Sieben

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Um mich herum war es laut. So viele Menschen. Auf so engem Raum.

Wie damals.

Sie schrien herum. Sangen. Hüpften auf und ab. Freuten sich auf das Spiel.

Wie damals.

Es war beinahe eine exakte Kopie. So real, dass ich tatsächlich versucht war zu glauben, dass die Zeit zurückgedreht worden war. Nur eine Sache war anders. Ich war anders. Ich fühlte mich so komplett fehl am Platz. Als würde ich nicht hierher gehören. Wie ein Fremdkörper in dieser Welt. Der Welt der Fans. Letztes Mal hatte ich selbst dazu gehört. Zu den Fans. Hatte mich mit ihnen verbunden gefühlt, auch wenn ich sie nicht kannte. Jetzt fühlte ich mich einsam. Alleine in diesem riesigen Stadion. Unwohl zwischen all den fremden Menschen. Sie alle lachten. Tranken Bier. Aßen eine Bratwurst. Machten gut gelaunte Selfies. Um stolz sagen zu können, dass sie hier gewesen waren. Ein Teil von dieser so einzigartigen Kulisse sein konnten. Sein wollten.

Doch was war daran einzigartig? Was war besonders daran, wenn es sich innerhalb weniger Wochen so einfach wiederholen ließ? Wenn es für sie alle doch keinen Unterschied zu machen schien, ob einer fehlte. Er wurde einfach ersetzt. Sie alle wurden einfach ersetzt. Die Mannschaften. Die Spieler auf dem Platz. Vor wenigen Wochen war er es gewesen, mit dem ich mitgefiebert hatte. Dem ich die Daumen gedrückt hatte. Der Grund, weshalb ich überhaupt hier war. Er war auch jetzt wieder der Grund, warum ich zurückgekehrt war. Die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass auch er wieder herkommen würde, wäre nur alles wieder genau wie vor ein paar Wochen.

Jemand tippte mir auf die Schulter.

Erschrocken fuhr ich auf meinem Sitz herum. Meine Muskeln angespannt. Die zitternden Hände um meine angezogenen Knie geschlungen.

Niemand war da. Die Männer hinter mir schauten mich verdutzt an. Schon fast abfällig. Abschätzend. Wie eine Verrückte. War ich das nicht auch irgendwie?

Erleichtert drehte ich mich wieder um. Froh, wieder in meiner eigenen Welt versinken zu können. Meine Ruhe zu haben. Mit niemandem sprechen zu müssen. Niemandem etwas vorspielen zu müssen. Einfach in meiner eigenen Fantasie abtauchen zu können. In meiner Welt, in der noch alles so komplett war. In der es noch Hoffnung gab.

„Hier vorne."

Der Klang der Stimme ließ mich ein weiteres Mal zusammenzucken. Instinktiv zog ich meine Knie noch fester an meine Brust und schaute auf.

Der junge Mann vor mir lächelte mich an. Fast freundlich. Nicht mitleidig. Wahrscheinlich wusste er nichts von alledem. Der Glückliche.

„Ja?" Meine Stimme war leise. Auch wenn ich mich bemühte, etwas lauter zu sprechen. Ob er mich wirklich gehört oder nur die Bewegung meiner Lippen gedeutet hatte?

„Das ist mein Platz, auf dem Sie sitzen." Er nickte zu mir herunter. Dem Plastiksitz. Meinem Plastiksitz.

„Nein. Nein, das kann nicht sein. Das ist mein Platz." Ich schüttelte den Kopf. Mein Puls raste. Nein, das konnte nicht sein. Das war mein Platz. Mein Sitz. Ich wusste es genau. Genau hier war ich gesessen. Von hier aus hatte ich ihm zugesehen. Es konnte nicht sein, dass hier jemand anderes saß. Ich musste hier sein. Er wusste, wo ich war. Er musste es wissen. So hatte er es mir noch gesagt vor dem Spiel. Mit dem verschmitzten Lächeln im Gesicht. Er müsse wissen, welcher schönen Frau er beim Erfolg zujubeln konnte. Zugezwinkert hatte er mir noch. Mich geküsst zum Abschied.

Der Typ vor mir seufzte. Kramte in seiner Hosentasche nach etwas. „Hier, meine Karte. Siehst du, mein Platz."

Stumm starrte ich auf die Eintrittskarte die mir der Typ unter die Nase hielt. Die Zahlen und Daten nahm ich nur verschwommen wahr. In meinem Kopf war nur Platz für die aufkommende Panik. Der vernünftige Teil in mir wusste, dass er Recht hatte. Doch ich war nicht vernünftig. Meine Vernunft hatte mich schon lange verlassen.

Es Gibt Kein ZurückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt