Kapitel 4

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1 Jahr später

«Issa, ist das dein Ernst? Wie kannst du nur sowas sagen?» Mit gespielter Verletztheit sah ich Clarissa an und legte meine Hand auf meine Brust. Sie jedoch kicherte nur. Beleidigt drehte ich mir von ihr weg. «Ach komm schon, Scotti, ich hab's doch nicht so gemeint. Aber es ist nun Mal die Wahrheit, dass du wie ein wandelnder Ritterkodex bist.» Am Ende ihres Satzes hatte ich mich wieder zu ihr gedreht um ihr einen sanften, spielerischen Schlag auf den Arm zu geben. Ich meine, ich bin doch kein Buch mit Füssen! Wie kam sie bitte auf diesen Vergleich? «Rey könnte mindestsens genauso viele Regeln wie ich aufzählen.» murmelte ich dann vor mich hin. Wie konnte ich mich bloss mit ihr anfreunden? Nun ja, wenn man bedenkt, dass Rey rechtgehabt hatte und ich mich wirklich in sie verleibt habe, dann ist es eigentlich gar nicht so abwegig. Und wie ich nun mal war, wollte ich das, was wir hatten, nicht mit meinen Gefühlen zerstören und beliess es bei einer Freundschaft und behielt meine wahren Gefühle für mich.

«Wenn ich Reymond jetzt fragen würde, würde er mir höchstens die Hälfte aller Vorschriften und Regeln mitteilen können. Wenn überhaupt. Er ist mehr der praktisch orientierte Mensch. Du jedoch bist ein halbes Reglement und ein Praktiker in beidem.» «Aber-» «Nein, keine Wiederrede. Ich werde immer davon überzeugt sein und du wirst mich nie umstimmen können. Niemals in meinem Leben.» «Was kann ich dafür, dass Sir Gerbore und Sir Woodstock beide sehr gut unterrichten? Dazu ist die Geschichte von Dravesia und die Kultur, welche sie pflegt genauso spannend wie das Thema, wie man mit verschiedenen Waffen umgeht und welche Kampftechniken man anwenden kann.» «Nur du würdest so etwas sagen. Nur du.» Sie lächelte mich an, während sie leicht den Kopf schüttelte. Bei ihrem Gesichtsausdruck breitete sich ein warmes Gefühl in meinem Bauch und meiner Brust aus. Ich konnte nicht anders als sie auch anzulächeln. So sahen wir uns für einen Moment an; beide mit einem Lächeln im Gesicht, unter einem Baum etwas abgelegen vom Rest des Dorfes.

Das war zu unserem Platz geworden. Manchmal war auch Rey mit dabei, aber meistens zogen Clarissa und ich uns zusammen hierhin zurück. Eben unser Ort. Es war eigentlich nur eine grosse Wiese, mit einem einzelnen Baum darauf, aber wenn es dunkel wurde, war es wie ein magischer Ort. Viele Glühwürmchen erleuchteten die Wiese und verliehen ihr eine mystische Wirkung. Als wir das erste Mal im Dunkeln, hierherkamen, waren wir wie verzaubert. In der Ritterakademie hatte die erste der zwei Ferienwochen, welche wir hatten, begonnen. Seit dem Dinner an unserem ersten Tag an der Akademie kam Clarissa immer wieder, um mich und auch Rey zu besuchen. Sie fand immer Zeit zwischen den Pflichten, welche sie zuhause zu erledigen hatte. Und deshalb verliebte ich mich auch im Laufe der Zeit in sie, vor allem in die kleinen Dinge. Wie, wenn sie die Nase leicht rümpfte, wenn sie etwas nicht ganz verstand oder ihr nicht gefiel. Oder wie ihre Augen immer funkelten, wenn sie von etwas, was ihr am Herzen lag, erzählte. Oder wie ihre grauen Augen vor Freude funkelten, wenn sie voller Freude lachte.

«Was denkst du eigentlich über die Prophezeiung?» fragte sie mich dann aus heiterem Himmel. Da habe ich eine etwas abweichende Meinung gegenüber der meisten...«Nun, ich denke jemand wird Conroy sicher besiegen, aber ob diese Prophezeiung wirklich stimmt? Keine Ahnung. Ich meine nicht, dass ich denke, dass sie gar nicht stimmt. Es ist einfach so, dass sie schon so lange existiert und durch so viele Menschen weitergegeben wurde, dass ich mich frage, ob sie wirklich vor all den genau in diesem Wortlaut, den wir kennen, gesagt wurde. Ein Teil davon wird sicher stimmen. Denke ich zumindest. Aber ob alles eins zu eins so stimmt? Da bin ich mir nicht ganz sicher. Ich denke da es nur heisst den Frieden über das Land zu bringen, könnte es nicht nur darum gehen, dass der Auserwählte ihn besiegen muss. Aber andererseits würde das implizieren, dass es noch etwas gibt, uns alle davon abhält, in Frieden zu leben. Ich habe da aber auch eine spezielle Meinung. Was denkst du über sie, wenn ich fragen darf?» Clarissa sah mich einen Moment lang überlegend an, bevor sie sich selbst wieder zu Wort meldete. «Ich finde deine Meinung interessant. Weiss du, es gibt nicht viele die diese ganze Sache mit dem Auserwählten und allem in Frage stellen. Und ob das alles stimmt, was gesagt wird? Das ist eine wirklich gute Frage. Ich selbst bin im Glauben aufgewachsen, dass die Prophezeiung das grösste von allem ist und jedes Wort als heilig gilt. Aber ich konnte mich damit nie wirklich anfreunden. Ich meine, warum sollte das Schicksal von uns allen, dem gesamten Land Dravesia von einem einzelnen Menschen abhängen? Ich finde das ist Blödsinn.»

Light in the darkWo Geschichten leben. Entdecke jetzt