Kapitel Ⅷ - Das Gift der Zunge

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›Das Gift der Zunge ist oft tödlicher als das Gift der Schlange

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›Das Gift der Zunge ist oft tödlicher als das Gift der Schlange. Hüte dich vor süßen Worten und bitteren Wahrheiten gleichermaßen, denn beide können dein Verderben sein in dieser Welt der Schatten und Intrigen.‹
- Kainiten-Kodex, Vers 7:13

Das Gelächter der Kainiten brandete durch die große Halle wie eine Sturmflut, prallte von den steinernen Wänden ab und vermischte sich mit dem klangvollen Orchester klirrenden Metalls und dem dumpfen Grollen unzähliger Stimmen, jene wie Donner gegeneinander wetteiferten. Die Luft war schwer vom Dunst des Bieres und dem beißenden Geruch von Schweiß und Leder.
Inmitten dieses Hexenkessels der Ausgelassenheit saßen Roran und Thorne an einem langen Tisch aus Kiefernholz, dessen Oberfläche von zahllosen Narben und eingeritzten Geschichten vergangener Zechen zeugte. Ihre Köpfe waren so dicht zusammengesteckt, als teilten sie ein Geheimnis von solcher Brisanz, dass es die Grundfesten des Blutgipfels erschüttern könnte. Das flackernde Licht der Fackeln tanzte über ihre Gesichter, ließ ihre Züge in einem ständigen Spiel aus Licht und Schatten verschwimmen. Ihre Wangen glühten in einem tiefem Magenta, als hätte man sie mit flüssiger Glut überzogen - ein Zeugnis des reichlich geflossenen Honigwein und der fiebrigen Hitze, die in der Halle herrschte.
 »Und dann«, lallte Thorne, sein Atem eine Wolke aus Met und Blut, »dann sagte diese Elfe zu dem Bärtigen: ›Das ist kein Stamm, du Arschloch, das ist mein Schwanz! Und jetzt nimm gefälligst deine Axt da weg!‹«.
Roran brüllte vor Lachen und drosch auf den Tisch ein, als wollte er Thornes letzte Gehirnzelle erschlagen. Die Krüge hüpften wie betrunkene Hühner und der Met ergoss sich wie ein goldener Sturzbach über den Rand.
 »Bei den eitrigen Eiern des Allmächtigen, Thorne«, japste Roran, nach Luft ringend wie ein Fisch auf dem Trockenen. »Wo zum Henker gräbst du diese Scheiße aus?«
Thorne grinste so breit, dass man seine Beißerchen bis zum Horizont sehen konnte.
 »Nun, mein Freund«, flüsterte er verschwörerisch, »es gibt da dieses Mädel in der ›Tanzenden Nixe‹. Sie hat mir ein paar Dinge beigebracht, die eher mit horizontalem Tango zu tun haben ... Und glaub mir, ihre Zunge ist geschickter als die eines Drachen beim Flötenspiel.«
Er wackelte mit den Augenbrauen wie zwei betrunkene Raupen beim Paarungstanz, was Roran erneut in Gelächter ausbrechen ließ.
 »Ah, Bruder«, seufzte er schließlich, wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. »Es ist zu lange her, dass wir das getan haben. Einfach zusammensitzen, trinken, Witze reißen wie die Novizen, die wir einst waren.«
Thorne nickte, plötzlich ernst.
 »Es ist viel passiert, nicht wahr?«, sagte er leise, sein Blick verlor sich in den Tiefen seines Kruges. »So viel hat sich verändert. Wir haben uns verändert.«
Roran schwieg, ein schweres Gewicht schien sich auf seine Schultern zu legen. Thorne hatte recht. Sie waren nicht mehr die jungen, unbekümmerten Burschen von einst. Das Leben hatte sie gezeichnet, hatte ihnen Narben verpasst, die tiefer gingen als Haut und Knochen.
 »Weißt du noch«, sagte Thorne plötzlich, seine Stimme sanft von Nostalgie, »als wir Faelan diesen Eber ins Bett gelegt haben? Beim Erwachen hat er sich fast in die Hose gemacht vor Schreck.«
Roran schnaubte, aber ein kleines Lächeln zuckte um seine Mundwinkel.
 »Wie könnte ich das vergessen?«, erwiderte er. »Der Blick auf seinem Gesicht war unbezahlbar. Fast so gut wie damals, als wir Aldrics Stiefel mit Scheiße gefüllt haben.«
 »Oder die Gürtelhiebe danach. Mein Arsch tat noch monatelang weh.«
Sie lachten, verloren in Erinnerungen an eine einfachere Zeit. Eine Zeit vor Verantwortung und harten Entscheidungen, vor dem Gewicht der Welt, das auf ihren Schultern lastete.
 »He, Roran«, sagte Thorne plötzlich, ein schelmisches Funkeln in den Augen. »Was hältst du von einem kleinen Spiel? Nur du und ich, wie in alten Zeiten? Etwas ganz ... harmloses. Versprochen.«
Roran hob eine Augenbraue, Interesse und Misstrauen kämpften in seinem Blick.
 »Ein Spiel?«, wiederholte er langsam. »Was für ein Spiel? Jedes Mal, wenn ich mich darauf mit dir einlasse, endet es in einer Katastrophe.«
Thorne grinste, griff nach der Flasche Met und schenkte ihre Krüge randvoll.
 »Roran, wo denkst du nur hin? Ich? Anstifter von Katastrophen?«, sagte er, seine Stimme troff vor falscher Unschuld, »Komm, wirklich harmlos. Eine einfache Runde ... Ich hab noch nie.«
Roran stöhnte, aber ein widerwilliges Lächeln zuckte um seine Lippen.
 »Leck mich am Arsch«, knurrte er. »Das letzte Mal, als wir das gespielt haben, sind wir nackt in den Ställen aufgewacht, ohne Erinnerung an die Nacht zuvor.«
Thorne lachte, laut und unbekümmert.
 »Umso besser!«, rief er aus. »Wo bleibt denn sonst der Spaß? Also, was sagst du? Bist du dabei oder haben die Huren mehr Eier als du?«
Roran schüttelte den Kopf, aber er griff nach seinem Krug, hob ihn in einer stummen Herausforderung.
 »Hm, fein«, knurrte er. »Aber beschwer dich nicht, wenn du morgen mit dem Gesicht nach unten in deinem eigenen Erbrochenem aufwachst.«
Thorne grinste nur, stieß seinen Krug gegen Rorans.
 »So sei es«, sagte er feierlich. »Möge der Bessere gewinnen.«
So begannen sie zu trinken, sich gegenseitig mit immer dreisteren Behauptungen überbietend. Der Honigwein floss in Strömen, löste die Zungen und ließ die Hemmungen schwinden.
 »Ich habe noch nie ...«, begann Thorne, ein anzügliches Grinsen auf den Lippen, »...eine Elfe und eine Zwergin gleichzeitig gefickt.«
Er hob herausfordernd eine Augenbraue, aber Roran schnaubte nur und nahm einen tiefen Schluck aus seinem Krug.
 »Amateur«, spottete er. »Ich habe noch nie ... mit einem Sukkubus gekämpft und danach sie verführt.«
Thorne prustete in seinen Met, seine Augen weiteten sich ungläubig.
 »Du lügst«, keuchte er. »Kein Sterblicher überlebt eine Nacht mit einem Sukkubus!«
Roran zuckte nur mit den Schultern, ein selbstgefälliges Lächeln auf den Lippen.
 »Wer sagt, dass ich sterblich bin?«, fragte er nonchalant und genoss Thornes fassungslosen Gesichtsausdruck.
Gerade, als der Weiße zu einem besonders pikanten Geständnis ansetzen wollte, wechselte sein narbiger Freund abrupt das Thema.
 »Sag mal«, begann er, plötzlich ernst, »was ist eigentlich mit deinem Mädchen passiert? Nach ihrem Abgang heute Morgen, meine ich. Ich hab sie nicht mehr gesehen.«
Roran erstarrte, die Heiterkeit wich aus seinem Gesicht wie Farbe aus einem alten Wandteppich. Er starrte in seinen Krug, als könne er darin die Antworten finden, die er suchte.
 »Was meinst du?«, fragte er ausweichend, aber seine Stimme klang hohl und falsch selbst in seinen eigenen Ohren.
Thorne schnaubte ungeduldig.
 »Komm schon, Alter«, drängte er. »Ich mag betrunken sein, aber ich bin nicht blöd. Die ganze verdammte Festung spricht darüber. Das Mädchen soll Magie gewirkt haben, unkontrolliert. Es hat einige ... beunruhigt.«
Roran fühlte, wie sich seine Eingeweide zusammenzogen. Er hatte gewusst, dass die Gerüchte sich verbreiten würden, schneller als ein Lauffeuer in einem trockenen Wald. Aber es aus Thornes Mund zu hören, gab der Sache eine erschreckende Realität.
Seufzend stellte er seinen Krug ab und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, schlagartig unendlich müde.
 »Es war ein Unfall«, sagte er leise. »Sie hat die Kontrolle verloren, über ihre Emotionen, ihre Kräfte. Es war ... intensiv.«
Thorne lehnte sich vor, sein Blick bohrend und forschend.
 »Was genau ist passiert, Roran?«, fragte er eindringlich. »Stimmt es, was sie sagen?«
 »Ja.«
Er erzählte. Von Helaenas Wutausbruch, von der Magie, die aus ihr herausgebrochen war wie eine Flutwelle aus einem geborstenen Damm. Von seiner eigenen Hilflosigkeit und Verzweiflung angesichts einer Macht, die er nicht begreifen konnte.
Anschließend herrschte langes Schweigen. Thorne starrte ihn an, sein Gesicht eine Maske aus Schock und Entsetzen.
 »Bei allen Höllen«, flüsterte er heiser. »Das ist ... Roran, das ist nicht gut. Du kannst sie nicht einfach angreifen. Wenn du es vormachst, werden die anderen hinterfragen, weshalb sie sich zurückhalten sollen.«
 »Denkst du, das weiß ich nicht?«, fuhr Roran auf, plötzlich wütend. »Aber was soll ich tun, verflucht nochmal?«
Thorne schüttelte langsam den Kopf, ein Ausdruck tiefster Sorge auf seinem vernarbten Gesicht.
 »Du wolltest sie beschützen«, sagte er leise, aber bestimmt. »Und das musst du. Aber du bringst sie hier noch mehr in Gefahr und andere auch.«
Roran spürte, wie sich seine Hände zu Fäusten ballten, wie blinde Wut in ihm aufstieg.
 »Ach ja?«, zischte er. »Und was schlägst du vor? Soll ich sie in die Wildnis jagen, den Monstern zum Fraß vorwerfen? Oder sie vielleicht direkt der Bruderschaft übergeben, damit die sich ihrer annehmen können?«
Thorne seufzte schwer, fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
 »Man, das meine ich nicht, das weißt du«, sagte er, bemüht ruhig zu bleiben. »Aber sieh dich doch an, Roran. Du bist ein Wrack, kaum fähig, für dich selbst zu sorgen, geschweige denn für ein Kind mit solch einer Macht. Nicht in dem Zustand grade. Vielleicht ... vielleicht wäre es das Beste, wenn jemand anderes-«.
 »Ah - da weht der Wind. Jemand wie du, ja?«, unterbrach ihn Roran schroff, seine Stimme vor Sarkasmus triefend. »Der große Thorne, Retter der Unschuldigen und Bezwinger der Bestien. Denkst du wirklich, du könntest es besser? Dass du das Recht hast, mir meine Tochter wegzunehmen?«
Thorne erbleichte, aber er wich nicht zurück.
 »Ich will sie dir nicht wegnehmen, verdammt«, sagte er fest. »Wenn nicht ich, dann ein anderer. Aber so kann und darf es nicht weitergehen. Das siehst du doch selbst.«
Roran starrte ihn an, Zorn und Verzweiflung rangen in seinem Blick um die Oberhand. Ein Teil von ihm wollte aufspringen, wollte brüllen und toben und auf Thorne einschlagen, bis nichts mehr übrig war als eine blutige Masse. Aber ein anderer Teil, der Teil, der noch klar denken konnte, wusste, dass sein Freund recht hatte.
Mit einem gequälten Laut ließ er sich zurück auf die Bank fallen, das Gesicht in den Händen vergraben.
 »Was soll ich nur tun?«, flüsterte er gebrochen. »Sie ist alles, was ich habe ... von ihr. Ich kann sie nicht verlieren. Ich habe es versprochen.«
Thorne schwieg einen langen Moment. Dann, zögerlich, legte er Roran eine Hand auf die Schulter, drückte sanft zu.
 »Wir finden einen Weg«, sagte er leise, aber mit Nachdruck. »Aber du musst dir helfen lassen. Denn wenn nicht ...«
Er ließ den Satz unvollendet, aber seine Bedeutung hing schwer und drohend zwischen ihnen. Roran schluckte, nickte stumm. Er wusste, dass Thorne recht hatte. Aber der Gedanke, Helaena zu verlieren, selbst wenn es zu ihrem eigenen Besten war, war mehr, als er ertragen konnte.
Die Stille dehnte sich zwischen ihnen aus, schwer von unausgesprochenen Ängsten und düsteren Vorahnungen. Roran starrte blicklos vor sich hin, verloren in einem Strudel aus Schuld, Wut und lähmender Hilflosigkeit. Er wusste nicht, wie lange er so dasaß, gefangen in seinem eigenen persönlichen Albtraum.
Aber schließlich, war es Thorne, der die Stille durchbrach, seine Stimme vorsichtig und behutsam, als spreche er zu einem scheuen Tier.
 »Roran«, sagte er sanft, »hat Aldric schon davon erfahren? Von dem, was passiert ist?«
Roran hob den Kopf, sein Blick trüb und erschöpft, als hätte die Last der Welt selbst sich auf seine Schultern gelegt.
 »Ich weiß es nicht«, murmelte er, seine Stimme kaum mehr als ein heiseres Flüstern. »Vielleicht. Wahrscheinlich. Dem alten Mann entgeht nichts, was in diesen verdammten Mauern vor sich geht. Mit Sicherheit weiß er davon. Wundert mich nur, dass noch nichts kam ... diese Stille bedeutet nichts Gutes.«
Thorne nickte ernst, nahm einen tiefen Schluck aus seinem Krug.
 »Du solltest mit ihm reden«, sagte er. »Ihm erklären, was passiert ist. Er ist klug, Roran. Und er hat mehr Erfahrung mit solchen Dingen als wir beide zusammen. Wenn jemand weiß, was zu tun ist, dann er. Und das am besten bevor-«
Roran lachte freudlos, ein bitterer, hässlicher Laut.
 »Oh, ich weiß, was er tun wird«, spuckte er aus. »Er wird tun, was der verfluchte Kodex verlangt. Er wird sie als Bedrohung sehen, als etwas, das ausgelöscht werden muss. Als ... eine Art der Gnade. Und weißt du was? Vielleicht hat der alte Bastard sogar recht damit.«
Thorne sah ihn scharf an, Überraschung und Bestürzung kämpften in seinem Blick um die Oberhand.
 »Das meinst du nicht ernst«, sagte er ungläubig. »Du hast zu viel getrunken, man. Sie ist deine Tochter.«
 »Und was für eine Tochter!«, fauchte Roran, plötzlich wütend. »Vielleicht haben sie alle Recht ... Vielleicht wäre es gnädiger, es jetzt zu beenden, bevor-«.
Weiter kam er nicht, denn mit einem Ruck hatte Thorne sich über den Tisch gelehnt und seine Hände gruben sich schmerzhaft in Rorans Schultern.
 »Hör auf damit, verdammt nochmal!«, zischte er, seine Stimme vibrierend vor unterdrückter Emotion. »Hör auf, so zu reden, du betrunkenes Arschloch. Sie braucht dich jetzt mehr denn je.«
Roran schluckte schwer, wandte den Blick ab. Er konnte den Ausdruck in Thornes Augen nicht ertragen, diese Mischung aus Mitleid und Enttäuschung.
 »Es gibt da noch etwas«, sagte er schließlich leise, mehr zu sich selbst als zu seinem Freund. »Etwas, das ich dir noch nicht erzählt habe.«
Thorne runzelte die Stirn, ließ Roran los und lehnte sich zurück.
 »Hm. Dachte ich mir schon. Was ist es?«, fragte er vorsichtig.
Roran zögerte, rang sichtlich mit sich. Dann, mit einem tiefen Atemzug, begann er zu erzählen. Von der Situation, in der er das Ätherskop benutzt hatte. Von Morrigans Gesicht, verzerrt vor Angst und Schmerz. Von der dunklen Gestalt, die sie angegriffen und sie aus seiner Reichweite gerissen hatte.
Thornes Gesicht war aschfahl, seine Augen geweitet in namenlosen Schrecken.
 »Das ... ist übel«, flüsterte er. »Morrigan ... angegriffen? Hätte nicht gedacht, dass sich das jemand traut. Dann muss es jemand sein, der ... mächtiger ist als sie. Oder mehrere. Hast‹ nen Verdacht?«
Roran schüttelte den Kopf, hilflose Wut brannte in seinem Blick.
 »Ich weiß es nicht«, presste er hervor. »Aber wer immer es war, er wusste, was er tat. Er wusste von Helaena, von ihrer Verbindung zu Morrigan. Und er wollte nicht, dass ich davon erfahre.«
Thorne schwieg lange, sein Gesicht eine Maske der Konzentration, als versuche er, die Puzzleteile zusammenzusetzen.
 »Ihr eigener Clan?«, fragte er schließlich zögernd. »Könnte es sein, dass sie ...?«
Aber bevor Roran antworten konnte, schnitt eine scharfe, höhnische Stimme durch den Raum, ließ sie beide herumfahren.
 »Ah, die Bruderschaft«, spottete Faelan, der plötzlich wie aus dem Nichts neben ihrem Tisch aufgetaucht war. Sein rabenschwarzes Haar ergoss sich über seine Schulter. »Der Orden der Rechtschaffenen, der Hüter der Menschheit.«
Er lachte, ein grausames, freudloses Geräusch.
 »Wie ironisch«, fuhr er fort, seine Stimme troff vor falscher Süßlichkeit, »dass ausgerechnet Morrigan, die ach so mächtige Zauberin, ihren eigenen Leuten zum Opfer fällt. Fast schon poetisch, findet ihr nicht?«
Roran spürte, wie sich seine Hände zu Fäusten ballten, wie blinde Wut in ihm aufstieg. Der Anblick von Faelans höhnischer Fratze, die Art, wie er Morrigans Namen aussprach, als wäre er etwas Schmutziges, Verächtliches ... Es war mehr, als er ertragen konnte.
Aber bevor er etwas tun oder sagen konnte, war Thorne aufgesprungen, hatte sich schützend vor ihn gestellt.
 »Ich glaube, es wäre besser, wenn du jetzt gehst, Faelan«, knurrte er, seine Stimme so kalt und hart wie Stahl. »Ich denke, das geht dich nichts an.«
Der schwarze Rabe lachte nur spottend.
 »Oh, nicht? Wie ... überaus verwunderlich«, schnurrte er. »Dabei dachte ich doch, es ist meine Pflicht als Teil dieses Ordens, dafür zu sorgen, dass unser Kodex eingehalten wird. Und unsere kleine Schneeflocke hier«, er deutete auf Roran, schnippste eine seiner weißen Strähnen weg mit einem boshaften Glitzern in den Augen, »scheint da ja einige Schwierigkeiten zu haben, nicht wahr?«
Roran spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoss, wie seine Zähne knirschten vor unterdrückter Wut. Er wollte aufspringen, wollte auf Faelan losgehen, ihn zu Boden prügeln, bis nichts mehr von diesem arroganten Grinsen übrig war.
Aber Thornes Hand auf seiner Schulter hielt ihn zurück, drückte ihn unnachgiebig auf die Bank.
 »Ich sage es nicht noch einmal, Faelan«, zischte der vernarbte Kainit, jedes Wort eine kaum verhüllte Drohung. »Verschwinde. Sofort.«
Für einen Moment sah es so aus, als würde Faelan widersprechen wollen. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, sein Körper spannte sich an wie eine Raubkatze kurz vor dem Sprung. Aber schließlich, mit einem Achselzucken, trat er zurück.
 »Kein Grund, dir dein zweites Auge auszukratzen«, sagte er gedehnt. »Ich will mich ja nicht in euren kleinen Teeklatsch einmischen. Aber ...«
Er beugte sich vor zu Roran, sein Gesicht plötzlich hart und grausam, nah an seinem Ohr.
 »Du tätest gut daran, besser auf sie aufzupassen«, flüsterte er, seine Stimme so sanft wie fallender Schnee. »Wer weiß, welche Schatten sich in der Nacht an sie heranschleichen, welche Klauen nach ihrem zarten Fleisch greifen. Es wäre doch zu schade, wenn ihrer ... Einzigartigkeit ... etwas zustoßen würde, nicht wahr?«
Mit diesen Worten drehte er sich um und schlenderte davon, ein Pfeifen auf den Lippen und einen Hauch von Finsterkeit in seiner Haltung.
Roran starrte ihm nach, sein Herz hämmerte, seine Hände zitterten vor ohnmächtiger Wut und Angst. Faelans Worte hallten in seinem Kopf wider, eine endlose Litanei der Drohung und des Schreckens.
Mit einem Satz erhob er sich vom Tisch, ließ die Krüge umstoßen.
Was hatte er gemeint? Wusste er etwas, das Roran nicht wusste? Und wenn ja, was bedeutete das für Helaena? Für ihre Sicherheit, ihr Leben?
Rorans Schritte hallten durch die leeren Gänge des Blutgipfels, ein hektisches, unregelmäßiges Stakkato, jenes seine innere Aufruhr widerspiegelte. Hinter ihm konnte er Thornes schwere Stiefel hören, ein stetiger Rhythmus, der ihm folgte wie ein zweiter Herzschlag.
Aber Roran beachtete ihn kaum, zu sehr gefangen in dem Strudel aus Angst und Panik, der durch seine Adern pulsierte. Faelans Worte hatten sich in sein Hirn gebrannt, ein glühendes Mal der Drohung und des Schreckens.
Bei den Göttern, was, wenn er bereits zu spät war? Was, wenn jemand Helaena gefunden hatte, sie verletzt hatte oder Schlimmeres, während er in der großen Halle gesessen und sich betrunken hatte wie der letzte Narr?
Der Gedanke ließ ihn schneller laufen, bis er beinahe rannte, seine Lungen brannten, sein Herz hämmerte gegen seine Rippen, als wolle es aus seiner Brust springen. Endlich, nach einer Ewigkeit aus flackernden Fackeln und endlosen Steinwänden, erreichte er die Tür zu seinem Zimmer.
Mit zitternden Fingern riss er sie auf, stolperte hinein, Thornes Namen auf den Lippen, ein erstickter Schrei nach Hilfe und Beistand. Aber der Laut erstarb in seiner Kehle, als sein Blick auf das schmale Bett in der Ecke fiel.
Dort, eingewickelt in zerschlissene Decken, lag Helaena, ihr weißes Haar ergoss sich auf dem groben Kissen. Ihr Gesicht war friedlich, entspannt im Schlaf, die Brust hob und senkte sich in einem sanften, gleichmäßigen Rhythmus.
Für einen Moment konnte Roran nur starren, überwältigt von einer Welle der Erleichterung, die so intensiv war, dass seine Knie nachgaben. Sie lebte. Sie war unverletzt. Was auch immer Faelan angedeutet hatte, es war nicht geschehen. Noch nicht.
Aber dann, gerade als er einen zittrigen Atemzug nahm, sah er es. Der fleckige Verband, jener sich um Helaenas Hals schlang, direkt über der Stelle, an der sein Dolch sie gestreift hatte.
Mit zwei langen Schritten war er am Bett, fiel auf die Knie, seine Hände schwebten über dem schlafenden Kind, zitternd und unsicher. Vorsichtig, unendlich vorsichtig, schob er das Leinen zur Seite, enthüllte die darunter liegende Haut.
Die Wunde war sauber und ordentlich versorgt, die Ränder mit einer dicken, gelblichen Paste bestrichen, die stark nach Heilkräutern und Alkohol roch. Jemand hatte sich um Helaena gekümmert. Jemand hatte ihre Verletzung behandelt, so fachkundig, als habe er jahrelange Erfahrung mit solcherlei Dingen. Aber wer? Und weshalb?
Rorans Gedanken rasten, während sein Blick hektisch durch den Raum huschte, auf der Suche nach einem Hinweis, einem Zeichen, irgendetwas. Aber da war nichts. Keine Fußspuren im Staub, keine verräterischen Gegenstände. Wer auch immer hier gewesen war, er war vorsichtig gewesen, hatte seine Spuren verwischt wie ein Geist.
 »Roran?«
Thornes Stimme ließ ihn herumfahren, eine Hand instinktiv zum Schwertgriff zuckend. Aber es war nur sein Freund, der mit besorgtem Gesicht im Türrahmen stand, die Augen geweitet in stumme Frage.
Der Weiße schluckte schwer, deutete mit einem Nicken auf Helaena.
 »Jemand war hier«, presste er hervor, seine Stimme rau und fremd in seinen eigenen Ohren. »Jemand hat ihre Wunde versorgt, ihre Wunde, die ich ... die ich ihr zugefügt habe.«
 »Du hattest sie nicht behandelt?«
 »Ich – es war nur ein Kratzer
Thorne trat näher, beugte sich über das Bett, um den Verband genauer zu inspizieren. Ein Stirnrunzeln huschte über sein Gesicht, eine Mischung aus Verwunderung und Besorgnis.
 »Wer könnte-?«, begann er, aber Roran schüttelte nur den Kopf, eine hektische, beinahe manische Geste.
 »Ich weiß es nicht«, zischte er. »Aber wer immer es war, er weiß Bescheid. Was ich getan hatte – bei den Göttern, Thorne, wenn das die falsche Person war-«.
Er brach ab, unfähig den Gedanken zu Ende zu führen. Die Möglichkeiten waren zu schrecklich, zu dunkel, um sie auch nur in Worte zu fassen.
 »Vielleicht war es nur Aldric«, wandte Thorne ein.
In diesem Moment regte Helaena sich, wälzte sich unruhig in ihrem Kokon aus Decken. Ihre Lippen bewegten sich, formten lautlose Worte, als führe sie ein Gespräch mit jemandem, den nur sie sehen konnte.
Roran beugte sich vor, sein Ohr dicht an ihrem Mund, versuchte verzweifelt, einen Sinn in ihrem schlaftrunkenen Gemurmel zu finden. Zunächst konnte er nichts verstehen, nur zusammenhanglose Silben und abgehackte Seufzer. Aber dann, ganz plötzlich, fing er ein paar Worte auf, kaum mehr als ein Hauch in der Stille.
 »Blut endet ... beginnen wir ...«

Das Ätherkind - Asche und BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt