Kapitel 19: Eine Geschichte über Brüder

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Mit noch schmerzenden Beinen trug sie Jacky zu ihrem Van und setzte sich dort hinein. Ein paar der befreiten Gefangenen befanden sich auch schon drinnen und schliefen. Noch waren sie aber nicht in Sicherheit. Sie konnten sich erst wieder ausruhen, wenn sie im Versteck waren. Hier konnten sie jederzeit noch angegriffen werden. Ein paar Wagen waren schon voll und fuhren los und je länger sie warten musste, desto mehr schwand ihre Hoffnung, dass der Rest ihrer Gruppe überlebt hatte. Kalypso kehrte auch zurück und setzte sich auf den Beifahrersitz, um dort wieder ihre Selleriestangen hervor zu holen, von denen sie sogar eine an Jacky abgab, weil er so lieb gefragt hatte. Nervös streichelte sie den Schneehasen, aber nur, um sich selbst zu beruhigen. "Die werden gleich kommen.", meinte Jacky, während er weiter knabberte. "Bis sie da sind, kann ich ja ein wenig erzählen, was passiert ist.", schlug er vor. Da ihr nichts besseres einfiel, nickte sie nur und legte ihn auf ihren Schoss.

"Also, es war ein ganz gewöhnlicher Nachmittag.", fing er an und legte die Selleriestange beiseite, "Zusammen mit Jay war ich im Park und wir quatschten. Die Prüfung hatte ich am Morgen schon gehabt und mit Bravour bestanden! Es könnte also nicht besser sein. Wir wollten auf Sam warten, aber dann geschah etwas ganz komisches! Von irgendwo ertönte eine Uhr und kurz darauf hörten wir, wie eine gruselige Stimme aus den Lautsprechern sagte: "Die Zeit ist um! Ab heute wird es keine Menschen mehr geben!" Er verstellte beim Satz sogar seine Stimme. "Total abgedreht! Wir fragten uns, was das sollte. Wieso sollte es plötzlich keine Menschen mehr geben? Kurz darauf benahmen sich Schüler auch merkwürdig. Ein paar klatschten und viele fingen an, andere Schüler gefangen zu nehmen! Wir versuchten zu entkommen, aber wir hatten keine Chance, als Soldaten plötzlich erschienen. Mister Hu half uns, aber selbst er kam gegen die Soldaten nicht an und-" "Warte warte!", unterbrach sie ihn, "Mister Hu hat euch geholfen?" "Ja! Aber auch er wurde leider gefangen genommen." Sie wusste doch, dass Mister Hu nicht auf der Seite der Organisation sein könnte. "Jedenfalls kamen wir in eine Zelle und bekamen nachher auch noch dieses Mittel, das mich in einen Hasen verwandelt. So kamen wir in noch kleinere Zellen, bis der Platz irgendwann fehlte und wir in dieses Gefängnis hier untergebracht wurden. Jay wurde leider in der Schule gelassen, sonst hätte er jetzt auch fliehen können...", fügte er betrübt am Schluss hinzu. "Keine Sorge, die Schutzorganisation wird ihn sicher noch befreien.", versicherte sie ihm und streichelte ihn am Kopf, "Aber weisst du vielleicht, was mit Sam passiert ist?" "Viel weiss ich leider nicht, aber eines kann ich dir sagen: Sie ist auch noch in der Schule gefangen."

Scarlet spürte einen kurzen Stich durch ihre Enttäuschung. Klar, Jacky wieder zu haben war schön, aber sie hatte sich so sehr gewünscht, Sam wieder zu sehen. Jetzt musste sie warten, bis die Organisation gestürzt wurde, denn wie sollte sie sonst an die Basis kommen? In ein Gefängnis einzubrechen war eine Sache, aber ein Hauptquartier einzunehmen spielte in einer völlig anderen Liga. Für sie war es unmöglich! Jacky spürte ihre Trauer und wollte etwas aufheiterndes sagen, als der Rest ihrer Gruppe in den Van sprang. Wenigstens hatten sie überlebt. Larry setzte sich sofort ans Steuer und fuhr los. Ein Glück ging es weiter, sonst wäre sie nur noch nervöser geworden.

Sie sah zu Oliver, der noch ausser Atem war, aber ansonsten ging es ihm gut. Unbedingt wollte sie wissen, was damals genau geschehen war, viel hatte Clovis nicht erzählt. Oliver bemerkte ihren Blick und atmete tief ein und wieder aus. "Sag mal, geht es Clovis gut?", fragte er nach einer kurzen Schweigeminute. "Ich würde schon sagen. Wie ein jämmerlicher Tropf wirkt er jedenfalls nicht.", antwortete sie ihm sofort. Oliver nickte und schwieg wieder kurz, ehe er weiter fragte. "Bist du eine gute Freundin von ihm?" "Also gut kann sehr unterschiedlich aufgefasst werden..." "Hat er dir erzählt, was damals geschehen war? Der Hausbrand?", fragte er stattdessen. "Ja, hat er." "Gut. Dann erzähle ich dir alles aus meiner Perspektive. Bis wir wieder im Versteck sind, haben wir genug Zeit." Scarlet nickte nur und platzierte Jacky auf ihrem Schoss neu, um es etwas gemütlicher zu haben, und lauschte, was Oliver ihr erzählte.

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