David zog einen abgenutzten Notizblock aus seiner Tasche, riss ein kleines Stück Papier ab und kritzelte hastig eine Adresse darauf. „Das ist der Ort," murmelte er, während er sich leicht vorbeugte, um sicherzugehen, dass niemand anderes unseren Austausch mitbekam.
Er reichte mir das Papier, und seine Augen blitzten kurz auf. „Überleg's dir gut." Er hielt meinen Blick fest, bevor er seinen eigenen Blick wieder abwandte. „Ich denke, es könnte dir helfen, ein bisschen Klarheit zu finden. Du wirst Dinge sehen, die Ethan dich bislang vielleicht nicht sehen lassen wollte."
Ich nahm den Zettel und spürte das raue Papier zwischen meinen Fingern. Die Adresse war scharf und deutlich darauf notiert, als wäre sie mehr als nur ein Ort. Es war eine Möglichkeit, eine Seite von Ethan zu sehen – und vielleicht auch von mir selbst –, die mir bisher fremd geblieben war.
David grinste leicht, als er mich ansah. „Ich werd heute Abend gegen zehn dort sein. Du kannst es dir überlegen und einfach vorbeikommen, wenn du bereit bist." Dann zwinkerte er mir zu und verschwand in der Menge, ließ mich mit dem Zettel in der Hand und dem leichten Schaudern, das seine Worte hinterlassen hatten, zurück.
Ich sah auf die Uhr. Es war erst Mittag, und ich hatte noch den ganzen Tag vor mir, doch der Zettel in meiner Tasche schien plötzlich mehr Gewicht zu haben, als so ein kleiner Papierfetzen eigentlich haben sollte. Während ich Richtung Vorlesungssaal schlenderte, fühlte ich, wie meine Gedanken immer wieder zu dieser Adresse zurückkehrten, obwohl ich versuchte, mich auf den Kurs zu konzentrieren. Was würde ich tatsächlich sehen, wenn ich diesen Club betrat? War es wirklich das, was ich wollte – diese Seite von Ethan zu verstehen, auch wenn er sie mir bisher verborgen gehalten hatte?
Ich setzte mich auf meinen Platz, und Tay warf mir ein breites Grinsen zu. „Ich hoffe, du bist nicht sauer, aber ich hab deinen Kaffee schon mal mitgetrunken. Bereit für die Vorlesung?"
Ich erwiderte sein Lächeln mit einem schwachen Nicken. „Klar, kein Problem." Doch insgeheim war mein Kopf überall – nur nicht hier in der Uni. Die Gedanken an die Entscheidung, die vor mir lag, drängten sich unaufhaltsam in den Vordergrund.
Das Gefühl, dass Ethan auf mich warten würde, hing wie eine zweite, schwerere Last in meinem Hinterkopf. Er war jemand, der klare Erwartungen hatte und von mir dasselbe forderte – Loyalität, Ehrlichkeit, und dass ich seine Regeln beachtete. Aber warum war ich dann so verführt, diese Grenze zu überschreiten? Und warum war die Vorstellung, diesen Ort mit David zu betreten, dermaßen verlockend?
Die Vorlesung zog sich hin, und immer wieder fand ich mich dabei, auf die Uhr zu sehen. Mit jedem Blick, der näher zum Nachmittag rückte, wuchs das Gefühl der Unruhe in mir. Ich spürte, wie meine Finger unbewusst die Konturen des Zettels nachfuhren. David hatte nicht viel gesagt, aber das, was er angedeutet hatte, reichte, um mir die Entscheidung schwer zu machen. Wie sollte ich Ethan nachher in die Augen sehen, wenn ich jetzt schon insgeheim überlegte, seine Regeln zu brechen?
Als der Professor schließlich die letzten Worte sprach und die Studenten aus dem Saal strömten, blieb ich einen Moment sitzen, den Blick starr auf meinen Rucksack gerichtet.
„Hey, JJ!" Tay stupste mich an, brachte mich aus meinen Gedanken zurück in die Gegenwart. „Alles klar? Du siehst aus, als wärst du in Gedanken sonst wo."
„Ja, schon," murmelte ich und versuchte, ein Lächeln hervorzubringen, das überzeugender wirkte, als ich mich fühlte. „Nur müde."
„Du solltest wirklich mal früher ins Bett gehen," sagte Tay mit einem Grinsen, bevor er zur Tür ging und mir ein Zeichen gab, ihm zu folgen.
Ich zögerte, sammelte langsam meine Sachen ein und folgte ihm durch die überfüllten Flure. Tay quasselte fröhlich über irgendwelche Pläne fürs Wochenende, doch ich hörte kaum zu. Mein Blick glitt immer wieder auf mein Handy. Ethan hatte mir nichts weiter geschrieben.
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Teacher's Pet (BoyxBoy)
RomanceJay hat sein Leben gut im Griff: Studieren, einen Teilzeitjob meistern und trotzdem sein Privatleben managen. Das Einzige, was er braucht, ist die Ruhe seiner eigenen vier Wände, um seine routinierte Existenz fortzuführen. Ein Leben, das er probleml...