Kapitel 9: Tränen der Vergangenheit

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Ich schloss die Tür hinter mir und rannte die Treppe hinunter, zum zweiten Mal seit meiner Anreise, dachte ich mir, vollkommen aus dem Zusammenhang gerissen. Ich trat raus in das bunte Treiben der Stadt. Ich ging, keine Ahnung wohin, aber ich ging. Die Menschen, die an mir vorbei gingen, waren so sehr in ihre Gedanken vertieft, beschäftigt mit ihren eigenen Sorgen und Problemen, ein weiteres trauriges, nachdenkliches Gesicht darunter viel gar nicht auf. Tausende von Menschen, tausende von Problemen, tausend Schicksale, dachte ich. Ich war in einer Parkanlage angekommen, setzte mich auf eine Bank, zog die Beine an und legte den Kopf auf meine Knie. Ich weinte, mal wieder. Eigentlich sollte ich über Basti hinweg sein, es war immerhin schon eine ganze Weile her, doch aus irgendeinem Grund machte mich sein plötzliches Auftauchen in meinem Leben fertig. Er hatte mich betrogen, verarscht, ausgenutzt und mir damit das Herz gebrochen. Ich hatte ihn so sehr geliebt, man würde vielleicht sagen, dass ich, als wir zusammen kamen, noch nicht wissen konnte, was Liebe wirklich war, doch ich hatte es gefühlt. Wir waren drei Jahre zusammen gewesen, drei verfickte Jahre. Als wir uns kennen lernten, war er so liebenswürdig gewesen, so rücksichtsvoll und einfühlsam. Es war nicht, wie in Filmen immer erzählt wurde, Liebe auf den ersten Blick. Selbst dafür war ich damals schon zu sehr Realistin. Liebe hatte für mich etwas mit Vertrauen, Geborgenheit und Sicherheit zu tun, und somit war klar gewesen, eine Person, die ich nicht kannte, konnte ich auch nicht Lieben. Schwärmen für jemand Unbekannten war etwas anders, ich meine ich schwärme auch für Chester Bennington auch wenn ich ihn nicht kannte. Aber Basti hatte sich in meine Gedanken geschlichen, sogar in meine Träume. Wir trafen uns immer öfter und verbrachten immer mehr Zeit miteinander, bis er mich eines Abends küsste und die Schmetterlinge in meinem Bauch liefen Amok. In der ersten Zeit war es einfach nur schön, so verliebt zu sein, so idiotisch zu grinsen, wenn man den Anderen sah, oder auch nur an ihn dachte. Selbst meine Eltern mochten ihn, was mich damals total erleichterte, denn er war immerhin schon 17 und somit immerhin drei Jahre älter als ich. Doch irgendwann wurde der Beziehungshimmel zur Beziehungshölle. Basti vertraute mir nicht mehr, mit gar nichts. Er fing an mich zu kontrollieren, schrieb mir Sachen vor, verbot mir Dinge. Freunde treffen war irgendwann nicht mehr drin, selbst mit Mara durfte ich mich nicht mehr außerhalb der Schule treffen, weil er die Zeit, die ich für mich hatte, für sich beanspruchte. Selbst das wollte ich am Anfang nicht wahr haben, ich tat es als strake Verliebtheit, Fürsorge und Beschützerinstinkt ab. Aber da hatte ich mich geirrt, denn als ich mit ihm darüber reden wollte, holte er aus und schlug zu. Ich sah ihn ungläubig an und er sagte, es sei erst der Anfang, wenn ich nicht ab sofort das täte, was er sagte. ich hatte Angst vor ihm, doch ich kannte ihn ja eigentlich ganz anders. Jedes Mal wenn er mich schlug, demütigte oder verletzte, verbal und physisch, hoffte ich, dass es nur ein Ausrutscher war. Nach zwei Jahren Beziehung, zog er in eine eigene Wohnung und es wurde noch schlimmer. Ich war ihm hörig. Ich ging kaum noch raus, so dass ich gar kein soziales Leben mehr hatte. Selbst in der Schule vermied ich Kontakt mit allen Anderen, selbst mit Mara. Da man aber in der Schule von Zeit zu Zeit auch mal Referate machen musste, bekam ich Jason, meinen schwulen ehemals Besten Freund zugeteilt. Verbrachte einen Nachmittag bei ihm, wegen besagtem Referat, sagte aber Bast nichts davon. Trotzdem hatte er raus gefunden, wo ich war und sah wie mich Jason zum Abschied umarmte. Als wir dann 'Zuhause', also bei ihm waren, beschimpfte er mich und wir stritten uns, er warf mir vor, ich hätte ihn mit Jason betrogen, bezeichnete mich als dreckige Hure und schlug auf mich ein. Ich gab, gegen seine Erwartungen, Widerworte von mir, daraufhin flippte er total aus und schnappte sich das Brotmesser von der Anrichte. Ich flehte ihn an, es nicht zu tun, sagte ich würde von nun  an nur noch das Tun, was er von mir verlangen würde. Doch er meinte nur, dass ich dafür bestraft werden müsste. Dann stach er zu, ein einziges Mal, in den Unterbauch. Ich schrie und fiel dann bewusstlos zu Boden. Als ich wieder zu mir kam, lag ich im Krankenhaus und meine Mutter fragte mich, wie ich denn so leichtsinnig sein Konnte mit dem Brotmesser, welches ich doch Basti reichen wollte, auf Socken durch die Wohnung zu laufen. Es war eine Komplizierte OP gewesen, und von mein "Sturz" hatte ich eine zwölf Zentimeter lange Narbe zurückbehalten. Doch auch dann hatte ich zu große Angst und auch keine Kraft mehr Basti zu verlassen oder mich auch nur noch ansatzweise gegen ihn zu wehren. Erst, als ich ihn mit meiner Cousine im Bett erwischte, hatte sich so viel Hass und Wut angestaut, das ich ihn endlich verlassen konnte. Ich zeigte ihn an. Ein Jahr Haftstrafe, das war alles. Ein Jahr Haft gegen drei Jahre in der Hölle. Als Mara von all dem erfuhr, war sie gegen meine Erwartungen für mich da, trotz der Jahre ohne Kontakt und trotz ihres Unverständnisses, weshalb ich das so lange mitgemacht habe. Sie hatte alle Hände voll zu tun, um mir mein Selbstwertgefühl auch nur ansatzweise zurück zu geben. Von Basti hatte ich seit der Verhandlung nichts gehört, bis jetzt. Er war wieder draußen und er wusste wo ich war. Das machte mir Angst, ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, das er was planen würde um mich wieder zu bestrafen. Es ging wieder von vorne los. Ich wollte nicht, das sich die Geschichte wiederholte. Ich wollte stark sein. Ich hab den Kopf, den ich die ganze Zeit auf meinen Knien hatte ruhen lassen und zuckte zusammen. Ich saß nicht mehr allein auf der Bank. Braune Augen sahen mich sanft an. Ich spürte eine Umarmung. Keine aus Mitleid, sondern eine die beruhigend und schützend wirken sollte. "Was tust du hier?" schniefte ich an seiner Brust. "Du hast dein Handy auf der Couch liegen lassen" sagte er ruhig, ohne die Umarmung zu unterbrechen.


Überraschung: Du hast einen BruderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt