Kapitel Ⅵ - Bruder für Bruder

20 5 0
                                    

›Der Bund der Bruderschaft ist geschmiedet in Asche und Blut, gehärtet in den Feuern der Prüfung

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.

›Der Bund der Bruderschaft ist geschmiedet in Asche und Blut, gehärtet in den Feuern der Prüfung. Wer ihn leichtfertig zerreißt, der zerreißt sein eigenes Fleisch.‹
- Kainiten-Kodex, Vers 6:9

Der modrige Geruch von vergessenen Erinnerungen und vergangenem Leben schlug ihnen entgegen, als Roran die schwere Eichentür zu seinem alten Gemach aufstieß. Das Holz ächzte wie ein sterbender Greis, protestierte gegen die plötzliche Bewegung nach Jahren der Vernachlässigung. Helaena huschte an ihm vorbei, ihre kleinen Füße wirbelten Staubwolken auf, die im schwachen Licht der Fackeln tanzten wie geisterhafte Gestalten längst vergangener Zeiten.
Das Zimmer war klein, beinahe winzig im Vergleich zu den mächtigen Hallen des Blutgipfels. Ein schmales Bett, kaum mehr als eine harte Pritsche, stand an der einen Wand, das Leinen vergilbt und von Motten zerfressen. Gegenüber thronte ein schlichter Holzstuhl vor einem wackeligen Tisch, auf dem noch immer ein halb ausgerolltes Pergament lag, die Tinte längst verblasst zu unleserlichen Schlieren.
Roran beobachtete, wie Helaena zögernd durch den Raum schritt, ihre ungleichen Augen huschten neugierig umher, nahmen jedes Detail in sich auf. Doch da war eine Stille um sie, eine gedämpfte Aura, die ihm das Herz schwer werden ließ. Seit ihrer Erkenntnis über ihre Verbindung war sie in sich gekehrt, als würde sie die Last dieser Wahrheit noch verarbeiten.
 »Nicht gerade der Palast einer Prinzessin, was?«, brummte Roran, versuchte, die Stimmung mit einem schiefen Grinsen aufzulockern. Helaena zuckte nur mit den Schultern, ihre kleinen Finger strichen über die staubige Oberfläche des Tisches.
 »Es ist ... anders«, murmelte sie schließlich, ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch.
Roran seufzte schwer, ließ sich auf das knarrende Bett sinken. Die Matratze gab unter seinem Gewicht nach, als würde sie jeden Moment zusammenbrechen.
 »Weißt du, Mädchen«, begann er, seine Stimme rau wie Schmirgelpapier, »ich war nicht immer der grimmige alte Sack, den du jetzt vor dir siehst. Gab mal ›ne Zeit, da war ich so klein und nervtötend wie du.«
Helaenas Kopf ruckte hoch, ein Funken Interesse in ihren Augen.
 »Wirklich?«
Roran lachte, ein Geräusch wie brechendes Glas.
 »Oh ja. Stell dir vor, ich war mal ein kleiner Bengel in einem Fischerdorf an der Küste. Meine Mutter, die Götter mögen ihrer Seele gnädig sein, war eine Heilerin. Kannte jedes Kraut und jede Wurzel, die gegen Wehwehchen half. Und mein Vater ...« Er hielt inne, ein Schatten huschte über sein Gesicht. »Nun, er war ein harter Mann. Aber er lehrte mich, was es heißt, stark zu sein.«
Helaena näherte sich vorsichtig, setzte sich neben ihn aufs Bett.
 »Und dann?«, fragte sie leise.
Roran starrte in die Ferne, als könne er durch die steinernen Mauern hindurch die Vergangenheit sehen.
 »Dann ... kamen die Kainiten. Sahen etwas in mir, das ich selbst nicht verstand. Und ehe ich mich versah, war ich hier. In diesem Zimmer, lernte zu kämpfen und zu töten.«
Er schüttelte den Kopf, als wolle er die Erinnerungen vertreiben.
 »Aber genug von alten Geschichten. Lass uns diesen Schweinestall etwas aufräumen, hm? Kannst ja schlecht im Dreck schlafen.«
Helaena nickte stumm.
Gemeinsam machten sie sich daran, das Zimmer in einen bewohnbaren Zustand zu versetzen. Roran fegte mit kräftigen Bewegungen den Staub von Jahrhunderten aus den Ecken, während Helaena mit kindlichem Eifer die Spinnweben von den Wänden zupfte.
Kaum fertig, sah das Gemach zwar immer noch ärmlich aus, aber zumindest nicht mehr wie ein verlassenes Grab. Roran holte Morrigans Kleid hervor, das er sorgsam aufbewahrt hatte, und legte es behutsam aufs Bett.
 »Hier«, sagte er sanft, »damit du deine Mutter bei dir hast, während du schläfst. Sie ... sie wird bald kommen, das verspreche ich dir.«
Helaena starrte auf das Kleid, ihre kleinen Hände strichen ehrfürchtig über den weichen Stoff. Dann, ganz plötzlich, warf sie sich in Rorans Arme, ihr Gesicht in seiner Brust vergraben.
 »Danke«, flüsterte sie, ihre Stimme erstickt von unterdrückten Tränen.
Roran stand wie erstarrt, überrumpelt von dieser plötzlichen Zuneigung. Dann, ganz langsam, legte er seine Arme um sie, zog sie fest an sich. Er spürte ihr kleines Herz gegen seine Brust pochen. Plötzlich, wie von einer unsichtbaren Kraft getrieben, begannen seine rauen Finger, sanft über ihre Seiten zu streichen.
 »Ah! Was machst du da, Ro'an?«, kicherte Helaena, zuckte unter seinen Berührungen.
Ein schelmisches Grinsen breitete sich auf Rorans Gesicht aus.
 »Ich? Oh, ich überprüfe nur, ob kleine Bälger einen Schwachpunkt haben, welcher das Geflemme abstellt!«
Mit diesen Worten verstärkte er seine Attacke, seine Finger tanzten über ihren Bauch und unter ihre Arme. Helaenas Lachen erfüllte den Raum, hell und unbeschwert wie Glockengeläut.
 »Aufhören!«, japste sie zwischen Lachsalven. »Ro'an, bitte!«
 »Ro'an? Wer ist Ro'an?«
 »Ro ... Roran!«
Schließlich ließ er von ihr ab, sein eigenes raues Lachen mischte sich mit ihrem. Doch dann rümpfte er plötzlich die Nase, ein übertrieben angewiderter Ausdruck auf seinem Gesicht.
»Bei allen stinkenden Höllen«, brummte er. »Riechst du das, Gör?«
Helaena blinzelte verwirrt, schnupperte dann an ihrem Arm.
 »Ich rieche nichts.«
Roran schnaubte.
 »Natürlich nicht. Du stinkst so sehr, dass deine Nase schon taub geworden ist. Wenn deine Mutter dich so sehen würde ... Bei den Göttern, sie würde mich eigenhändig aufknüpfen! Du lockst ja Leichenfresser an!«
 »Tu ich nicht!«
Er schüttelte den Kopf, ein gespielt besorgter Ausdruck auf seinem Gesicht.
 »Sie würde sagen: ›Roran Sturmtide, du unfähiger Hornochse! Wie konntest du nur zulassen, dass meine Tochter wie ein räudiges Mistvieh aussieht?‹« Seine Stimme klang dabei verdächtig nach Morrigans schneidender Art.
Helaena kicherte, amüsiert von seiner Darstellung.
 »Mama würde nie so etwas sagen!«
 »Oh doch, das würde sie«, grinste Roran. »Und dann würde sie mich in eine Kröte verwandeln. Oder schlimmer noch ... in einen Barden!«
 »In einen Barden, ja!«
 »Beim Sack von Kain, bitte nicht.«
Sein Blick fiel auf die alte, hölzerne Wanne in der Ecke des Zimmers.
 »Apropos ... Wie hat deine Mutter das eigentlich immer gemacht? Das Baden, meine ich.«
Helaenas Augen leuchteten auf.
 »Oh, das war schön! Mama hat die Wanne mit warmer Milch gefüllt, und dann hat sie so Blätter von Blumen genommen und etwas was gut riecht reingekippt. Manchmal hat sie sogar kleine Lichter schwimmen lassen, die waren wie Sterne!«
Roran starrte sie an, sein Mund öffnete und schloss sich wie der eines Fisches auf dem Trockenen.
 »Milch?«, krächzte er schließlich. »Warme ... Milch? Und ... beschissene Rosenblätter? Für ein verdammtes Bad?«
Helaena nickt begeistert.
 »Jeden Abend!«
Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, murmelte etwas, das verdächtig nach ›verzogene Rotzgöre‹ klang. Dann blickte er zur Wanne, dann zum Fenster, dann wieder zur Wanne. Seine Stirn legte sich in tiefe Falten.
 »Leck mich am Arsch«, brummte er. »Weißt du, wie lange es dauern würde, genug Wasser vom Bach zu holen, es zu erhitzen und in diese verfluchte Wanne zu schütten? Bis dahin wärst du ein altes Weib!«
Helaena sah ihn mit großen Augen an und grinste über seine taktlose Zunge.
 »Aber ... wie soll ich dann baden?«
Ein listiges Funkeln trat in Rorans Augen.
 »Oh, ich habe da eine Idee. Aber ich fürchte, sie wird dir nicht gefallen ...«
 »Was für eine Idee?«, fragte Helaena misstrauisch.
Roran schmunzelte breit.
 »Sagen wir einfach ... es wird etwas kälter sein als dein übliches Milchbad, Prinzessin

Das Ätherkind - Asche und BlutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt