Labil und Hormonüberflutet? (21)

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"Schatz?" Alex hält mich an meinem Arm fest und verhindert somit mein sofortiges Aussteigen aus dem Marv. "Was denn?", frage ich leicht genervt, da mir schon klar ist, dass ich jetzt wieder Anweisungen zum artig sein bekomme. "Hör mal... Wenn der Arzt uns den Besuch verbietet, dann wäre es nett, wenn du nicht dagegen wetterst. Er hat schon recht, dass Tom zu viel Trubel nicht gut tut. Wir können dann ja einfach morgen wieder kommen!" Meine Antwort besteht aus einer einzigen hochgezogenen Augenbraue. Herr Hetkamp seufzt laut auf und trommelt mit seinen Fingern auf dem Lenkrad herum. "Wenn du gedenkst, jetzt einfach schnell loszufahren, dann habe ich keine Scheu davor, aus dem fahrenden Auto zu springen und wenn du Angst hast, dass ich dich blamiere, dann wartest du eben im Auto. Dann weiß auch fast niemand, dass ich zu dir gehöre!"
"Ne, nur die halbe Klinik!", wirft er mir genervt entgegen. "Die, die mich kennen, wissen, wie ich ticke. Also... Entweder bleibst du sitzen oder kommst mit. Ich gehe jetzt!", werfe ich ihm an den Kopf und schwingen meinen Hintern endlich aus der Karre.
Als Alex neben mir ankommt, ergreift er sofort meine Hand und lässt seine Finger zwischen meinen gleiten. "Traust du dich doch mit mir mitzukommen?"
"Irgendjemand muss doch Schadensbegrenzung ausüben", sagt er allen Ernstes und grinst mich frech an. Kopfschüttelnd ziehe ich den Notarzt hinter mir her und gehe gar nicht auf seine Ausbremsversuche ein, obwohl er mich immer wieder energisch zurück zieht. Womöglich könnte mich jetzt nicht einmal eine Lastwagenkolonne aufhalten.

Ich nutze den Schwung einströmender Menschen aus und mische mich mit Alex unter die Menge, damit wir möglichst ungesehen an Gisela vorbei kommen. Es würde mich nicht wundern, wenn sie schon eine Notiz bekommen hat, dass man mich von der Intensiv fernhalten muss. Eigentlich glaube ich nicht, dass der Arzt mich kennt, denn auf der Intensiv war ich noch gar nicht so oft zu Besuch. Nur damals, als Alex dort mit seinem Norovirus lag.

In dem etagenübergreifenden Metallkasten angekommen, schüttele ich die Hand meines Mannes ab, damit er mich nicht so leicht ausbremsen kann, wenn ich mir gleich meinen Weg zu Tom bahne. Alex will aber nicht wirklich nachgeben und stellt sich dicht hinter mich, so dass er fast wie ein Kaugummi an meiner Kehrseite haftet. "Soll ich dich Huckepack nehmen oder geht's?" Mein kleiner Seitenhieb wird einfach ignoriert. Stattdessen rückt er noch ein Stück näher auf, sodass ich seinen Atem in meinem Nacken spüren kann. Im Normalfall könnte ich jetzt nicht wiederstehen und würde mich an die Front meines Mannes anschmiegen, aber heute bleibe ich stur. Schon aus Prinzip.

Als sich die metallenen Tore öffnen, stürme ich in den Flur und arbeite mich, so wie damals, als ich Alex gesucht habe, Zimmer für Zimmer durch. Natürlich versuche ich, leise zu sein, um keine unnötige Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen. Wie ein schwangerer Ninja gleite ich sanft auf Zehenspitzen über den Boden und gleiche fast der Grazilität einer Feder. "Schatz?", ruft Herr Hetkamp laut durch den Flur. Ich bleibe abrupt stehen und drehe mich dem stimmlichen Verräter zu. Indem ich meinen Zeigefinger auf die Lippen lege, verdeutliche ich ihm, dass er leise sein soll. "Sollen wir nicht lieber gleich bei der Schwesterkanzel nachfragen, in welchem Zimmer Tom liegt?", wirft er hinterher und bemüht sich, kein bisschen leise zu sein. Mit zu Schlitzen gezogenen Augen nehme ich ihn ins Visier und versuche so leise wie möglich zu antworten: "Nein. Sei ruhig und komm jetzt hierher. Wir werden ihn auch so finden!"
Herr Stampfkamp nähert sich mit einem breiten Grinsen und mir kommt es so vor, als wenn seine Schritte durch den kompletten Flur hallen. "Schatz. Es ist besser, wenn wir uns gleich zeigen und den Schwestern oder dem Arzt somit signalisieren, dass wir da sind. Glaub mir. Wir sind hier auf einer Intensivstation und du weißt ganz genau, wie sich hier alle über unangemeldete Besuche freuen!"
"Gar nicht. Schon klar. Darum möchte ich mich auch nicht gleich von Anfang an verraten. Vielleicht kann ich dann wenigstens zwei, drei Minuten bei Tom sein. Das würde mir schon genügen. Sei also bitte kein Spielverderber und halt einfach die Klappe", zische ich ihn an und wende mich wieder dem schlauchförmigen Gang zu. Kaum bin ich ein paar Schritte weiter geschlichen, vernehmen meine Ohren ein dunkles Räuspern. Augenrollen drehe ich mich wieder um: "Was ist denn?" Alex schüttelt den Kopf und deutet mit seinem Finger hinter mich: "Ich war das nicht. War wohl der Arzt, der dort steht und uns bestimmt schon eine Weile beobachtet!" "Nicht dein Ernst, oder? Warum sagst du denn nichts? Mit dir könnte man auch keine Bank ausrauben!" Tief durchatmend drehe ich mich um und lege mein bestes Lächeln auf. Der ältere Weißkittel lehnt mit verschränkten Armen im Türrahmen der Schwesterkanzel und sieht nicht ganz so begeistert aus.

Einzelkämpfer Teil 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt