Letztes Mal "Neues Schuljahr"

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"Piep, Piep, Piep." Ich schlug die Augen auf und stöhnte. "Oh nein!" Die zwölfte Klasse hatte begonnen. Heute, um genau zu sein. Ich drückte auf den Wecker, um ihn auszuschalten und stieg langsam aus dem Bett. Noch etwas schlaftrunken ging ich ins Badezimmer und stütze mich auf das Waschbecken, bis das leichte Schwindelgefühl verschwunden war. Ich sah hoch und erschrack. Da sah mich etwas komisches an. "Scheiße! Wie seh ich denn aus?" Schnell sprang ich unter die Dusche um mich der Welt präsentabel zu machen. Als ich heraus kam und meine Haare föhnte warf ich einen Blick auf die rießige Schminktasche, die mir meine Mutter zum Geburtstag geschenkt hatte und überlegte, ob ich nicht vielleicht doch etwas dezente Schminke auftragen sollte. Schnell schüttelte ich den Kopf und ging zurück ins Zimmer. Ich betrachtete den Innenraum meines Kleiderschrankes. Geschlagene zwei Minuten stand ich davor, dann schnappte ich mir mit geübten Griff meine Lieblingsjeans, sie war schon mindestens zwei Jahre alt und ziemlich ausgewaschen, und ein gemütlichem Sweatshirt. Es war weiß mit roten Ärmeln.
Schnell zog ich mich an und packte meine Schultasche. Ein letzter Blick in den Spiegel zeigte mir, dass meine Haare, braun, gelockt und brustlang, gebändigt und meine Zähne sauer waren. Ich nickte mir selbst zu. "Bereit für dein letztes Schuljahr?" Noch konnte ich meinem Spiegelbild diese Frage nicht beantworten. Schnell lief ich hinunter in die Küche
"Guten Morgen, holde Maid.", begrüßte mich mein Vater und stellte mir ein Teller mit Speck und Rührei hin. "Bereit für dein letztes Schuljahr?" Ich lächelte nur und meinte: "Danke Dad. Sieht lecker aus." Er lachte und zwinkerte mir zu. Ich begann gerade zu essen, da stürmte meine Mutter in die Küche, drückte mich fest an sich und meinte: "Oh meine Süße! Dein letztes Schuljahr. Ist das nicht aufregend?" Dann ließ sie mich wieder los und betrachtete mich. "Och nein! Lydia! Dein letztes Jahr! Da hättest du dich doch wirklich ein wenig schminken und aufpeppen können!" Meine Mutter. Das komplette Gegenteil von meinem Vater. Aber es heißt ja: Gegensätze ziehen sich an.

Hi. Mein Name ist Lydia. Ich bin 17 und bin ab heute in der 12. Klasse. Mein Leben ist vollkommen in Ordnung. Ich gehe auf die Brooklyn High und meine Noten sind bis jetzt mittelmäßig. Ich bin nicht gerade beliebt, aber meine paar Freunde sind einfach super.

"Ich muss los!", rief ich, als ich einen Blick auf die Uhr warf, die über der Küchentür hin, packte meine Schultasche und rasste aus dem Haus. "Viel Spaß.", rief mir mein Vater nach. "Such dir einen süßen Freund!", hörte ich noch meine Mutter.

An der Bushaltestelle traf ich gleich auf Seija. Meine beste Freundin. "Lydia!", rief sie mir zu und winkte. Seija. Siebzehn, rote wilde Locken, einsvierundfünfzig groß. Ein wahrer Redewasserfall und absolut liebenswürdig. "Na?", begrüßte sie mich. "Wie waren deine Ferien?" "Einfach super. Ich bin auf einem Drachen geflogen und habe erfahren, dass ich eine Hexe bin. Einfach super aufregend.", antwortete ich mit sarkasmusgeschwängerter Stimme und umarmte sie. Ich hatte sie seit zweianhalb Monaten nicht mehr gesehen, weil sie mit ihren Eltern und ihrem Zwillingsbruder Derek in Ferien gewesen war.
Derek stand etwas abseits. Wir nickten uns zu. Dann konzentrierte ich mich wieder auf Seija.
"Deine Ferien waren also absolut langweilig.", schlussfolgerte Seija. "Absolut!", bestätigte ich. "Und deine?" Jetzt würde es losgehen. Von jetzt an bis zum Schulklingeln würde sie mir ihre kompletten Ferien beschreiben.
"Ganz gut.", meinte sie. "Das wars? Zweianhalb Monate in Ferien und alles was du sagst ist "Ganz gut"? Bist du krank?"
In so einem Fall gab es zwei Möglichkeiten wie man reagieren konnte. Möglichkeit eins war garnichts mehr sagen. Nach fünf Minuten würde sie platzen und alles erzählen. Oder aber Möglichkeit zwei: "Spucks aus!", sagte ich. Interesse zeigen. Seijas grinste und schoss los. "Es war einfach super. Wir waren in Europa. Europa ist der Hammer. Diese vielen Sprachen. Die Leute und wie schön es da ist. Ich war an mehreren Stränden in verschiedenen Ländern! Sie dir nur mal an wie braun ich geworden bin!" Ich betrachtete sie. Eigentlich hatte sie sich kaum verändert. Sie war vorher schon recht gebräunt gewesen, aber etwas dunkler war sie schon geworden. Ich nickte und Seija fuhr fort: "Und dann die ganzen süßen Jungs. Einfach super! Die Strände waren voll mit ihnen. Und einmal..." Während der Busfahrt, auf dem Weg zu unsere Spinden und selbst noch im Klassenzimmer schilderte sie mir alle Details. Von ersten Flug bis zum letzten Flirt mit irgendeinem Jungen. Oft hörte ich garnicht richtig zu, sondern ging meinen eigenen Gedanken nach. Die Informationen waren mir einfach zu viel um das alles gleich am ersten Schultag alles aufzunehmen und vorzugsweise zu merken.
"Wie wir alle hören können ist Miss Pilston auch dieses Jahr wieder da." Die Stimme von Mr. Farenz, unserem Klassenlehrer, unterbrach Seijas Redeschwall. Sofort verstummte sie und wurde leicht rot. "Entschuldigen Sie, Mr. Farenz."
Der nickte ihr zu und hob erneut die Stimme. "Bevor wir mit dem alljährigen Durchlauf beginnen, wollte ich euch vorher einen neuen Schüler vorstellen." Mit dieser Ankündigung hatte Mr. Farenz auf einen Schlag die geballte Aufmerksamkeit und das schien ihm zu gefallen.
Er trat kurz aus dem Klassenzimmer und lies eine Jungen hinein. "Das ist Demian."
Aller Augen waren auf Demian gerichtet, dem das sichtlich egal war. Er stand nur gelangweilt da und wartete, dass Mr. Farenz seine Begrüßungsrede beendete.
Ich für meinen Teil hörte Mr. Farenz genau zu.
"Demian ist vor zwei Wochen hierher gezogen und wird hoffentlich auch bis zum Ende des Schuljahres hier bei uns bleiben. Er ist leider schon ein paar Mal von Schulen geflogen, wird sich aber hoffentlich doch gut bei uns einleben. Ich bitte euch daher ihn gut zu behandeln. Setz dich jetzt, Demian."
Mit unbeteiligtem Blick ging dieser bis zum Ende des Raumes und setzte sich auf einen freien Platz. Dafür musste er an meinem Platz vorbei, aber meine Tasche stand ihm im Weg. "Darf ich mal?", fragte er mit rauer dunkler Stimme und sah mich dabei herablassen an. Ich wrwiederte seinen Blick, schob meine Tasche mit dem Fuß zur Seite und erwiederte: "Bitte sehr, der Herr."
Den Blick, den er mir daraufhin zu warf war tödlich.
"Na toll. Ein Möchtegern Bad Boy. Das hat uns gerade noch gefehlt.", stöhnte ich, aber Seija neben mir kicherte. Sie verfolgte jede Bewegung, die Demian machte, genau wie die restlichen Mädchen meiner Klasse.
Ich wusste schon worüber Seija in der Pause reden würde. Sie und neun andere Mädchen. Ich stöhnte leise auf.
Der Rest der Stunde verflogt schnell, doch am Ende hatte Mr. Farenz noch eine weitere Ankündgung zu machen.
"Bevor es jetzt gleich klingelt, hört mir alle noch einmal kurz zu. Dieses Jahr ist euer letztes Jahr. Dieses Jahr sollt ihr, voraussichtlich, euren Abschluss machen. Deswegen, um in euren Schulakten etwas mehr auflisten zu können, bevor ihr an die Universität geht, hat die Direktorin sich dazu entschieden, dass die Zwölftklässler jeder noch einen zusätzlichen Kurs belegen sollen. Egal welchen. Jeder darf sich aussuchen in welchen er will. Das kann die Theater-AG sein oder der Französischkurs. Ihr könnt es euch aussuchen. Hier sind die Formulare mit allen Möglichkeiten, damit ihr auch alle vor Augen habt. Wenn ihr den Raum verlasst, nehmt euch bitte eins mit. Morgen muss ich sie, mit den Unterschriften eurer Eltern, wieder haben! Das wars. Wir sehen uns morgen. Wenn es klingelt, dürft ihr den Raum verlassen.", erklärte er uns, legte einen Stapel Papiere vorne auf sein Pult und wandte sich dann dem Innenraum seines braunen Aktenkoffers zu. Keine Sekunde später klingelte es und alle rauschten aus dem Raum. Ich griff mir eines der Formulare und ging lesend hinaus. Seija folgte mir, ebenfalls in das Formular vertieft.
"Nicht schlecht.", meinte sie und sah von dem Formular auf. "Fünfzehn verschiedene Möglichkeiten. Das sind ziemlich viele." Ich nickte. Ich war noch nicht ganz durch mit lesen. Da sprang mir plötzlich eine der Möglichkeiten ins Auge. "Ich weiß schon was ich nehme.", verkündete ich. Fragend sah ich Seija an. "Und du?" Sie nickte und ihre Augen strahlten. "Du weißt doch, dass ich unbedingt Schauspielerin werden will. Wenn dann in meiner Akte steht, dass ich in der Theater-AG war, macht das bestimmt einen guten Eindruck!" "Jedenfalls besser, als wenn du garkeine Erfahrung hast."
Seija wollte gerade darauf antworten, da stieß ich mit jemandem zusammen.
"He! Pass doch auf wo du hingehst, man!", rief eine Stimme genervt. Ich sah auf und sah direkt in Demians wütendes Gesicht. "Bist du und dein Kram den Leuten immer so im Weg oder ist das nur bei mir so?", fragte er und sah mich unergründlichem Gesichtsausdruck an.
"Normalerweise ziehen die Leute es vor mir nicht in die Quere zu kommen!", knurrte ich.
Er hatte je recht und ich sollte mich eigentlich entschuldigen, dafür, dass ich in ihn reingelaufen war, aber sein Kommentar war einfach so unverschämt, da konnte ich nicht anders.
"Ich sehe auch schon warum. Du bist eine wahre Tigerin." Sein Gesichtsaudruck blieb unverändert. "Wars das?", fragte ich genervt. "Nein. Eigentlich warte ich noch auf eine Entschuldigung!", meinte er und verschrängte die Arme vor der Brust. Ich hörte wie Seija neben mir nach Luft schnappte. Ich konnte mir denken wieso.
Demian trug ein weißes, kurzärmliges T-Shirt mit V-Ausschnitt und als er die Arme vor der Brust verschrängt hatte, hatte sich das, ohnehin eng anliegende, T-Shirt gedehnt und man konnte deutlich die Muskeln darunter erkennen. Ich musste zugeben, dass er einen guten Körper besaß. Da wurde mir bewusst, dass ich ihn angestarrt hatte. Schnell sah ich zur Seite und murmelte: "Tschuldigung."
Als ich ihn wieder ansah, lag ein Funkeln in seinen dunkelblauen Augen und ein schießes Lächeln auf seinen Lippen. "Geht doch. Wir sehen uns, Tigerin." Mit diesen Worten ging er davon.
"Er hat sogar schon ein Spitznamen für dich!", quickte Seija neben mir. Ich sah sie an. "Wenn du ihn haben willst, nimm ihn dir. Er gehört ganz dir." Ich schüttelte den Kopf. War ich den die einzige hier, die dem "Scharm" des Machos Demian entkomen war? Nach einem Blick in die Gesichter der umstehenden Mädchen, die Demian mit verträumten Blick folgten, wie er davon ging, beantwortete mir meine Frage: Ja. Ja, ich war die einzige.

Nach weiteren sieben Stunden und einer Busfahrt betrat ich endlich das Haus. Mum saß im Wohnzimmer auf dem Sofa. Sie sah auf, als ich die Haustür schloss. Von dem Eingangsbereich kam man direkt ins Wohnzimmer, ohne wirkliche Überleitung. Das Wohnzimmer und die Küche befanden sich im selben Raum und dort, in der Küche, auf einem Hocker am Tresen, saß Dad. Beide, Mum und Dad, sahen mich an.
"Was ist?", fragte ich sie irritiert. Mum sprang auf und platzte mit einer Neuigkeit heraus: "Du bist jetzt im letzten Jahr und da dachten dein Dad und ich, dass du jetzt reif bist um..." Das letzte Wort zog sie in die Länge. Wohl um Spannung aufzubauen.
"Fahrstunden zu nehmen, damit wir dir dann zum Abschluss ein Auto kaufen!", rief sie und breitete die Arme aus, als würde jetzt rechts und links neben ihr Konfetti aus dem Boden schießen.
"Bei letzterem sind wir uns noch nicht einig!", kommentierte Dad, doch ich war erst Mum und dann Dad schon um den Hals gefallen.
"Danke! Das ist absolut klasse!", rief ich. "Oh und keine Sorge. Ist nicht schlimm, wenn es zu, Abschluss kein Auto gibt. Ihr zahlt schließlich schon den super teuren Führerschein! Das ist mehr, als ich erwartet habe."
Mum strahlte und Dad nickte mir zufrieden zu.
"Und? Wie war dein Tag? Irgendwelche süßen neuen Jungs?", fragte Mum. "Es gibt tatsächlich einen neuen Jungen in meiner Klasse, aber der ist alles andere als süß!", erzählte ich ihr. Mum klatschte in die Hände und grinste. "Sieht er gut aus?" Sie machte sich Hoffnungen. Das sah ich ihr an. Sie wollte schon seit Ewigkeiten, dass ich einen Freund nach Hause bringe und hatte sogar schon versucht mich mit Derek zu verkuppeln. Seija hatte das damals als unheimlich lustig empfunden. Derek und ich eher weniger.
"Er sieht sogar ziemlich gut aus, aber mach dir keine Hoffnungen. Er ist ein Idiot.", sagte ich, schnappte mir einen Apfel aus dem Obstkorb in der Küche und flüchtete in mein Zimmer, bevor Mum mir noch mehr Fragen stellen konnte.
"Anfangs habe ich deinen Dad auch für einen Idioten gehalten und jetzt sie wohin das geführt hat!", rief Mum mir nach und ich konnte hören wie Dad lachte und meiner Mum irgendwas zu murmelte, woraufhin Mum in Gekicher ausbrach. Manchmal waren die beiden schlimmer, als die wildesten Teenager.
Schnell erledigte ich meine Hausaufgaben, dann schaltete ich meinen Computer ein. Ich hatte zwei Nachrichten. Eine von Seija und eine von Mo. Mo war mein bester Freund. Er war super schön, lieb und hofflungslos in Tyler verliebt. Kurz: er war homosexuell. Im Moment lebte er in Florida, aber laut seiner Nachricht würde er nach drei Jahren in Florida wieder zurück nach Brooklyn ziehen. Er hatte vorher schon hier gelebt.
Er schrieb:
Ich konnte Mum und Dad endlich überreden. Naja. Der Umstand, dass Dad in Brooklyn eine gute Stelle angeboten bekommen hat, war eigentlich der ausschlaggebende Punkt, aber egal. Ich komme zurück, Süße! Ich habe Seija auch schon Bescheid gesagt! Endlich sind wir wieder vereint. Ist Tyler eigentlich noch single? Ich will es mal hoffen! Wir sehen uns übermorgen in der Schule. Küsschen, Liebes.
Ich musste lächeln. Schön, dass er zurück kam. Ich hatte ihn vermisst.
Seijas Nachricht lautete:
Ich habe im Internet nach Demian gesucht. Nichts außer einem Accound in Facebook. Der Typ ist echt super unsozial. Kein Instagram, kein Skype, kein Twitter, kein Facetime. Garnichts.
Naja. Egal. Die Hauptnachricht is eigentlich: Mo kommt zurück!
Ich anwortete den beiden, bevor ich meine Tasche für den nächsten Tag packte. Dabei fiel das Formular vom morgen heraus. Das hatte ich nach dem Zusammenstoß mit Demian völlig vergessen. Schnell füllte ich es aus und ging dann Mum und Dad in die Küche, um zu helfen das Abendessen vorzubereiten.
"Einer von euch muss das hier bitte unterschreiben.", sagte ich und legte das Formular auf den Küchentisch. Mum nahm es und sah es durch.
"Du willst in den Schreibkurs?", fragte sie entgeistert. "Warum nicht etwas extravagantes wie in die Modewerkstadt oder die Schmink-AG. Das würde auffallen."
Ich sah Dad an. Er lachte. "Keine Sorge. Ich unterschreibe es dir, wenn deine Mutter es nicht tut." Dann wandte er sich Mum zu. "Nur weil du das damals belegt hast, muss Lydia das nicht auch tun, Süße." Mum sah ihn fast schon wütend an. "Ich war im Ballkomitee!", sagte ich und betonte dabei jedes Wort.

Der Rest des Abends verlief friedlich, nachdem Dad sich bei Mum entschuldigt und mein Formular unterschrieben hatte. Und als ich später in mein Bett fiel, dauerte es keine Minute, bis ich eingeschlafen war. Es war ein recht ereignisreicher Tag gewesen und ich hatte das Gefühl, dass noch weitere Ereignisse folgen würden.

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Das war das erste Kapitel von "Der Kuss von Feuer und Eis". Ich hoffe es hat euch gefallen. Hinterlasst ruhig Kommentare und Verbesserungsvorschläge. Ich wüsste nämlich gerne eure Meinungen. Danke. Hab euch alle lieb. :) (Nächstes Kapitel kommt bald und sorry, falls ich ziemlich unregelmäßig schreibe. Ich werde versuchen es regelmäßiger zu halten.)

Der Kuss von Feuer und EisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt