Die Begegnung

180 13 4
                                    

Nach einer endlosen Harfenstunde mit vielen Ermahnungen ging ich zurück in mein Zimmer. Es war mittlerweile später Nachmittag und ich beschloss noch einen kleinen Ausflug zu machen.
Ich nahm meinen grünen, fest gewebten Beutel, den ich bei einem Ausflug gefunden hatte aus meiner untersten Schublade, stieg in meine Schuhe und nahm meinen gefütterten Mantel aus dem Schrank. Ich liebte diesen Mantel über alles, weil er so einfach ist und man sich in ihm einfach so wohl fühlt. Glücklicherweise liegt mein Zimmer im Erdgeschoss, deshalb kann ich problemlos aus dem Fenster klettern. Unter meinem Fenster beginnt der Schlosspark.

Es schneite, deshalb zog ich den Mantel enger um mich. Ich schaute mich kurz um und lief dann den Kiesweg zügig entlang. Ich schlüpfte durch das Loch in der dichten Hecke und stand schließlich auf der Dorfstraße. Was ich eigentlich machen wollte, wusste ich selbst nicht. Ich brauchte aber auch gar keinen bestimmten Anlass, es reichte mir vollkommen einfach ein wenig das normale Leben der Leute mitzuerleben und mich wie einer von ihnen zu Fühlen. Oh, ich liebte dieses Gefühl einfach! Ich schaute mich um und bog dann um die nächste Ecke und machte mich auf den Weg ins Dorf.

Als ich im Dorf angekommen war hatte es aufgehört zu schneien. Ich fing an ein Schaufenster zu betrachten, in dem verschiedene Porzellanfiguren zu sehen waren. Ich hatte gerade begonnen mir ein kleines Porzellan-Mädchen mit einem Blumenkorb in der Hand genauer anzuschauen, als einige Leute herbei kamen und Knickse und Verbeugungen vor mir machten.
Mir war das mehr als unangenehm  und ich hätte viel dafür gegeben als normaler Mensch durch die Straßen zu laufen. Ich schenkte den Leuten keine Beachtung und drehte mich schnell weg. Wo hin jetzt?
Kurz lief ich orientierungslos über den Platz, dann entschied ich mich hinter dem Brunnen in die Ochsengasse einzubiegen. Auch hier herrschte wie auf dem Platz ein ganz schönes Gedränge von Menschen. Ich war einer von ihnen. Dieser Gedanke gefiel mir. Ich war ein Mädchen, dass im Dorf war, genau wie all diese Menschen hier auch. Ich lächelte zufrieden.

Da sah ich plötzlich einen Jungen, der in hellbraunes weites Hemd und eine dunkelbraune Hose trug in der Menge. Er sah umwerfend aus mit seinen dunklen struppigen Haaren. Er lief mit zügigen Schritten durch die Menge. Trotzt seiner abgenutzten Arbeitskleidung wirkte er elegant und anmutig. Ich weiß nicht, wie ich das noch beschreiben soll, ich fühlte mich von diesem Jungen einfach angezogen.
"Was soll das?"
Ich zuckte zusammen. "Was stehst du hier so unnütz rum? Geh doch zur Seite!", zeterte die Stimme.
Erst jetzt würde mir klar, was die Frau meinte. Ich stand mitten in der Gasse wie versteinert und starrte....oh nein. Ich hatte tatsächlich dagestanden und wie hypnotisiert diesen Jungen angestarrt! Peinlich berührt machte ich der rundlichen Dame, die einen Gemüsekorb unter dem Arm hatte Platzt. Diese konnte es aber nicht lassen, sich trotzdem weiterhin über mich aufzuregen: "Na endlich! Das hat ja Ewigkeiten gedauert! Los! Los! Aus dem Weg!" Ich entschuldigte mich, doch ich bekam trotzdem nur verbissene Blicke von der Gemüsefrau zugeworfen.

Ich kam schließlich wieder zurück zu dem Platzt, doch ich konnte den Jungen nirgends entdecken.  
Enttäuscht machte ich mich auf den Heimweg.

MarieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt