•|Das erste Treffen|•

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In einer kalten, nebelverhangenen Herbstnacht des Jahres 1676 lag der Wald still, als ob selbst das Wispern der Blätter von einer unsichtbaren Hand erstickt worden wäre. Die Luft war schwer von feuchtem, modrigem Duft, und ein einsames, trübes Feuer glomm am Rande einer Lichtung. Dunkle Schatten wanderten über die Bäume und wichen wie verängstigte Tiere zurück, sobald sie die Frau in der Mitte des Feuers erreichten. Ihr langer, schwarzer Umhang schimmerte im Schein der Flammen, und ihre Augen funkelten mit einem Hauch von Macht und uraltem Zorn. Darcy - eine Hexe, die es gelernt hatte, die schwarzen Mächte zu beherrschen. Die letzte ihrer Art.

Während ihre Stimme in den alten, vergessenen Tönen dunkler Zauber sang, kam ein fremdes, fast fremdartiges Licht über den Wald. Darcy spürte es sofort. Die Vibration einer anderen Macht schnitt durch die Nacht, zog durch die Dunkelheit und wog schwerer als jede Kraft, die sie bisher gespürt hatte. Sie hielt inne, drehte sich um und ließ ihren Blick durch die Bäume gleiten.

Ein Mann schritt aus der Dunkelheit. Sein Körper schien von einem weichen, silbernen Schein umgeben zu sein, der wie Mondlicht auf dem Boden tanzte. Seine Gestalt war schlank, doch seine Präsenz erfüllte die Lichtung. Es war, als würde die Natur sich ihm beugen, und die Bäume schienen ihm Platz zu machen, als er sich Darcy näherte. Er hatte feine, edle Züge und Augen, die wie aus Sternenstaub zu bestehen schienen - ein Blick, der so tief war, dass er bis in die Ewigkeit reichte.

„Du bist Darcy, die Letzte der Hexen," sagte er in einer Stimme, die sanft und doch voller Autorität klang. „Ich bin Ruhn, der Hüter der Kindheit und einer der vier Boten, die die Erde beschützen sollen."

Darcy verschränkte die Arme und schnaubte abfällig. „Ein Beschützer also? Eine Zahnfee, wie die Menschen dich nennen? Du wirst dir wohl kaum vorstellen können, was die Dunkelheit wirklich bedeutet, Ruhn."

Ruhn trat einen Schritt näher, und in der Luft lag ein Gefühl, als würde die ganze Natur den Atem anhalten. „Du denkst, ich bin schwach, Darcy. Doch meine Kräfte sind tief verwurzelt und älter, als du vielleicht verstehst. Meine Aufgabe ist nicht nur, die verlorenen Zähne der Kinder zu bewahren, sondern auch, das Gleichgewicht zu schützen. Selbst wenn die Welt sich in Dunkelheit hüllt, bleiben wir Boten, um das Licht zu bewahren."

Darcy musterte ihn mit einem gemischten Ausdruck aus Belustigung und Skepsis. „Das Licht? Die Welt kennt längst keine Unschuld mehr. Kinder leiden, Hexen brennen, und die Menschen verschlingen einander wie Tiere. Warum also solltest du mir das Märchen von Licht und Schutz erzählen?"

Ruhn hielt ihrem Blick stand, seine Augen strahlten ein tieferes, ruhigeres Leuchten aus. „Mag sein, dass die Menschen Dunkelheit gewählt haben. Aber das bedeutet nicht, dass die Dunkelheit allein herrschen wird. Jedes Licht, selbst das kleinste, kann die tiefste Dunkelheit durchdringen." Seine Stimme wurde leiser, als er näher trat. „Und auch du, Darcy, trägst noch einen Funken in dir, den du versteckst. Du warst nicht immer eine Herrin der Schatten."

Für einen Moment erstarrte Darcy. Die Erinnerung an eine andere Zeit blitzte in ihrem Gedächtnis auf, eine Zeit, in der sie noch keine Macht über die dunklen Kräfte besessen hatte. Damals war sie jung gewesen, unschuldig, doch das war lange her. „Es gibt keinen Funken mehr, Ruhn. Die Menschen haben ihn ausgelöscht. Es war das Feuer, das in mir brannte, das mich verändert hat - die Wut und das Wissen, dass ich die Letzte meiner Art bin."

Ruhn ließ die Worte auf sich wirken, ohne Reaktion, als hätte er sie erwartet. Schließlich sprach er wieder, mit einer ruhigen Entschlossenheit, die Darcy wie eine kalte Welle traf. „Vielleicht bist du die Letzte, aber du musst nicht als Flamme vergehen, die nur Zerstörung hinterlässt. Jeder von uns Boten hat einen Platz, ein Gleichgewicht zu bewahren. Und ich sehe in dir die Möglichkeit, diese Welt anders zu beeinflussen, als du denkst."

„Du willst mich ändern?" fragte Darcy leise, ihre Augen glimmten vor Zorn und einem Hauch von Unsicherheit. „Mir Lektionen in Gnade erteilen?"

„Nein, Darcy," sagte Ruhn und hob die Hand. „Ich bin hier, weil ich glaube, dass wir mehr gemeinsam haben, als du denkst. Unsere Kräfte, sie sind nicht unvereinbar. Die Dunkelheit und das Licht können zusammen existieren - und wenn wir beide zusammen arbeiten, könnten wir das Gleichgewicht bewahren."

Die Flammen um sie herum begannen zu flackern, als würden sie die Spannung in der Luft spüren. Darcy schnaubte leise und musterte Ruhn mit gerunzelter Stirn. „Glaubst du wirklich, dass du mich von meinen Wegen abbringen kannst? Die Dunkelheit ist alles, was mir geblieben ist, Zahnfee."

Doch Ruhn ließ sich nicht abschrecken. „Es gibt eine Dunkelheit, die schmerzt, und eine Dunkelheit, die schützt, Darcy. Deine Macht ist stark - aber sie könnte dazu dienen, die Kinder und Unschuldigen zu schützen, anstatt von ihrem Leid zu zehren."

Einen langen Moment herrschte Schweigen, während Darcy sich abwandte und in das Feuer starrte, als ob die Flammen ihr Antwort geben könnten. Sie wusste, dass ihre Kräfte aus der Dunkelheit kamen, dass sie sich von Wut und Schmerz nährte, um am Leben zu bleiben. Doch diese seltsame, ruhige Präsenz von Ruhn - seine friedvolle Stärke - rüttelte an etwas in ihr, einem längst verlorenen Teil, den sie vor langer Zeit zurückgelassen hatte.

„Du glaubst wirklich, dass ich noch eine Wahl habe?" fragte sie schließlich, ihre Stimme fast ein Flüstern. „Du glaubst, dass die Dunkelheit, die ich in mir trage, noch etwas Gutes tun kann?"

Ruhn nickte langsam. „Jede Wahl, Darcy, ist ein Neuanfang. Und manchmal ist es die Dunkelheit, die das Licht am stärksten schützen kann."

Er trat näher an sie heran, und Darcy konnte den kühlen Glanz seiner Hand sehen, wie ein sanftes Versprechen, das in der Nacht schimmerte. „Begleite mich. Sei mein Schatten, so wie ich dein Licht sein werde. Zusammen können wir verhindern, dass diese Welt ganz in Dunkelheit stürzt."

Darcy zögerte, kämpfte gegen das Feuer in sich, das sie zu kontrollieren gelernt hatte. Und doch - eine seltsame Ruhe breitete sich in ihr aus, als ob Ruhns Gegenwart die Finsternis in ihrem Herzen zum Schweigen brachte, auch wenn nur für einen Moment. Schließlich legte sie ihre Hand in seine, und in diesem Moment schien es, als ob die Dunkelheit und das Licht in einem leisen Tanz zusammenfanden, eine Harmonie, die die Nacht erfüllte.

In dieser Nacht schlossen Darcy, die Hexe der Schatten, und Ruhn, der Bote des Lichts, einen stillen Pakt - ein unzerbrechliches Band, das stärker war als Hass und Furcht. Der Wind verstummte, und der Wald schien still zuzuhören, während diese ungleichen Verbündeten ihre Kräfte vereinten, um das Gleichgewicht zu bewahren, das die Welt zusammenhielt.

So begann ihre Reise - ein ungewisses Bündnis zwischen Dunkelheit und Licht, geboren aus Gegensätzen, doch getragen von einer gemeinsamen Aufgabe.

•|The Last Witch: A Covenant of Light|•Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt