Als der Regen fiel

Kapitel IV

     »Viene viene bajando del cielo. Viene viene subiendo del mar. The fuerza de las raices« Übersetzt: Es kommt vom Himmel herab. Es kommt vom Meer herauf. Die Kraft der Wurzeln. Textpassage aus dem Lied »Dendrite« von der Band »Yaima«

     Die ersten Sonnenstrahlen drangen durch das Zeltgewebe und hüllten den Innenraum in sanftes, goldenes Licht. Ich blinzelte verschlafen, mein Körper noch schwer von der langen Nacht. Es war still auf dem Campingplatz. Eine Ruhe, die im krassen Kontrast zur ausgelassenen Stimmung des Vorabends stand... Musik, Lachen, Tanz: all das schien jetzt so weit entfernt.

     Gestern Abend hatten wir noch ausgelassen gefeiert. Ich konnte mich an das Gefühl der wummernden Bässe erinnern, wie die Musik von The Electric Flames durch den Boden vibrierte und uns alle in Bewegung hielt. Lily hatte Tyler nicht von der Seite weichen lassen, und Noah war wie immer der Stimmungsmacher, tanzte wild herum, während Chris mit einem Grinsen danebenstand und uns alle beobachtete. Und ich? Ich hatte mitgetanzt, hatte mich mitreißen lassen, die Welt um mich herum für ein paar Stunden vergessen... Zwischendurch hatte ich noch kurz an den Fremden aus dem Zelt gedacht... an die Art wie er mich angelächelt hatte...  Doch je mehr wir feierten, desto weiter verblasste die Erinnerung. Und das war gut so! Ich war schließlich hier, um den Kopf frei zu bekommen, nicht für Herzschmerz oder eine weitere komplizierte Geschichte! Jemanden kennenzulernen stand definitiv nicht auf meiner Liste...

     Meine Gedanken wanderten zu den anderen: Lily hatte die Nacht bei Tyler verbracht, und Noah sowie Chris waren in ihren eigenen Zelten. Sie schliefen sicher noch tief und fest, nachdem sie tiefer ins Glas geschaut hatten als ich... Ich musste schmunzeln.

     Während der Nacht hatte ich beschlossen, es bei einem Bier zu belassen. Den Rest der Zeit blieb ich bei Wasser. Ich hatte genauso viel Spaß gehabt, genauso viel gelacht und getanzt wie die anderen, aber ich wollte den Morgen klar beginnen. Lieber nicht benebelt und erschöpft...

     Vorsichtig griff ich nach dem Zeltreißverschluss und zog ihn langsam nach unten. Das vertraute Zischen, wenn der Reißverschluss aufglitt, klang in der morgendlichen Stille fast übermäßig laut. Ich schlüpfte hinaus in die kühle Morgenluft, die mir sofort entgegenwehte und mich leicht frösteln ließ.

     Der Campingplatz lag ruhig vor mir, er wirkte fast friedlich... Überall lagen noch die Überreste des nächtlichen Treibens: zerdrückte Bierdosen, verstreute Decken, halb verbrannte Holzscheite, die noch im Morgendunst qualmten. Ein leichter Nebel hing über dem Gelände, als hätte die Nacht ihre Spuren hinterlassen, bevor sie endgültig dem Tag Platz machte. Die letzten bunten Lichterketten flackerten schwach in der aufgehenden Sonne, die langsam den Himmel in zarte Pastelltöne tauchte. Meine erste Nacht auf einem Festival war ... einfach mega gewesen!

     Ich blickte kurz zu den anderen Zelten hinüber. Die Zelte von Noah, Chris und Lily waren wie erwartet noch fest verschlossen...

     Leise schnappte ich mir Jeansjacke, meinen Kulturbeutel, mein Duschzeug und mein Handtuch. Die Cappy setzte ich tief ins Gesicht - als könnte sie mich wieder vor den Blicken der anderen verstecken... Mein vertrautes Schutzschild, das mich unsichtbar machte. Wegen meiner Haut... Sie hatte mir schon immer Probleme bereitet: Als Teenager hatte ich schlimme Pickel und Frieseln, und auch wenn die schlimmste Zeit vorbei war, fühlte ich mich immer noch unwohl. Und an den Duschen würden sicher viele Menschen Schlange stehen...

     Ich schloss leise mein Zelt und mit schnellen Schritten machte ich mich auf den Weg zu den Sanitäranlagen, die am anderen Ende des Geländes lagen. Noch war es ruhig, aber ich wusste, dass es sich bald füllen würde. Wenn ich noch duschen wollte, bevor der Ansturm begann, musste ich mich beeilen!