Sechs

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„Da hinten sitzt Sam schon." Jody zerrte mich nahezu vorwärts. Die Finger fest um meinen Oberarm geschlossen. Mit ihren Fingern konnte sie meinen Oberarm fast ganz umschließen. „Siehst du, ist doch gar nicht so schlimm."

Ich erwiderte gar nichts. Tränen brannten in meinen Augen. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Im ganzen Restaurant schien es still zu werden, als wir zwischen den Tisch hindurchgingen. Zu Sam. Ganz nach hinten ins Lokal. In die vermeintlich abgelegene Ecke. Damit wir unsere Ruhe hatten. Nur den Weg dorthin hatten sie vergessen. Die Blicke der anderen Menschen schienen mich geradezu aufzufressen. Ob sie wohl wussten, wie viele Erinnerungen für mich hier waren? Wie viel ich erlebt hatte in dieser kleinen Pizzeria am Stadtrand? Wie schwer es mir fiel, nicht in Tränen auszubrechen. Weil ich mir einfach nur wünschte, dass er hier auf mich wartete. Nicht Sam. Rouwen. Dass ich es zu einem Teil noch immer hoffte. Darauf wartete, dass er lachend von einem der Tische aufstand. Mir den Stuhl zurückzog. Mich küsste zur Begrüßung. Lachte, weil ich zu spät dran war. Sich auf den Abend, unser Wiedersehen, genauso sehr freute wie ich.

„Zoe, wie schön dich wieder zu sehen", begrüßte mich stattdessen Sam. Er lächelte. Freundlich. Wie immer. Aber gleichzeitig hatte sein Blick etwas Abschätzendes. Als würde er auf einen Zusammenbruch meinerseits warten. Dass ich meinen Tränen freien Lauf ließ.

Tapfer lächelte ich. Sprechen konnte ich nicht. Mein Blick huschte zu den beiden Tischen nebenan. Rouwen war nicht da. Eine leise Stimme in meinem Hinterkopf sagte mir, dass es noch nicht zu spät war. Er konnte noch immer auftauchen.

„Du solltest mir mal danken. Es war ein ganz schönes Stück Arbeit, sie hierher zu bekommen", murrte Jody und ließ sich auf die Bank fallen. Die vollen Lippen zu einem Schmollmund verzogen.

„Dann vielen Dank, Jody, dass du dich geopfert hast." In Sams Stimme schwang Sarkasmus mit. Er schaute wieder zu mir. Lächelte wieder. Fast mitleidig. „Komm, rutsch rein. Du siehst aus, als würdest du gleich umkippen."

Sanft drückte er mich an der Schulter in Richtung Bank. Gegenüber von Jody. Die Berührung ließ mich zusammenzucken. Ich schlang die Arme um meinen Oberkörper, ehe ich ganz an die Wand rutschte. Wir hatten Sommer. Es war warm in der Pizzeria. Dennoch fröstelte ich. Vor Einsamkeit. Obwohl zwei meiner vertrautesten Freunde bei mir saßen. Mir gegenüber. Mich musterten. Auf eine Reaktion meinerseits warteten. Vielleicht auch auf einen Zusammenbruch.

„Was ist?", brachte ich irgendwie hervor. Meine Stimme klang erstickt. Kaum hörbar.

„Das wollte ich dich fragen." Sam lächelte sanft. So viel hatte er noch nie gelächelt. Nicht am Stück. Nicht mir gegenüber. Es wirkte falsch. Fehl am Platz. Wo blieb der strenge Sam, mit dem ich in den letzten Jahren immer zusammengearbeitet hatte? „Was los ist mit dir. Du hast dich ewig lange nicht gemeldet." Aus seinen braunen Augen beobachtete er mich aufmerksam. Es war ein unangenehmes Gefühl, so genau beobachtet zu werden. Unwillkürlich schlang ich meine Arme noch fester um meinen Oberkörper.

„Warum hätte ich das tun sollen?" Langsam aber sicher konnte ich wieder sprechen. Ohne dabei in Tränen auszubrechen.

„Weil ich dein Trainer bin und du zu den größten Talenten zählst, die wir im Moment in Deutschland haben." Er klang energisch. Als wäre das noch immer der Fall.

„Nein, nicht mehr." Jetzt schnürte es mir wieder die Kehle zu. Die erste Träne bahnte sich schon den Weg nach draußen. Aufhalten konnte ich sie nicht. Wegwischen wäre zu viel Arbeit. Meine Hände konnte ich nicht aus dem weichen Stoff meines Pullis lösen.

„Was darf ich euch denn zu trinken bringen?" Eine fröhlich lächelnde Kellnerin war an unseren Tisch gekommen. Ihre Zähne schienen sogar in dem gedimmten Licht zu strahlen.

Es Gibt Kein ZurückWo Geschichten leben. Entdecke jetzt