mich nur schwer erinnern, dass er oft nur dasaß und Däumchen drehte. Jetzt machte das alles Sinn, denn er trug damals schon immer sein FC Bayern München Trikot und ging keine Diskussion ein, wenn es darum ging, dass seine Bildung wichtiger sei als Fußball.
Ich musste ehrlich schmunzeln, denn ich hätte niemals gedacht, dass aus diesem kleinen, zerbrechlichen Jungen mit Träumen ein großer Mann mit Zielen wird.
»Athena!«, rief Damian, als er in mein Zimmer spazierte und ich blitzschnell mein MacBook zuklappte.
»Ja?«, brachte ich nervös heraus und sah, wie er verwirrt vor mir stand.
»Was machst du da?«, wollte er wissen und zeigte mit dem Finger auf mein MacBook.
»Paar Recherchen für die Uni.«, erwiderte ich lachend, aber immer noch ein bisschen angespannt.
»Athena, ich habe Kenan eingeladen.«, platzte es aus ihm heraus, und mir fiel augenblicklich die Kinnlade herunter.
»Wie? Hast du seine Nummer oder was? Und für wann und wieso? Damian, das kannst du doch nicht ohne meine Zustimmung machen.«, meinte ich sauer und stand aufgebracht von meinem Schreibtisch auf.
»Nein, beim letzten Training habe ich ihn gefragt, ob er Samstag zu uns kommen möchte, also heute. Er meinte, ob das mit dir abgesprochen wäre, und na ja, ich war da jetzt nicht so ehrlich, aber er stimmte zu. Er müsste in etwa einer halben Stunde kommen.«, sagte Damian und rannte dann aus meinem Zimmer.
»Damian!«, schrie ich wütend und seufzte, als ich mich im Spiegel erblickte. Ich sah komplett fertig aus, und der Kater machte es auch nicht besser. »Das bekommst du zurück, du Idiot, aber ich springe jetzt schnell unter die Dusche.«, rief ich durchs ganze Haus, als ich genervt Richtung Bad lief.
Als ich gerade das Wasser abstellte und aus der Dusche steigen wollte, hörte ich, wie es klingelte. Ich wickelte meinen Körper und meine Haare so gut es ging in Handtücher ein. »Damian, nicht aufmachen! Ich komme schon.«, schrie ich und eilte schnell herunter.
Dort sah ich, dass Damian selbst im unteren Bad noch war, und räusperte mich nervös, als ich dann vor der Tür stand und sie öffnete.
»Taha?«, brachte ich nur verwirrt heraus. Er stand dort mit einem Blumenstrauß und lächelte mich schief an.
»Athena, bitte hör mir zu. Nur für fünf Minuten.«, sagte er verzweifelt, und ich schluckte. Wenn jetzt Kenan erscheinen würde, wäre das absolut unangenehm, und ich hätte gewaltige Probleme.
»Nein. Geh jetzt bitte. Ich bekomme Besuch.«, sagte ich nervös und schaute die ganze Zeit, ob Kenans Wagen angefahren kam.
»Wer besucht dich denn zu dieser Uhrzeit, wenn du mir halbnackt die Tür aufmachst?«, wollte er mit skeptischem Unterton wissen.
»Sema.«, sagte ich übereilt und sah, wie seine Miene sich enttäuscht veränderte. »Sema ist gerade in Nürnberg unterwegs, sie kann es nicht sein. Hast du einen neuen Typen?«, fragte er jetzt verletzlich und ich seufzte.
»Nein, habe ich nicht, aber selbst wenn es so wäre, dann würde es dich nichts angehen.«, antwortete ich ihm sauer.
»Athena, ich gehe nicht, bis ich weiß, wer dich besuchen kommt.«, sagte er und setzte sich wie ein kleines Kind vor mein Haus auf einen unserer Stühle.
»Spinnst du? Verlass sofort mein Grundstück.«, schrie ich wütend, als ich heraustrat. Doch er verweilte dort und hielt immer noch ungeduldig die Blumen in der Hand. Dieser Idiot weiß, dass ich gelbe Blumen nicht mag, und kauft sie mir trotzdem.
»Athena?«, hörte ich nun eine andere Stimme lachend sagen und sah verzweifelt zu Kenan, der auch mit einem Blumenstrauß und einem signierten Fußball dastand. Kenan hatte wohl noch nicht Taha entdeckt, aber Taha dafür Kenan, denn gleich danach stürzte sich Taha auf ihn.
»Ich verpasse dir noch ein zweites blaues Auge, du Mistkerl!«, schrie Taha, als er auf Kenan einschlug. Schockiert schloss ich die Tür hinter mir, damit Damian nichts mitbekam, und klammerte mein Handtuch noch fester um meinen Körper, da ich nicht wusste, was ich tun sollte.
Kenan versuchte anfangs, nicht mit Gewalt zu reagieren, aber Taha ließ ihm keine andere Wahl. Taha taumelte irgendwann vor sich hin, als er von Kenan aufstand und mich mit einer blutigen Nase anschaute.
»Ich bin dir fremdgegangen, aber dass du nach mir einen Kenan nimmst, zeigt nur, dass du nicht aus deinen Fehlern gelernt hast. Wenn du dachtest, dass ich schlimm sei, dann wünsche ich dir viel Glück bei dem hier.«, meinte er trocken, schaute uns beide noch einmal angeekelt an und verschwand dann.
»Kenan.«, sagte ich, als ich versuchte, mich so zu ihm zu bücken, dass mein Handtuch weiterhin saß.
»Eigentlich hätte ich es mir jetzt verdient, wenn dein Handtuch aus heiterem Himmel wegfliegen würde. Das wäre nur allzu fair.«, murmelte er, als er sich schmerzhaft das Blut von der Nase und der Schläfe wegwischte und ich ihn leicht lächelnd ansah.
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athena | 𝐤𝐞𝐧𝐚𝐧𝐲𝐢𝐥𝐝𝐢𝐳
FanfictionDie griechische Mythologie hatte Göttinnen mit schönen Namen, aber noch schöner waren die Frauen, die diese Namen trugen. Athena, die Vorzeigetochter, hatte oft mit den falschen Menschen verkehrt, doch nun traf sie auf jemanden, der alle bisherigen...