Kapitel 8

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Nachdem ich meine Tasche ausgeräumt, mit großen Augen das Badezimmer bestaunt sowie die Aussicht auf den anliegenden Fluss genossen habe, mache ich mich auf den Weg nach unten. Das Haus ist ruhig und scheint verlassen zu sein. Wo sind nur alle hin? Musste Louis noch weg?
Vorsichtig betrete ich die geräumige Küche, mit einer Kochinsel in der Mitte sowie weißen, modernen Küchenschränken an den Wänden. Eine Tür führt hinaus in den Garten.

Sobald ich das Haus verlassen habe, scheint mir die wärmende Sonne ins Gesicht. Langsam schlendere ich den schmalen Weg entlang, vorbei an verschiedenen Blumenbeeten, bis sich ein weiter Garten vor mir erstreckt. Erstaunt bleibe ich stehen.
„Du musst Zoe sein", höre ich plötzlich eine Stimme hinter mir.
Erschrocken drehe ich mich um und blicke in die wahrscheinlich blauesten Augen, die ich je gesehen habe.
„Ich bin Niall! Louis und Mary haben mir von dir erzählt", stellt er sich kurz vor.
Nachdem er mir seine Hand gereicht hat, fährt er fort: „Ich finde es übrigens super von dir, dass du die beiden so unterstützen willst. Du bist ihre letzte Hoffnung, dass El doch noch aufwacht!"
Sein ehrliches Lächeln vereinnahmt mich sofort. Seine blonden Haare leuchten in der Sonne und seine sanfte Stimme streichelt meine Seele.
„Na ja, letzte Hoffnung, finde ich etwas übertrieben, aber ich tu was ich kann."
„Soll ich dir den Garten zeigen?", bietet er aufmerksam an.
„Wenn du Zeit hast? Ich möchte dich nicht von etwas wichtigem abhalten!", entgegne ich unsicher.
Laut lachend geht er voraus, während ich ihm erleichtert folge. Niall ist mir von Anfang an sympathisch. Er ist der Kumpeltyp, dem man sofort vertraut, ohne Angst, dass er die ihm anvertrauten Geheimnisse weitererzählt.
Ich erinnere mich an das Gespräch mit Harry, in welchem er mir ein paar Details über Niall erzählt hat. Vorsichtig spreche ich ihn darauf an.
„Du kennst Louis vom Studium, stimmt's?"
„Ja, woher weißt du das?", fragt er erstaunt.
„Von Harry!"
„Hat er noch mehr über mich erzählt?
„Nicht viel! Was meinst du?", hake ich nach.
„Zum Beispiel, warum ich hier eingezogen bin?", will er neugierig wissen.
„Er meinte, du würdest es nicht wollen, dass er mir Näheres darüber erzählt", antworte ich ehrlich.
„Da hat er Recht!"
Schweigend gehen wir weiter. Meine Neugierde treibt mich an, bei Niall nachzuhaken, aber mein Anstand hält mich zurück.

Eine Moment später erreichen wir einen Bootssteg. Zwei kleine Motorboote schaukeln angebunden im Wasser. Begeistert laufe ich ans Ende des Stegs.
„Glaubst du, man kann die Boote mieten?", frage ich aufgeregt.
„Nein, sicher nicht! Aber wir können sie uns einfach nehmen, wenn du willst?", antwortet Niall amüsiert.
„Ziehst du mich gerade auf?", will ich skeptisch wissen, während ich drohend auf ihn zugehe.
Abwehrend hebt er die Hände. „Wie kommst du darauf? Das würde ich niemals tun!"
Abschätzend stehe ich vor ihm, blicke ihm in seine Augen und erkenne den Schalk, der mir entgegenblickt.
„Die Boote gehören euch, richtig?", löse ich das Missverständnis auf.
„Um genau zu sein, gehören sie Harry!"
„Hat sein Vater so viel Geld?", will ich kleinlaut wissen.
„Jedenfalls genug, um seinem verzogenen Sohn ein sorgenfreies Leben zu bieten. Wir sind nur die geduldeten Mitbewohner, die für jeden Cent arbeiten müssen."
„Heißt das, Harry duldet dich nur, weil du Louis Freund bist?", frage ich ungläubig.
„Nein! Das heißt, Harry duldet uns alle nur, weil er sonst alleine wäre", klärt er mich umgehend auf.
„Es stimmt also", ergänze ich nachdenklich. „Geld allein macht nicht glücklich!"
„So kann man es auch sagen. Harry ist eigentlich ein netter Kerl, nur ab und zu überkommt es ihn, dann lässt er seine Überlegenheit raushängen. Wenn man allerdings mit ihm alleine ist, zeigt er seine verletzliche, einsame Seite", erzählt Niall ruhig.
„Verletzlich? Dann habe ich bisher nur die Seite des verwöhnten Sohnes kennengelernt. Er schien mir keineswegs verletzlich, eher eingebildet und gewohnt, alles zu bekommen, was er will!", werfe ich genervt ein.
„Gib ihm Zeit, er wird seine sanfte Seite schon noch zeigen", rät Niall mir.
Vielleicht will ich das gar nicht, geht es mir durch den Kopf.
Plötzlich legt Niall den Arm um mich und zieht mich an sich. „Ich freue mich, dass du hier bist, Zoe!"
Seltsamerweise habe ich nicht einen Moment lang ein ungutes Gefühl dabei. Ich spüre instinktiv, dass er mit seiner Umarmung keinerlei Hintergedanken hegt.
„Und ich freue mich, dass wenigstens ein anständiger Kerl in der WG wohnt!", erwidere ich sein Kompliment. Freundschaftlich boxe ich ihm in die Seite, während wir beide herzhaft lachen.

Im ersten Stock der Villa:

Louis liegt auf seinem Bett und starrt an die Decke. Er will sich nicht eingestehen, dass er für Zoe Gefühle hat. Obwohl ihm bewusst, ist, dass seine Beziehung zu El bereits seit einem halben Jahr nicht mehr optimal läuft, sieht er es als Verrat ihr gegenüber an, für ihre beste Freundin etwas zu empfinden. Noch dazu, weil El nicht ansprechbar ist, er deshalb nicht einmal mit ihr darüber reden, oder, sollte es soweit kommen, Schluss machen kann. Er würde so gerne mehr mit Zoe unternehmen, sie richtig kennenlernen. Allerdings weiß er, dass es auch für sie eine schwer zu ertragende Situation wäre, wenn er sich in sie verlieben würde. Der besten Freundin den Freund ausspannen ist unter Mädchen ein absolutes No-go. Selbst, wenn sie nichts dazu beiträgt, sondern die Gefühle nur von ihm aus gehen.
Am besten hält er sich, so gut es geht, von ihr fern. So kann er vielleicht vermeiden, sich in sie zu verlieben.
Langsam steht er auf und geht an sein Fenster. Im nächsten Moment weiß er, dass es bereits zu spät für diesen Vorsatz ist, Zoe hat bereits von seinem Herzen Besitz ergriffen.
Sein Blick wandert über den Garten. Am Bootssteg entdeckt er Niall mit Zoe. Lachend unterhalten sie sich. Plötzlich legt Niall seinen Arm um Zoes Schultern und zieht sie an sich. In diesem Moment spürt Louis einen Stich in seiner Brust. Als er anschließend noch beobachtet, wie Zoe Niall in die Seite boxt und ihn dabei glücklich anlächelt, hält er es nicht mehr aus. Ohne klaren Gedanken stürmt er aus dem Zimmer, die Treppe hinunter und in den Garten.

„Zoe?", höre ich meinen Namen. Schnell löse ich mich aus Nialls Umarmung, um mich umzudrehen. Einige Meter hinter uns steht Louis, mit zerzausten Haaren und abschätzendem Blick.
„Hey Louis! Ich dachte, du bist weg. Es war so leise im Haus!", begrüße ich ihn freudig.
„Hast du Lust, ins Krankenhaus zu fahren?", fragt er, ohne auf meinen Hinweis einzugehen.
„Klar! Jetzt gleich?"
„Wenn du nichts Besseres vorhast?", antwortet er mit Blick auf Niall.
Spontan umarme ich Niall zum Abschied, bevor ich Louis entgegenlaufe. Dieser dreht sich wortlos um und geht voraus zu Marys Wagen.

Während der kurzen Fahrt in die Innenstadt Londons betrachte ich den schweigenden Louis neben mir. Sein Blick ist stur geradeaus auf den Verkehr gerichtet.
„Kann es sein, dass du sauer auf mich bist?", frage ich unsicher.
Abrupt schaut er mich an. „Warum sollte ich?"
„Ich meine nur ... als wir in der Villa ankamen, warst du so gut gelaunt und jetzt auf einmal ...", antworte ich zögernd.
„Zoe! Meine Launen, egal ob gut oder schlecht, haben nicht immer was mit dir zu tun. Ich musste viel an El denken, deshalb bin ich gerade nicht so gesprächig", klärt er mich genervt auf.
Bedrückt schaue ich zur Seite. Wenn er seine Ruhe will, dann kann er mir das auch anders sagen!

Einige Minuten später wage ich es, ein neues Thema anzusprechen. „Wann musst du das Auto zurückbringen?"
„Heute Abend. Ich kann dich nach dem Krankenhaus noch nach Hause fahren, danach bring ich Mary das Auto", antwortet er freundlich.
„Fährst du mit dem Zug zurück?"
„Ja, warum?", fragt er überrascht.
„Wir können doch gemeinsam das Auto zu Mary bringen und dann zusammen nach Hause fahren", schlage ich schüchtern vor.
„Klar, wenn es dir nichts ausmacht?", entgegnet er nachdenklich.

Zehn Minuten später erreichen wir das Krankenhaus. Als wir El's Zimmer betreten wollen, werden wir zurückgehalten.
„Entschuldigung, aber momentan können Sie nicht zur Patientin. Sie muss zu einer Untersuchung und wird danach umgebettet. Kommen Sie in einer Stunde wieder, dann ist sie fertig", erklärt uns eine junge Schwester.
„Hat sich ihr Zustand verändert? Oder warum wird sie untersucht?", hakt Louis unruhig nach.
„Es ist eine Routineuntersuchung. Die Gehirnströme werden gemessen. Bitte gedulden Sie sich ein wenig", beruhigt sie uns fürsorglich.
Nachdenklich blickt Louis mich an. „Was machen wir jetzt? Sollen wir hier warten?"
„Gehen wir lieber ein wenig spazieren. Im Krankenhaus sitzen wir noch lange genug", schlage ich vor.

Einige Momente später verlassen wir das Gebäude und schlendern die vor uns liegende Einkaufsstraße entlang. Als wir an einem Top Shop vorbeikommen, schlage ich spontan vor: „Können wir kurz reingehen? Ich möchte mir noch ein paar Shirts kaufen."
„Klar, warum nicht?", antwortet Louis gutgelaunt.

Im ersten Stock des Kaufhauses bewege ich mich langsam durch die Kleiderständer, entscheide mich für ein paar Shirts und schlüpfe in die Umkleidekabine. Louis wartet geduldig davor. Plötzlich klopft er an.
„Was ist?", frage ich erschrocken, da ich lediglich mit Jeans und BH bekleidet vor dem Spiegel stehe.
„Kann ich reinkommen?", fragt Louis leise.
„Spinnst du? Ich habe nichts an", entgegne ich aufgebracht. Ist Louis doch nicht so harmlos, wie er sich gibt? Hat Harrys Art etwa schon auf ihn abgefärbt?
„Sorry, ich wollte dir nur was geben", erwidert er entschuldigend. Vorsichtig öffne ich die Tür einen Spalt. Louis drückt mir ein Kleidungsstück in die ausgestreckte Hand, welches ich neugierig in die Kabine ziehe.
„Ist das dein Ernst?", rufe ich entsetzt aus.
„Zieh es an!", fordert er mich unmissverständlich auf.
„Das kannst du vergessen!"
„Bitte! Zieh es an!", erwidert er liebevoll.
Nachdem ich in das Kleid geschlüpft bin, betrachte ich mich im Spiegel. Soll das ein Witz sein? Was hat sich Louis nur dabei gedacht, mir so ein Kleid aufzuschwatzen? Ich sehe aus, wie ein überdimensionales Bonbon, welches mit einem rot-weiß-schwarz gestreiften Papier eingewickelt wurde. Zu allem Überfluss hängt an meinem Bauch eine riesige Schleife, welche mit bunten Pailletten bestückt ist. Der Kragen, die Ärmel sowie der Saum des Kleides werden von großen Rüschchen verziert.
„Hast du es schon an?", will Louis wissen.
„Ja, aber das ist wohl ein schlechter Scherz", erwidere ich ängstlich.
„Komm raus!", fordert er mich auf.
„Niemals!"
„Los, mach schon!", kommt es nachdrücklich.
„Vergiss es!", kontere ich böse.
Im nächsten Moment fliegt die Türe auf. Erschrocken starre ich mein Gegenüber an. Mein Blick schweift von seinem Kopf über sein Oberteil bis zu seiner Hose. Beim Anblick seiner Schuhe kann ich mich nicht mehr zurückhalten. Laut lachend pruste ich los.
Amüsiert packt Louis mich am Arm und zieht mich aus der Kabine, direkt vor einen großen Spiegel. Nebeneinander betrachten wir uns.
„Du siehst toll aus!", bemerkt er lachend.
„Im Vergleich zu dir, stimmt das sogar. Wo hast du nur diese Klamotten her?", frage ich fassungslos.
„Ob du es glaubst oder nicht, aber die gibt es hier in der Männerabteilung", grinst Louis mich an. Sein starres weißes Hemd wird am Hals mit einer Fliege zusammengehalten. Darüber trägt er einen Frack, der allerdings so altmodisch wirkt, dass man glauben möchte, er stamme aus einem Kostümverleih. Die schwarze Hose zeigt starke Bügelfalten, was die Schuhe nicht wieder gutmachen können. Sie wirken eher wie Steppschuhe von Fred Astaire, als moderne Herrenschuhe. Als wäre dieser Auftritt noch nicht schlimm genug, greift Louis an die Seite des Tisches und setzt einen Zylinder auf.
„Louis! Gibt's den auch hier?", will ich verwundert wissen.
„Darf ich bitten, junges Fräulein", säuselt er mit einer tiefen Verbeugung.
„Sag mal ehrlich: Hast du mein Kleid ausgesucht, weil es besonders schlimm ist, oder gefällt es dir wirklich?", frage ich neugierig.
Langsam beugt er sich zu mir und flüstert mir ins Ohr: „Das wirst du niemals erfahren."
Dabei spüre ich seinen warmen Atem an meiner Haut, was mir unverzüglich eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Durch den Spiegel schauen wir uns an. Sein Gesicht ist dem meinen so nahe, dass ich mich nur zur Seite drehen bräuchte, um ihn mit meinen Lippen zu berühren. Krampfhaft versuche ich dem Drang zu widerstehen. Bevor ich drohe einzuknicken, wende ich mich schnell ab. „Vielleicht sollten wir uns wieder umziehen, bequem ist das Kleid nämlich nicht gerade."

Zurück in unserer Alltagskleidung verlassen wir das Kaufhaus. Auf unserem weiteren Weg durch die Straßen ziehen wir uns immer wieder auf, lachen über die Verkleidung und unterhalten uns über die damalige Epoche. Viel zu schnell vergeht die Zeit. Schließlich stellen wir erstaunt fest, dass El's Behandlung bereits seit über einer Stunde abgeschlossen ist. Wehmütig begeben wir uns zum Krankenhaus. Warum muss es gerade Louis sein, mit dem El zusammen ist?

...Praying (FF Louis Tomlinson)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt