Wo bin ich?

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~1916 in einem kleinen Dorf Englands~

Völlig erschöpft ließ ich mich auf einen Hocker fallen und fuhr mir mit den blutverschmierten Händen durch mein verdrecktes Gesicht. Gerade waren zwei Dutzend verletzte Soldaten in unserem Lazarett angekommen. Dies bedeutete eine Menge Stress. Sie konnten an der Front nicht mehr ausreichend behandelt werden und wurden hier hergeschickt. Einige von ihnen werden auch nicht mehr zurückkehren.

Ich sah zu wie Claire, auch eine Krankenschwester, eine Platzwunde am Kopf eines Soldaten verband. Dann sah ich hinüber zu Maggy. Sie war damit beschäftigt einen anderen Mann ruhig zu stellen. Seine Erlebnisse an der Front hatten sehr an seinem Verstand gezehrt. Er schrie fast nur und versuchte immer wieder sich das Leben zu nehmen. Er hatte sichtlich Angst.

„SIE KOMMEN! SIE VERSTEHEN DAS NICHT! SIE KOMMEN UM UNS ZU TÖTEN!", schrie er in diesem Moment und schlug nach Maggy.

Schnell war ich bei ihr und versuchte die Arme des Soldaten festzuhalten und ihn nach unten in seine Liege zu pressen, sodass Maggy ihm die Beruhigungsspritze verabreichen konnte. Sie rammte die Spritze gewaltsam in seinen Arm und sofort erschlaffte sein ganzer Körper. Ich brauchte ihn nun nicht länger festhalten und zog schnell meine Hände zurück.

„Sie kommen.", nuschelte er noch, bevor seine Augen zufielen.

Nervös wischte ich mir meine schmutzigen Hände an meiner, nun nicht mehr weißen Schürze ab. Dieses Elend war einfach nur grausam. Ich hatte mich freiwillig als Krankenschwester gemeldet, als der Krieg begann. Mein Vater hatte allerdings nicht zugelassen, dass ich direkt an die Front ging. Deswegen saß ich nun in diesem Lazarett und behandelte die Soldaten, die es bis hier herschafften. Doch viele starben auf dem Weg hier her, weil ihnen nicht sofort geholfen werden konnte. Es war schließlich ein weiter Weg, von der französischen Front bis hier her.

Doch selbst wenn sie hier ankamen, überlebten es viele nicht. Meistens, weil man ihnen eher hätte helfen müssen. Meistens eiterten die Wunden schon stark und konnte nicht mehr behandelt werden. Diese Soldaten warteten dann nur noch auf ihren sicheren Tot.

Ich biss mir auf die Unterlippe und schloss für einen Moment die Augen. Sie verfolgten mich. All diese Männer, den ich nicht mehr hatte helfen können und die in meinen Armen gestorben waren. Man sagt uns immer, wir sollen all dies hier hinter uns lassen, wenn wir das Lazarett verlassen und nach Hause gehen, doch keine von uns konnte dies.

Ich hatte schon viele Menschen sterben sehen. Zu viele, als das ich sie alle hätte zählen können, doch immer wieder erschütterte es mich aufs Neue. Manche denken, mit der Zeit wird es leichter, doch das wird es nie. Man steckt das nicht einfach weg, wenn man einen Anderen sterben sieht. Ob Feind oder Freund, ist völlig gleichgültig.

„AHHHH!", ein Schrei durchriss die Stille und ließ mich zusammenzucken.

Schnell sah ich in die Richtung, wo er herkam und eilte dort hin.

Geschrien hatte ein sehr junger Soldat, der gerade hier mit ankam. Er war noch sehr jung, vielleicht 19 und hatte eine schwere Wunde an seinem Arm. Fast der ganze Arm war zerfetzt. Ich sah in sein schmerzverzerrtes Gesicht und musste mich zusammenreißen, um mich nicht zu übergeben. Sein blondes Haar war zerzaust und völlig verdreckt, er weinte bitterlich und hielt sich den notdürftig verbundenen Arm.

„Was ist mit ihm passiert?", fragte ich die Soldaten, die ihn hineinbrachten und auf eine Liege legten.

„Eine Handgranate flog genau in unseren Schützengraben und er stand zu nah dran, Ma'am.", berichtete mir einer der Soldaten und ich nickte verstehend.

Beruhigend strich ich dem Jungen mit der Hand über die Stirn und lächelte ihn leicht an. Er sah mir direkt in die Augen und beruhigte sich etwas. Dennoch rannten immer noch Tränen über seine Wange und wollten einfach nicht aufhören zu fließen.

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