Drei

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„Es... es tut mir so... so leid. Ich... ich wollte das alles doch nicht...", schluchzte ich an der Schulter der Frau. Sie strich mir noch immer beruhigend über den Rücken. Doch anstatt dass es mich wirklich beruhigte, ließ es mein schlechtes Gewissen nur noch stärker werden.

Ich hatte ihren Sohn umgebracht. Ich war schuld daran, dass es ihn nicht mehr gab. Ich war es, die den Vorschlag hatte, in die Tennishalle zu gehen. Sie extra zu reservieren, damit wir auch ja alleine waren. Hätte ich das jemals vorher gedacht, ich hätte alles anders gemacht. Ich würde alles anders machen. Ich würde auch jetzt noch alles dafür geben, die Vergangenheit ungeschehen zu machen.

„Alles wird gut, alles wird gut", redete sie beruhigend und leise auf mich ein.

„Nichts wird wieder gut. Er... er ist weg." Durch einen Schleier von Tränen sah ich sie an. Konnte ihr nicht in die Augen schauen. Ich könnte den Blick nicht ertragen, mit dem sie mich ansehen würde.

„Ich weiß, ich weiß." Sie hielt mich auf Armeslänge von sich. Auch sie weinte. Es waren stumme Tränen. Ihre Augen waren stark gerötet. „Aber bitte, ich... ich will es wissen. Nur... nur seine letzten Momente." Sie schluckte, blinzelte einige Male. Doch auch ihre Tränen wollten nicht versiegen. Wie könnten sie auch?

Wieder vergrub ich meinen Kopf in meinen Händen. Meine Fingernägel vergrub ich in meiner Kopfhaut. Es schmerzte, doch dieser Schmerz erinnerte mich daran, dass ich noch da war. Noch lebte. Nicht bei ihm war. Sondern hier, auf der Erde, getrennt von ihm.

„Ich kann nicht... Ich kann das nicht." Immer wieder kamen die Worte über meine Lippen. Mein Blick starr in die Ferne gerichtet. Immer wieder tauchte sein Gesicht vor meinem inneren Auge auf. Wie er mich angesehen hatte. In der Halle. Als ich verletzt auf dem Boden lag, mich nicht regen konnte. Er über mir. Mit einer Wunde am Kopf, Schrammen im Gesicht. Es war nicht das Bild, das eine Mutter als das Letzte ihres Sohnes vor Augen haben sollte.

„Vielleicht sollten wir besser gehen", sagte irgendjemand.

Ich hörte ihn. Registrierte seine Worte. Und doch nahm ich sie nicht wahr. Fühlte mich nicht angesprochen. Wer sollte schon von einem ‚wir' reden und mich dabei miteinschließen. Das gab es für mich nicht mehr. Das war vorbei.

Wieder herrschte Stille, so kam es mir zumindest vor. Ich hörte niemanden, der etwas sagte. Oder bildete ich mir das nur ein? Hatte ich mich in Gedanken schon so abgeschottet, dass ich alles um mich herum ausgeblendet hatte? Nichts mehr wahrnahm, außer mir selbst, meinen eigenen Gefühlen und Wünschen.

„Zoe, ich bringe dich nach Hause, ja?", sagte die Person erneut und berührte mich sanft an der Schulter.

Erschrocken fuhr ich herum und stieß um ein Haar mit Philipp zusammen, der sich zu mir gebeugt hatte. Auch, um seine Mutter nicht mehr ansehen zu müssen. Den Schmerz in ihren Augen nicht mehr zu sehen, für den ich verantwortlich war.

„Was?", brachte ich gerade so hervor. Meine Stimme zitterte, brach beinahe ab.

„Wir sollten gehen. Ich bring dich nach Hause", wiederholte er langsam. Aus seinen grauen Augen schaute er mich ernst an, aber dennoch irgendwie sanft.

Ich konnte nur nicken. Auch wenn ich nicht nach Hause wollte, so wollte ich die stummen Vorwürfe seiner Mutter noch weniger hören. Die Vorwürfe, die ich nur in ihren Augen lesen konnte. Die mich nur noch mehr nachdenken lassen würden.

Als ich langsam aufstand wollte ich noch irgendetwas zu seiner Mutter sagen. Um sie zu beruhigen, um sie zu beschwichtigen, um sie zu trösten. Doch es kam kein Wort über meine Lippen. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Als wolle sie verhindern, dass ich noch irgendetwas sagte. Alles, was ich tun konnte war, ihr zuzunicken und gezwungen zu lächeln.

Es Gibt Kein ZurückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt