Hoffnung

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Angespannt stand ich da. Was würde er wohl sagen? Eines war klar, sein "Entschluss" hatte viel mit meiner Zukunft zu tun.

"Es ist tatsächlich so, dass ich eine neue Magd suche", begann er.
Er machte eine kurze Pause, dann fuhr er fort:"aber ich brauche eine Magd, die ihre Sache gut macht und auf die ich mich verlassen kann. Deshalb kann ich diese Aufgabe nicht einfach so vergeben."
"Und was bedeutet das jetzt für Marie?", fragte Marvin. "Sie wird für eine Probezeit hier arbeiten und ihr Können beweisen." Können beweisen? Was hatte  ich mir hier nur eingebrockt?
Aber andererseits, ich würde die nächste Zeit mit Marvin verbringen können und ich hatte erst mal ein neues Zuhause. Das war erst mal alles was zählte.

"Und? Was sagst du?", riss mich Marvin aus meinen Gedanken.
"Das, das ist großartig!", brachte ich schließlich hervor und ergriff die Hand des Bauers, die mir entgegengestreckt
wurde.
"Marvin zeig ihr bitte ihre Kammer und den Hof."
Das klang doch nach guten Aussichten.
"Klar. Komm mit", sagte Marvin.

Ich stand auf und machte mich für den Arbeitstag fertig.
Ich arbeitete jetzt schon seit fünf Tagen auf dem Weidenhof, doch ich hatte mit Marvin kaum Zeit verbracht.
Mein Arbeitstag war einfach zu voll. Ich hatte kaum Pausen, und wenn ich dann mal kurz Pause machte war Marvin beschäftigt. Immer, wenn ich ihn sah,  schauten wir uns in die Augen und lächelten uns zu. Jedesmal breitete sich ein so schönes warmes Gefühl in meinem Bauch aus. Ich konnte mir nichts schöneres Vorstellen, als das.
Sein Lächeln konnte mich immer aufmuntern, wenn ich gerade vor Arbeit nicht mehr wusste, ob meine Wahl die richtige gewesen war.
Jedesmal dann wusste ich es wieder und war mir so sicher, wie noch nie zuvor.

"torre salvana el cielo va cerrando
torre salvana-----
torre salvana un dia va a olvidar
prevalece tu reinar
torre salvana tu cima aproximando
torre salvana añoro tu brillar
torre salvana testigo centenar
tus ojos lloran al recordar
torre salvana tus frías puertas cierran
torre salvana y tu triste mirar
torre salvana ancestros van haciendo
tu luz regresar
torre salvana el cielo va cerrando
torre salvana------
torre salvana tu luz nunca va a olvidar
permanece tu reinar
torre salvana tu cima aproximando
torre salvana añoro tu brillar
torre salvana testigo centenar
tus ojos lloran al recordar"
(Torre Salvana-Ordo Funebris)

Sang ich vor mich hin.
Ich liebte dieses  Lied. Und ich liebte das Singen. Ich hatte auch früher immer gesungen, wenn das langweilige Prinzessinen-Leben mich gequält hatte.
Mit dem Singen konnte ich all meinen Emotionen freien Lauf lassen.
Ich schloss die Augen und steckte all meine Liebe in die letzen Töne von Torre Salvana. So oft hatte ich dieses Lied schon gesungen.
Ich lies meine Augen noch einen Augenblick zu und atmete tief durch.
Dieses Lied erinnerte mich an meine Familie. Genauer gesagt an meine Schwester. Das Lied hatte ich mit ihr gesungen. Ich konnte es bildlich vor mir sehen, wie ihre Augen gefunkelt hatten. Ich öffnete die Augen und mir entfuhr ein Schrei.
Marvin stand direkt vor mir.
Er lächelte.
"Tut mir leid, dass ich dich erschreckt habe", entschuldigte er sich.
"Schon okay, macht nichts."
"Du singst wunderschön!"
Ich errötete.
"Äh, danke."
Er sagte nichts, er stand einfach nur da und schaute mich an. Ich senkte meinen Blick zum Boden.
"Mein Vater ist nicht da und ich bin so gut wie fertig mit der Arbeit für heute. Wie wärs, wenn wir einen Spaziergang machen?"

Ein Spaziergang? Meinte er das ernst? "Ich, äh.."
Er will einen Spaziergang machen!
Mit mir!
"Ja, gerne!", brachte ich schließlich heraus.
"Okay, freut mich!"
"Ich fahre gerade noch kurz die Schubkarre zum Misthaufen", informierte ich ihn.
"Klar, mach das."
Ich nahm die Schubkarre und machte mich auf den Weg nach draußen.
Die Abendsonne blendete mich und ich schirmte mit einer Hand meine Augen ab.

Das hätte ich besser nicht getan.
Die Schubkarre schwankte zur Seite und kippte. Mist.
Mist, wortwörtlich.
Der Mist war jetzt überall.
Ich war eben doch noch keine erfahrene Bäuerin.
Ganz im Gegenteil.
"Alles in Ordnung?"
Oh nein.
Marvin kam aus dem Stall.
Wie peinlich.
"Nicht ganz. Die... Die Schubkarre ist...umgekippt."
Er lachte kurz.
"Das macht doch nicht! Komm ich helfe dir", bat er an.
Er holte sich ebenfalls eine Mistgabel und half mir alles wieder auf die Schubkarre zu laden.
"Danke!"
"Gerne. Wollen wir los auf den Spaziergang?", fragte er.
"Ja, lass uns losgehen."

Er kam mir entgegen und nahm meine Hand.

MarieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt