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Der Fluch.

Die Tage nach dem Treffen mit Morgana verschwammen für Lucian zu einem wirren Durcheinander aus Schmerz, Verwirrung und dem nie endenden Durst nach Blut. Seine einst so starke und stolze Gestalt war nun gebeugt, und sein Geist kämpfte darum, die Realität seiner neuen Existenz zu begreifen.

Er wanderte ziellos durch die Wälder, mied das Tageslicht und suchte die Dunkelheit, in der er sich sicherer fühlte. Doch mit jeder Nacht, die verstrich, wurde sein Durst unerträglicher. Er wusste, dass er trinken musste, um zu überleben, doch die Vorstellung, das Leben eines anderen Wesens zu nehmen, widerte ihn an.

Seine Gedanken kreisten unaufhörlich um Morgana und die Worte, die sie ihm gesagt hatte. Er erinnerte sich an das letzte Mal, als er ihr begegnet war – wie sie ihm ihren Fluch erklärt hatte, wie sie ihm klargemacht hatte, dass er für immer an die Dunkelheit gebunden sein würde. Der Hass, den er für sie empfand, war tief und allumfassend, doch genauso tief war die Verzweiflung, die ihn übermannte.

Er wusste, dass er kein Mensch mehr war. Der Fluch hatte ihn in etwas anderes verwandelt, etwas, das sich von der Dunkelheit ernährte und von einem unstillbaren Verlangen getrieben wurde. Doch er wollte es nicht akzeptieren. Er weigerte sich, das Monster zu werden, das Morgana aus ihm gemacht hatte.

Lucian versuchte, seine neuen Fähigkeiten zu verstehen und zu kontrollieren. Er spürte, wie seine Sinne geschärft waren, wie er Geräusche und Gerüche wahrnahm, die ihm zuvor entgangen waren. Doch mit dieser gesteigerten Wahrnehmung kam auch die Erkenntnis, dass er anders war – ein Außenseiter, der niemals mehr Teil der Welt sein würde, die er einst kannte.

Die Nächte wurden kälter, und Lucian merkte, dass er zunehmend auf sich allein gestellt war. Die Dorfbewohner, die einst seine Stärke und Schönheit bewundert hatten, begannen ihn zu meiden. Sie spürten, dass etwas mit ihm nicht stimmte, dass er sich verändert hatte. Die Angst in ihren Augen machte ihm klar, dass er nicht mehr zu ihnen gehörte.

Doch der Durst blieb. Und eines Nachts, als der Schmerz unerträglich wurde, gab er nach.

Es war ein einfacher Dorfbewohner, ein Mann mittleren Alters, der nach einem langen Tag in den Feldern nach Hause ging. Lucian hatte ihn beobachtet, wie er den schmalen Pfad entlangging, der durch den Wald führte. Er hatte versucht, den Drang zu unterdrücken, doch es war vergebens.

In einem Anfall von Wahnsinn sprang Lucian aus dem Schatten und stürzte sich auf den Mann. Er spürte, wie seine Zähne durch die Haut drangen, wie das warme Blut in seinen Mund floss und den Durst stillte, der ihn so lange gequält hatte. Für einen Moment fühlte er eine seltsame Erleichterung, eine Befriedigung, die er noch nie zuvor erlebt hatte.

Doch als der Mann leblos zu Boden sank, wurde Lucian von einer Welle der Reue und des Ekels überrollt. Er hatte erneut getötet, etwas, das er nie für möglich gehalten hätte. Der Geschmack des Blutes, der ihm eben noch so süß erschienen war, wurde nun bitter in seinem Mund.

Er sank neben dem toten Körper auf die Knie und spürte, wie die Tränen über sein Gesicht liefen. „Was hast du mir angetan, Morgana?" flüsterte er in die Nacht. „Warum musstest du mich in dieses Monster verwandeln?"

Doch die Nacht blieb stumm, und Lucian wusste, dass es keine Antwort auf seine Fragen geben würde. Er war nun ein Vampir, gebunden an die Dunkelheit, verdammt dazu, für immer zu töten, um zu überleben.

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Lucian - der Erste VampirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt