Kapitel 1.

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"Der Sinn des Lebens ist leben."

Erschöpft ließ ich mich an der Innenseite der Toilettentür hinunter gleiten, bis ich auf den kalten Fliesen saß. Ich konnte einfach nicht mehr. Ich konnte nicht mehr diese gehässigen Sprüche aushalten, das ständige nieder machen, das rumgeschubse. Nicht einmal in der Schule hatte ich meine Ruhe, wo Lehrer waren. Diese sahen einfach weg, während ich von meinen Mitschülern wie Dreck behandelt wurde. Ich war Abschaum für sie. Das dumme, schüchterne Mädchen, was sich ritzt und was sich nicht wehrt. Ich merkte wie sich Tränen in meinen Augen sammelten und ich versuchte sie zu unterdrücken, doch es gelang mir nicht und sie flossen meine Wange hinunter. Ich winkelte meine Beine an und legte meinen Kopf auf meine Knie ab. Meine Arme schlang ich um meine angewinkelten Beine. Ich summte leise die Melodie meines lieblings Songs. Alaska.

In deinem Alaska!
Dein eigenes, endloses Weiß
bevor dich die Lawine ergreift.
Atme kurz ein und schweig.

Als ich mich so langsam wieder beruhigt hatte, richtete ich mich auf und lief Richtung Klassenzimmer, aus welchem ich vor ein paar Minuten gerannt bin, da ich es nicht mehr ausgehalten hatte.

Leise betrat ich den Klassenraum und setzte mich ohne weiteres Aufsehen an meinen Platz, den ich mit niemand teilte, da niemand neben jemanden wie mir sitzen wollte. Den Lehrer interessierte es nicht, dass ich zu spät kam. Mir auch Recht. Müde legte ich meinen Kopf auf meine Arme und starrte auf die Tafel, auf welche der Lehrer gerade etwa schrieb, doch ich war mit meinen Gedanken ganz woanders. Ich dachte an das, was später passieren würde. Nach der Schule. Was mein Stiefvater wieder für Gründe aufbrachte, um mich zu schlagen. Wieviel meine Mutter wieder getrunken hatte. Ich wollte eigentlich nicht daran denken. Im Gegensatz zu dem was zuhause passierte, war die Schule nichts.

Als es zur Pause klingelte, ging ich als einer der ersten aus dem Zimmer, um nicht irgendwo hineinzugeraten. Glücklich erreichte ich den Schulhof und hielt Ausschau nach einem schattigen Plätzchen. Es war nämlich ziemlich heiß, mit langen Klamotten im Hochsommer, trotz das es Morgen ist. Warum ich lange Sachen trage erklärt sich glaube ich von selbst. Ich will keine Aufmerksamkeit, wie viele, die das tun. Ich will den seelischen Schmerz durch körperlichen vergessen und das schien für mich die beste Lösung.

Als ich gerade ein schöne Bank im Schatten gefunden hatte und darauf zu gehen wollte, wurde ich beiseite gerissen und in eine abgelegene Ecke des Schulhofes gedrängt. Dort waren die "Coolen". "Na? Emo, ist dir nicht heiß in den Klamotten. Mal wieder geritzt? Tu es doch endlich mal wirklich." meinte einer von ihnen. Alle fingen an zu lachen. Darauf folgte ein Schubser, sodass ich gegen die Wand knallte. Mike, der Anführer von ihnen kam bedrohlich auf mich zu. Als er vor mir stand, sah er mich noch einmal kurz an, bevor ich einen stechenden Schmerz an meiner Wange fühlte. "Sie es ein. Du bist hässlich, dumm und keiner will was mit dir zu tun haben. Beende es doch endlich und tu damit jedem einen Gefallen." lachte er fies und eine weiter Ohrfeige folgte. Tränen sammelten sich wieder in meinen Augen. Doch ich musste stark bleiben. Ich wollte nicht vor ihnen weinen. Doch Mike entging das nicht. "Awww seht sie euch an. Das hässliche Entlein weint." Alle brachen in schallendes Gelächter aus. Mike packte meine Haare und zog mich vor die anderen. Da er seinen Arm in die Luft hält und er viel größer als ich ist, musste ich auf die Zehenspitzen stehen. Kay nutze das aus und schubste mich zur Seite. Mike ließ los und ich flog auf meine Schulter. Es knackste.

Endlich ertönte die erlösende Klingel. Alle gingen an mir mit einem hochnäsigen Blick vorbei. Kay war der letzte. Er trat bevor er ging gegen meinen Magen. Dann folgte er den anderen. Gekrümmt vor Schmerzen lag ich auf dem verlassenen Schulhof. Da alle weg waren, konnte ich endlich weinen und alle Dämme brachen ein. Wieso ich? Schmerzerfüllt hielt ich mir meinen Bauch.

Nach etwa 10 Minuten hatte ich mich beruhigt. Ich rappelte mich vorsichtig auf. Mein Schulter tat höllisch weh. Das gibt blaue Flecken. Mein ganzer Körper war voll mit irgendwelchen Blutergüsse oder blau/grünen Flecken. Aber nicht durch meine Mitschüler. Nein. Sondern durch meinem Vater. Pardon meinem Stiefvater. Mein Eltern haben sich getrennt als ich 8 war. Seit diesem Tag habe ich meinen Vater nie wieder gesehen. Ich konnte mich nicht einmal verabschieden.

Traurig an den Gedanken humpelte ich ins Klassenzimmer. Auf dem Weg zu meinem Platz ganz hinten in der Ecke, traf mich die ein oder andere Papierkugel oder mir wurde ein Bein gestellt. Als ich auf meinem Platz endlich ankam ließ ich mich nieder und verbrachte die restliche Stunde damit aus dem Fenster zu starren. Je näher das Klingeln kam, desto mehr Angst bekam ich.

Um Punkt 12:30 klingelte es. Langsam packte ich meine Sachen zusammen. Ich war mittlerweile die letzte im Klassenzimmer. "Melody beeil dich! Ich muss abschließen." meckerte meine Lehrerin. Ich verdrehte nur dich Augen und packte noch schnell das Mäppchen ein, bevor ich meine Tasche verschloss und nach draußen ging. So langsam es ging, lief ich nach Hause. Doch dort kam ich auch durch Schneckentempo nach 20 Minuten an. Mit zitternden Fingern schloss ich die Wohnungstür auf und trat ein. Ein Geruch von Alkohol und Rauch stieg in meine Nase. Ich musste kurz husten. "MELODY? BIST DU DAS?!" schrie die aggressive Stimme meines Stiefvaters. Ich gab nur ein kleinlautes 'Ja' zurück. Darauf hörte ich stampfende Schritte die Treppe hinunter poltern. Kurz darauf stand er vor mir. "Wieso kommst du erst jetzt?! Du hattest vor 40 Minuten aus!" schrie er. "I... Ich musste noch meinem L... Lehrer helfen." stotterte ich. "Lüg nicht! Ich hab die gesehen! Solange braucht man nicht um nach Hause zu laufen! Ich habe Hunger! Also kommst du auch rechtzeitig Heim um zu kochen! Deine Mutter ist nicht da!" schrie er und der gleiche Schmerz wie in der Schule durchzuckte wieder meine Wange. Er schmiss mich auf den Boden und prügelte auf mich ein. Ich ließ es über mich ergehen. Ich war es gewohnt, wegen jeder Kleinigkeit Schläge zu kassieren. Als er endlich fertig war, ließ er von mir ab und ging nach draußen. Wahrscheinlich holt er sich jetzt eine Pizza oder so. Vorsichtig rappelte ich mich auf und humpelte in mein Zimmer. Dort ließ ich mich auf mein Bett fallen und suchte nach meinem Handy. Als ich es hatte, fischte ich Kopfhörer unter meinem Bett hervor und machte meine Lieblingsmusik an. Casper. Ohne ihn hätte ich alles schon längst beendet. Doch er gibt mir Kraft weiter zu machen. Stark zu bleiben. Nie aufzuhören den Glauben an sich selbst zu verlieren. Doch leider könnte ich ihn nie treffen um ihm für alles zu danken. Für eine Konzert- oder Festivalkarte hatte ich einfach nicht genügend Geld. Wir wohnten zwar beide in Berlin, aber Berlin ist groß. Ich weiß nicht einmal in welche Richtung ungefähr. Neuköln? Kreuzberg? Und selbst wenn ich das wüsste arbeitet er meistens oder ist auf Tour. Ich habe die Hoffnung ihn zu sehen bereits aufgegeben. Deswegen musste ich mich eben mit seiner Stimme durch meine Kopfhörer zufrieden geben. Gott, was würde ich dafür tun seine Stimme live zu erleben. Benjamin Griffey. Mein Retter, mein Held, der davon nicht einmal weiß, was er mit seiner Musik erreicht hat. Er hat das Leben einer 18 - Jährigen gerettet und hält sie am Leben.

Der Druck steigt ~ Casper FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt