VII

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Als ich von den seltenen Sonnenstrahlen geweckt werde und versuche, mich an den gestrigen Abend zu erinnern, ist da einfach nichts. Frustriert lasse ich mich zurück in mein Kissen fallen. Wütend, hauptsächlich auf ihn – warum, weiß ich nicht einmal genau. Aber doch weiß ich es. Es ist so unfair. Vielleicht bin ich zu dramatisch, aber alles, was er tut, könnte so viel bedeuten, und ich habe keine Ahnung, was passiert. Bin ich „nur" eine gute Freundin? Oder doch mehr? Warum ist er mir in der Bahn nachgelaufen? War es nur, weil er es nicht weiter mitschleppen wollte, oder wollte er unbedingt, dass ich es jetzt bekomme? Ich weiß, es ist dumm, sich darüber aufzuregen, aber was soll ich tun? Mein Leben besteht nur noch aus einem ständigen Warten auf nichts – und alles nur, weil ich zu feige bin? Anfangs dachte ich noch, ich könnte diesen verwirrenden Zustand genießen, aber mittlerweile ist es einfach nicht mehr lustig. Und jetzt bin ich wütend auf ihn, auch wenn es vielleicht unfair ist. Vielleicht auch nicht.
Jedes Mal, wenn wir etwas unternehmen, freue ich mich riesig, alles ist perfekt – und die nächsten Tage danach sind grau, weil nichts diesen Extra-Schuss an Farbe mithalten kann. Und Liebe wird zu Hass. Nein, ich übertreibe nicht. Ihr wisst, wie eine Sinuskurve aussieht, oder? Wenn nicht, googelt es. Stellt euch vor, der höchste Punkt ist Liebe, der tiefste ist Hass, und dazwischen ist Gleichgültigkeit. Ja, das beschreibt es perfekt. Und jetzt stellt euch vor, mehrere dieser Kurven durch einen einzigen Tag fließen könnten.Ich beschließe, ihn ab Montag etwas distanzierter zu behandeln – nicht, weil ich sauer bin, sondern weil ich meinen Geisteszustand schützen muss. Dieser Plan hält genau bis zur Mittagspause. Nachdem er mich enttäuscht anschaut, als ich ihn kühl begrüße, sind all meine guten Vorsätze über Bord geworfen. Sei's drum, wer will schon normal sein? Wir machen heute früher Schluss und treffen uns um vier bei Hope. Die ganze Gruppe – Mark, Tobias, Josh, Jenny, Hannah, Penny und ich – sitzt auf dem riesigen Ecksofa und beginnt, das fieseste und sarkastischste Video der Welt zu planen.„Wie wäre es", beginnt Penny plötzlich und springt auf, „wenn wir das Video wie die Anfangsszene von Cruella de Vil im Live-Action-Film eröffnen?" „Aber", Hannah unterbricht sie, „Hope sieht nicht im Geringsten wie Cruella de Vil aus." „Natürlich nicht, sie soll ja auch Anita spielen, und Cruella trägt 'Stylive'." „Ooooh, wir könnten auch 'Der Teufel trägt Stylive' einbauen!" „Okay, das sind alles gute Ideen", versucht Mark, etwas Struktur reinzubringen, „aber das soll kein Film werden, sondern ein Erpressungsvideo. Außerdem muss es so gemacht sein, dass niemand etwas dagegen sagen kann." „Aber den Cruella-Anfang würde ich trotzdem einbauen", werfe ich ein. „Das kommt wirklich gut rüber, und wir verleumden sie nicht. Cruella hat ja einen guten Modegeschmack." Hannah schaut mich schief an. „Du findest ihren Stil cool?" „Na ja, sie hat doch was, mit den Pelzen. Wahrscheinlich werde ich mal mit einem weißen Muff an meinen kalten Händen sterben." So plänkeln wir zwei Stunden hin und her, bis wir uns gegen Cruella entscheiden, weil es zu aufwendig wäre. Stattdessen soll Hope eine Mini-Modenschau auf ihrem Gang filmen und dabei sehr sarkastische Voice-over-Kommentare machen, von denen die meisten Pennys Ideen sind. Wenn sie z.B. das schwarze Paillettenkleid mit den lila Fransen trägt, kommt: „Mit diesem Kleid strahlst und blendest du – so lange die Pailletten dranbleiben." Eine absolut korrekte Aussage, die Betonung ist ja nicht inhaltlich relevant. Mein Favorit sind die pinken Glitzersneaker mit der orangen Schlaghose und dem militärgrünen Pullover. Abgesehen davon, dass diese Kombination eine modische Katastrophe ist, kommt dazu: „Deine Freunde werden dich anschauen und sich fragen, wo du bitte deine Kleidung kaufst."Am Ende sind wir alle sehr zufrieden mit unserer Arbeit. Wie es jetzt weitergeht, liegt nicht mehr in unseren Händen. „Hey Jess, fährst du mit mir mit?" Penny winkt mir zu, und etwas in ihrem Blick sagt mir, dass ich besser schnell komme. Im Auto sagt sie erst mal nichts, und deswegen beginnt Hannah: „Hast du dich eigentlich schon entschieden, Jess?" „Wofür?" Ich habe wirklich keine Ahnung, was sie meint. „Na, wie es mit ihm weitergeht." Ich spüre, wie ich rot werde. „Oh Mann, ich habe Penny noch nichts gesagt..." „Ach, komm schon", unterbricht sie mich, „das war doch kein Geheimnis. Es ist sowas von klar." „Nein, ich bin nur ein Häuflein Elend. Was soll ich denn machen?" „Du musst deine Entscheidungen selbst treffen", sind sie sich ausnahmsweise einig.„Ach, erzähl uns doch lieber, warum du uns unbedingt mitnehmen wolltest", wechsele ich das Thema und schaue Penny von der Seite an. „Gleich, wenn wir bei mir sind." Fünf Minuten später sitzen wir in Pennys winziger Küche. Meine Schwester ist noch nicht da, und ich mache uns einen Tee. „Also", beginnt Penny langsam, „ich habe eine Nachricht für euch, aber ich weiß noch nicht, ob sie gut oder schlecht ist." Hannah ist leicht genervt: „Sag doch endlich, was los ist." Mit ganz ruhiger Stimme und festem Blick sagt sie: „Ich bin schwanger." Haha, ja klar, warum lacht sie nicht? „Dafür bist du aber ziemlich ruhig", sage ich mit einem Hauch von Unglauben in der Stimme. Aber das war wohl falsch, denn plötzlich steigt Panik in ihren Augen auf. „Oh Gott, ich habe versucht, ruhig zu bleiben, aber ich kann das nicht." Sie beginnt, schneller zu atmen, und ich habe Angst, dass sie hyperventiliert. Hannah und ich sind beide geschockt.
Hannah reagiert als Erste. „Atme tief durch, Penny, es wird alles gut. Das kriegen wir hin." Sie rutscht näher zu ihr und legt eine Hand auf ihren Arm. „Hast du schon darüber nachgedacht, was du jetzt machen willst?"Penny schüttelt den Kopf, Tränen steigen in ihre Augen. „Ich weiß es einfach nicht. Ich war so geschockt, als ich den Test gemacht habe. Ich habe es niemandem erzählt, nicht mal Mark. Ich wollte erst mit euch darüber sprechen, weil... na ja, ich habe Angst, dass er ausflippt."Ich bin immer noch etwas überrumpelt und suche nach den richtigen Worten. „Penny, du musst das nicht alleine durchstehen. Egal, was du entscheidest, wir stehen hinter dir. Und Mark... er liebt dich. Er wird das verstehen."Penny atmet tief ein, dann aus. „Vielleicht. Aber was, wenn er es nicht tut? Was, wenn er..."„Das wird er nicht", unterbricht Hannah sie sanft, aber bestimmt. „Mark ist vielleicht manchmal ein bisschen verpeilt, aber er ist kein Idiot. Ihr habt so viel zusammen durchgestanden, das wird er nicht einfach wegwerfen."Ich nicke zustimmend, während ich noch nach einer weiteren beruhigenden Aussage suche. „Und hey, vielleicht wird er sogar super aufgeregt sein. Du weißt doch, wie er manchmal auf Überraschungen reagiert – wie dieses Mal, als du ihm den Trip nach Island geschenkt hast, und er fast in Tränen ausgebrochen ist, weil er so gerührt war."Penny lacht schwach und wischt sich die Augen. „Ja, das war verrückt."„Siehst du? Vielleicht flippt er dieses Mal auch aus – auf die gute Art", sage ich und zwinkere ihr zu. „Und wenn nicht, dann kümmern wir uns um ihn. Du hast uns im Rücken."Penny atmet tief durch und nickt langsam. „Danke. Ihr habt recht. Ich sollte es ihm einfach sagen, und dann sehen wir weiter."„Genau", stimmt Hannah zu. „Und egal, was passiert, wir sind für dich da."Es entsteht eine kurze Stille, in der wir uns alle sammeln, bevor Penny leise sagt: „Es fühlt sich irgendwie besser an, darüber zu reden. Ich hatte so Angst, es überhaupt laut auszusprechen."„Das verstehe ich", erwidere ich sanft. „Aber jetzt, wo es draußen ist, können wir gemeinsam eine Lösung finden."„Danke, wirklich", murmelt Penny, bevor sie sich noch ein wenig zurücklehnt, als würde sie zum ersten Mal seit Tagen richtig atmen können.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 24 ⏰

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