›Das Blut ist heilig, der Schwur ewig. Wer das eine vergießt, bricht das andere.‹
- Kainiten-Kodex, Vers 2:18Die Klinge zerschnitt die Stille des Waldes mit einem grausamen Zischen, gefolgt von einem dumpfen Aufprall. Der abgetrennte Kopf des Monsters rollte durch das Unterholz, eine schleimige Spur aus schwarzem, zähflüssigem Blut auf dem feuchten Boden hinterlassend. Die plötzliche Stille lastete schwer und drückend, nur durchbrochen vom keuchenden Atem des Kämpfers.
Mit einem missmutigen Knurren stieß der Mann die Leiche mit dem Fuß an. Der aufgedunsene Körper wankte und sackte in sich zusammen wie ein Sack fauliger Eingeweide. Ein bestialischer Gestank nach Verwesung und ätzender Säure stieg auf, ließ ihn würgen. Er spuckte aus, der bittere Geschmack von Galle und Blut klebte auf seiner Zunge wie eine widerliche Erinnerung an den Kampf.
»Verdammter Bastard«, murmelte er, während er sein Schwert am zerlumpten Umhang der Kreatur abwischte. Die Klinge schimmerte im fahlen Mondlicht wie flüssiges Silber - tödlich und verführerisch zugleich. Ein treuer Gefährte in einer Welt voller Schatten und Schrecken.
Mit einem letzten, angewiderten Blick auf die Überreste seines Gegners wandte sich der Kämpfer ab und drang tiefer in den Wald vor. Äste knackten unter seinen schweren Stiefeln, Blätter raschelten wie dürre Knochen in einem vergessenen Grab. Eine unnatürliche Kälte hing zwischen den Bäumen, kroch unter seine Haut und ließ ihn frösteln, trotz des Schweißes, jener ihm den Rücken hinablief.
Er hasste diese verdammten Wälder. Hasste die tückischen Schatten, die sich in jeder Ecke verbargen, die trügerische Stille, die jederzeit von den Schreien eines Monsters zerrissen werden konnte. Aber dies war sein Leben, seine Bestimmung. Jagen, töten, überleben. Ein endloser Kreislauf aus Blut und Tod, seit dem Tag, an dem er aus der Schattentaufe auferstanden war.
Seufzend lehnte er sich gegen einen knorrigen Baumstamm, schloss für einen Moment die Augen. Erschöpfung zerrte an seinen Gliedern, machte sie schwer wie Blei. Wie lange war er schon unterwegs? Tage? Wochen? Die Zeit verschwamm hier draußen, verlor jede Bedeutung angesichts der ständigen Bedrohung.
Mit geübten Bewegungen zog er sein Jagdmesser aus dem Gürtel und begann, einen Unterstand zu bauen. Äste biegen, Zweige flechten, Blätter als Dach - eine Routine, die er im Schlaf beherrschte. Es war nicht viel, aber es würde genügen, um ihn vor dem Schlimmsten zu schützen. Vor dem, was in der Dunkelheit lauerte, mit hungrigen Augen und scharfen Krallen.
Als der improvisierte Unterschlupf endlich stand, ließ er sich mit einem erleichterten Ächzen auf den weichen Waldboden sinken. Seine Muskeln schrien vor Anstrengung, ein dumpfes Pochen hinter seinen Schläfen kündigte eine nahende Migräne an. Er brauchte Ruhe, dringend. Aber Ruhe war ein seltener Luxus in diesen finsteren Zeiten.
Mit einem bitteren Lächeln fischte er eine Flasche Kräuterwhisky aus seinem Rucksack, entkorkte sie mit den Zähnen. Der scharfe Geruch von Alkohol und Medizin stieg ihm in die Nase, brannte in seinen Lungen. Aber er nahm trotzdem einen tiefen Schluck, spürte, wie die Flüssigkeit wie loderndes Feuer seine Kehle hinabran, um sich dann wohlig in seinem Magen auszubreiten.
Für einen kostbaren Moment erlaubte er sich, die Augen zu schließen, einfach nur zu atmen. Hier, umgeben von Erde und Schatten, konnte er fast vergessen, was er war. Ein Monsterjäger. Ein Kainit. Ein Ausgestoßener in einer Welt, die ihn fürchtete und verachtete zugleich.
Doch dann durchbrach ein Geräusch die nächtliche Stille des Waldes, so leise, dass es fast in den natürlichen Lauten untergegangen wäre. Ein Knacken, ein Rascheln, das Schnappen eines Zweiges. Sofort war er wieder hellwach, jeder Muskel angespannt, die Sinne geschärft. Seine Finger schlossen sich fester um den Griff seines Schwertes, bereit zuzustechen, zu töten.
Langsam, ganz langsam wandte er den Kopf in die Richtung des Geräusches, die Augen zwischen den weißen Strähnen zu silbernen Schlitzen verengt. Sein Atem ging flach und kontrolliert, das Herz hämmerte gegen seine Rippen. Er wartete, lauschte, jede Faser seines Seins darauf ausgerichtet, die Gefahr auszumachen, bevor sie ihn erwischte.
Und dann sah er sie. Eine kleine Gestalt, halb verborgen hinter einem Baum, kaum mehr als ein Schatten in der Dunkelheit. Aber er spürte ihre Anwesenheit, spürte das Gewicht ihres Blickes auf sich ruhen. Seine Muskeln spannten sich, bereit zum Angriff.
Doch bevor er sich bewegen konnte, trat die Gestalt ins fahle Mondlicht, und der Kämpfer erstarrte. Es war ein Kind. Ein kleines Mädchen, zerbrechlich und zart wie eine Porzellanpuppe. Langes Haar aus Schnee fiel ihr in Wellen über die schmalen Schultern, die blasse Haut schimmerte wie Alabaster im silbrigen Licht. Doch es waren ihre Augen, die ihn innehalten ließen, die ihm den Atem raubten. Ein Auge golden wie Bernstein, das andere silbern wie Mondlicht. Die Augen einer Kainitin.
Der Mann starrte sie an, unfähig, sich zu rühren. Sein Verstand weigerte sich, zu begreifen, was seine Augen sahen. Ein Kind, hier, mitten im Wald? Und dann noch eines mit den Augen eines Kainiten? Es ergab keinen Sinn, passte nicht in die Sicht, die er kannte – außer, es war gar kein Kind.
Das Mädchen erwiderte seinen Blick, furchtlos, obwohl sie zitterte. In ihren ungleichen Augen lag eine Weisheit, eine Traurigkeit, die nicht zu ihrem zarten Alter passte. Sie wirkte gleichzeitig fremd und seltsam vertraut, als wäre sie einem halb vergessenen Traum entsprungen.
Sehr bedächtig löste sich der Kämpfer aus seiner Starre. Er ließ das Schwert sinken, ohne es jedoch loszulassen. Sein Verstand raste, suchte nach einer Erklärung, einem Sinn in diesem Wahnsinn. Aber da war nichts, nur Fragen über Fragen, die sich in seinem Kopf überschlugen.
»Wer bist du?«, fragte er schließlich, seine Stimme rau und brüchig in der Stille des Waldes. »Oder eher ... was bist du?«
Das Mädchen antwortete nicht sofort. Stattdessen griff sie in eine Tasche ihres Kleides, zog ein zusammengefaltetes Stück Pergament hervor. Mit zitternden Fingern hielt sie es ihm entgegen, ein stummes Angebot, eine Aufforderung.
Zögernd trat der Mann näher, nahm das Pergament entgegen. Der Geruch von Lavendel stieg ihm in die Nase, schmerzhaft vertraut. Ein Duft aus der Vergangenheit, den er längst vergessen geglaubt hatte. Mit klopfendem Herzen entfaltete er den Brief, überflog die elegant geschwungenen Zeilen. Und mit jedem Wort, das er las, wurde sein Gesicht bleicher, seine Augen größer, bis er schließlich mit einem erstickten Laut zu Boden sank.
»Nein«, flüsterte er, starrte ungläubig auf das Blatt in seinen Händen. »Nein, das kann nicht sein ... Das ist unmöglich.«
Aber die Worte standen da, schwarz auf weiß, unerbittlich in ihrer Klarheit. Und als er erneut zu dem Mädchen aufsah, zu dem Kind mit dem Bernsteinauge und dem silbernen Blick, da wusste er, dass es wahr sein musste. So unmöglich, so ungeheuerlich es auch schien.
Helaena. Seine Tochter. Eine Kainitenbrut, von der es keine Aufzeichnungen gab, weil sie stets im Mutterleib getötet wurden. Und nun stand sie vor ihm, lebendig und atmend.
»Scheiße«, flüsterte er, vergrub das Gesicht in den Händen. Die Erde um ihn herum schien zu schwanken, als hätte jemand den Boden unter seinen Füßen weggezogen.
Das Mädchen kauerte im Gebüsch, zitternd wie Espenlaub im Herbstwind. Ihre ungleichen Augen, geweitet vor Angst, hefteten sich auf den Mann, der wie ein wütender Bär vor ihr auf- und abstapfte. Seine Wut war greifbar, ein lebendiges, zorniges Ding, das in der Luft zwischen ihnen knisterte.
»Verdammte Scheiße!«, knurrte er, fuhr sich mit der Hand durchs dreckige Haar, ein hektisches Auf und Ab. »Verdammte, verfluchte Scheiße!«
Das Mädchen wimmerte, drückte sich tiefer in die Schatten. Der Blick des Mannes zuckte zu ihr, hart und kalt wie geschliffener Stahl. In diesem Moment sah er mehr Monster als Mensch aus, ein wildes Geschöpf, getrieben von einem Zorn, den sie nicht verstand.
Langsam, ganz langsam, trat er näher, ein Raubtier auf der Pirsch. Seine Stiefel knirschten auf dem Waldboden, jeder Schritt ein unheilvolles Versprechen. Das Mädchen erstarrte, wagte, kaum zu atmen. Tränen liefen über ihre blassen Wangen, hinterließen glitzernde Spuren im Mondlicht.
»Komm raus da«, knurrte er, seine Stimme rau wie Sandpapier. »Sofort.«
Sie zögerte, für einen Herzschlag, zwei. Dann, mit zitternden Gliedern, kroch sie aus dem Gebüsch, ein verlorenes Lämmchen vor dem Wolf. Ihr weißes Kleid war zerknittert, mit Erde und Blättern beschmutzt. Sie sah so klein aus, so zerbrechlich wie eine Puppe aus feinstem Porzellan. Vier Winter soll sie gewachsen sein.
Der Mann musterte sie, die Augen zu Schlitzen verengt. Seine Hand zuckte zum Schwertgriff, ein instinktiver Reflex. Das Mädchen zuckte zusammen, schlang die dünnen Arme um sich selbst, als könne sie sich so schützen.
»Helaena, hm?«, knurrte er, jedes Wort ein scharfes Bellen. »Was zur Hölle soll ich mit dir anfangen?«
Sie antwortete nicht, starrte ihn nur an mit diesen unmöglichen Augen, golden und silbern, Licht und Schatten in einem Blick vereint. Etwas in ihm zuckte, ein ferner Schmerz, eine verschwommene Erinnerung. Er schüttelte den Kopf, verbannte die Gedanken in die Tiefen seines Geistes.
»Kannst du nicht sprechen, Gör?«
Erneut keine Antwort.
Mit einem Knurren wandte er sich ab, tigerte auf und ab wie ein gefangenes Tier. Seine Gedanken rasten, wirbelten durcheinander wie Blätter im Sturm. Ein Kind. Eine Kainitenbrut. Sein Kind. Wie konnte sie ihm das antun? Nach all den Jahren, nach allem, was sie durchgemacht hatten?
Das Mädchen beobachtete ihn, stumm und verängstigt. Ihre kleinen Hände umklammerten den Saum ihres Kleides, so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten. Sie verstand nicht, was geschah, wusste nur, dass der große, furchterregende Mann vor ihr irgendwie mit ihrer Mutter verbunden war. Und dass er wütend war, so wütend, dass sie es bis in ihre Knochen spüren konnte.
Schließlich hielt der Kämpfer inne, fuhr sich mit der Hand abermals übers Gesicht. Seine Schultern sackten herab, als hätte jemand ein unsichtbares Gewicht darauf gelegt. Er sah zu dem Mädchen, zu Helaena, und etwas in seinem Blick veränderte sich, wurde weicher, fast schon verletzlich.
»Na schön«, knurrte er, mehr zu sich selbst als zu ihr. »Na schön. Komm mit.«
Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und stapfte davon, zurück zu seinem Lager. Nach einem Moment des Zögerns folgte Helaena ihm, ihre kleinen Füße hinterließen kaum eine Spur auf dem weichen Waldboden.
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Das Ätherkind - Asche und Blut
FantasíaDas Silber des Dolches glänzt im Kerzenschein, als Roran Sturmtide die Klinge gegen die Brust seiner schlafenden Tochter hebt. Ein Stoß genügt - seine Pflicht wäre erfüllt, der Kodex gewahrt. Doch seine Hand zittert, Schweiß rinnt ihm über die verna...