Kapitel 4: Der Schmerz ist mein Freund

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Schon wieder war ein heftiger Schneesturm angekommen, aber zu dieser Jahreszeit war es nichts Ungewöhnliches. Trotzdem musste sie hinaus und die tägliche Ration Essen holen. Zwar gab es da das Risiko, von den Soldaten erkannt zu werden, doch bei diesem Wetter waren die sicher nicht unterwegs. Die Strassen waren absolut leer, nur einmal sah sie einen Wandler, der in seiner Menschengestalt gegen den Schneesturm ankämpfte. Es war wirklich nett, wie sehr die Leute dieser Stadt sie zu schützen versuchten. Diese Organisation war wirklich furchtbar und sich gegen sie aufzulehnen bedeutete den Tod. Zum Glück waren in dieser Stadt nicht so viele stationiert. Zitternd versuchte den Reissverschluss ihrer Jacke weiter hoch zu ziehen, aber durch die Kälte hatte sie fast das Gefühl in ihren Fingern verloren und steckte sie lieber wieder zurück in ihrer Jackentasche. Sie stoppte kurz, um sich zu vergewissern, dass sie nicht vom Weg abkommen war, denn durch die wirbelnden Schneeflocken konnte man fast gar nichts erkennen. Da sah sie normalerweise ohne Brille mehr. Zum Glück war sie genau richtig, sie musste nur noch um die Ecke und in die kleine Seitengasse hinein. Jeden Tag legte ihr ein Stadtbewohner ein Päckchen mit Essen und Wasser hinter den Mülltonnen. Leider war gestern dort nichts gewesen, weshalb sie befürchtete, dass vielleicht Soldaten etwas herausgefunden hatten und sie jetzt verhungern liessen.

Sie rieb sich die Hände und bog um die Hausecke, als plötzlich eine Gestalt aus der Gasse hinaus schlich. Viel konnte sie nicht erkennen, nur dass sie ein Päckchen unter dem Arm hielt. Das war ihr Essen! Sofort rannte sie los, um den Dieb zu erwischen, doch dieser hatte sie bemerkt und sprintete ebenfalls los. Sie durfte jetzt nicht aufgeben, ihr Leben hing von diesem Päckchen ab. Die eisige Luft schmerzte in ihrer Lunge, doch durch die Nase konnte sie nicht schnell genug atmen. Der Dieb konnte dank dem Schneesturm nicht so schnell rennen und sie kam ihm immer näher, doch auch sie musste aufpassen. Durch den Schnee kam man nicht so schnell, der Boden war an manchen Stellen vereist und sie hatte keine Adleraugen. Gegenstände erkannte sie wegen den wirbelnden Schneeflocken erst wenige Meter vor ihr und einmal war sie auch in einen Hydranten gelaufen. Aber sie gab nicht auf, der Dieb war zum Greifen nah. Dieser suchte sich engere Strassen und hoffte, sie abschütteln zu können, doch sie kannte diesen Stadtteil zu gut. Gleich würde er in eine Sackgasse rennen und sie konnte sich ihr Essen holen. Aber woher wusste sie, dass der Dieb nicht kämpfen konnte? Ein Wandler konnte sie schnell erledigen, wenn er das wollte. Ehe sie bremsen konnte, krachte sie schon in ihren Dieb hinein und fiel mit ihm auf den Boden. Langsam richtete sie sich auf und bemerkte, dass sie auf einem Mädchen sass. Besser gesagt Frau, denn die war sicher schon 18. Ihre Haare waren kurz geschnitten und hatten ein paar rote Strähnen und die eisblauen Augen funkelten sie wütend an. Ehe sie sich versah, wurde sie schon an die Hauswand gepresst und konnte sich kaum bewegen. Erst jetzt erkannte sie, dass die Frau ein Kopf grösser als sie war und das Tattoo am Hals, die drei schwarzen Ohrringe an jedem Ohr und das Nasenpiercing schüchterten sie nur mehr ein. Wieso wollte sie noch einmal den Dieb fangen?

"Du verdammtes Ungeheuer, dachtest du, ich würde mich so leicht fangen lassen?", wurde sie halb schreiend gefragt. Sie hatte schon viele Bezeichnungen von anderen bekommen, aber Ungeheuer war ihr neu. "Worauf wartest du eigentlich noch? Verwandle dich in ein Raubtier und kämpfe!" "Was?", brachte sie noch heiser hervor. "Jemand, der so verweichlicht und schwach wie du aussieht, kann doch nur eine starke Tiergestalt haben, sonst wärst du vor mir weggelaufen, anstatt mich zu jagen!" Gut, sie war vom Aussehen her nicht wirklich gefährlich, aber das war einfach nur beleidigend. "Du verstehst da etwas falsch, ich bin kein Wandler, ich-" "Das ist unmöglich! Willst du etwa sagen, dass du auch ein Mensch bist?" Der Druck auf ihrem Brustkorb vergrösserte sich und liess sie kurz keuchen. "Ich hätte das gesagt..., wenn du mich ausreden lässt..." Die Frau liess los und sie fiel auf die Knie. "Das geht doch nicht! So eine wie du überlebt doch keinen Tag!", rief sie plötzlich wütend. War sie denn überhaupt nicht glücklich, einen Menschen zu treffen? "Ehrlich gesagt, hatte ich nur Glück...", erklärte sie, als sie wieder zu Atem kam, "Bei mir wirkt dieses komische Gift irgendwie nicht." Keuchend sah sie zu ihrem Gesicht hinauf und bekam einen angewiderten Blick.

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