Am nächsten Morgen weckte mich grollender Donner und niederprasselnder Regen. Ich blinzelte in den Himmel. Die Sonne war erst aufgegangen, versteckte sich jetzt aber hinter dunklen Gewitterwolken und grauem, schweren Nebel. Ich wollte Xavier wecken und so drehte ich mich zu ihm um, zumindest dort hin, wo ich ihn vermutete, was mich aber sogleich in seine Arme beförderte. Er hatte in der Nacht seinen Arm um meine Seite geschlungen und sie auf meinem Bauch ruhen lassen. Im kühlen Regen betrachtete ich ihn. Er war noch nicht wach, was mir seine gleichmäßigen Atemzüge verrieten. Der Drang über sein Gesicht zu fahren war so stark wie am Vortag, vielleicht sogar größer; und diesmal widerstand ich nicht. Zusammen mit dem Rauschen der Bäume im Regen streckte ich langsam meine Hand seinem entspannten Gesicht entgegen und strich erst sanft wie ein Windhauch darüber, bis ich mir sicher sein konnte, dass er davon nicht geweckt wurde. Seine Wimpern zitterten, dann öffneten sich seine unglaublich dunkelgrünen Augen, die mich mit einer Mischung aus Müdigkeit und Belustigung ansahen. Schnell zog ich meine Hand weg und sprang auf, indem ich ihn wegdrückte. Wie schaffte er es mich jedes Mal zu erwischen, wenn ich ihn gerade beobachtete?! Selbst wenn ich ihn für schlafend hielt bemerkte er es! Um diesen peinlich Moment - wohlgemerkt, nur für mich, - zu überspielen, ging ich zu meinem Kleid, das zum Glück trocken geblieben war unter den Büschen, und zog es wieder an. Als Nächstes ging ich direkt zu den Bäumen, die den Strand säumten, da ich spürte, dass dort Scar und Tabolt waren. Hinter mir hörte ich Xavier leise lachen und konnte mir sogar fast bildlich vorstellen, wie er aufstand, sich streckte und mir anschließend folgte. Bei Scar angekommen, holte ich meinen warmen Wollumhang heraus und zog ihn an, mir war kalt geworden im Regen und am Wasser. Da ich seit gestern in der Früh nichts mehr gegessen hatte und mein Magen fürchterlich knurrte, nahm ich meine letzten Essensvorräte und ging weiter zwischen die Bäume, tiefer in den Wald, bis ich eine trockene Lichtung fand, auf der ein umgestürzter Baumstamm lag, und setze mich auf ihn. Es riecht frisch, nach Natur und Moos und meine angespannten Nerven und Sinne entspannten sich allmählich wieder. Gerade als ich anfangen wollte zu essen, schlendert Xavier aus dem Dickicht des Waldes und setzt sich im Schneidersitz vor mich. Dabei beobachtet er mich intensiv. Wahrscheinlich um zu sehen, wie ich darauf reagiere. Ehrlich gesagt ist es mir egal, ich habe nur Hunger. Also fange ich an zu essen; breche ein Stück des noch relativ frischen Brotes ab, nage langsam daran und esse ein Stück von dem Käse, den ich noch habe. Mister Wales allerdings sitzt immer noch vor mir und hat anscheinend nicht vor damit aufzuhören, mein Essen anzustarren. Seufzend breche ich die Hälfte von Brot und Käse ab und werfe sie in seinen Schoß. Dann mache ich auf dem Baumstamm eine 180°-Drehung weg von ihm, und esse weiter. Wieder ernte ich ein unglaublich tiefes Lachen. Da ich meine Augen geschlossen hatte, konzentriert sich mein Bewusstsein jetzt ganz auf mein Gehör; ich höre, wie Xavier – in Gedanken nenne ich ihn einen Panther, da er sich genauso geschmeidig bewegt –aufsteht und sich neben mich auf den Baumstamm fallen lässt- ganz pantherunlike. Sofort spüre ich die Hitze die von ihm ausgeht und kann nicht anders, als ihn anzusehen. Ihm rinnt noch der Regen aus den Haaren, den Hals herunter, durch ein Lederband durch bis in sein graues Hemd. Staunend beobachte ich weitere Tropfen, die sich ihren Weg über seine olivfarbene Haut bahnen. Ich weiß auch nicht genau, was mich so faszinierte, doch ich kann meinen Blick einfach nicht mehr von ihm lösen. Es ist als wäre mein Blick an ihn gebannt, wie durch einen starken Zauber; was durchaus möglich sein könnte, ist mir vorletztes Jahr schon einmal passiert. Doch noch nie habe ich so etwas intensives gespürt. Auch er dreht seinen Kopf in meine Richtung und sofort hält mich sein Blick gefangen. Schwarzes Feuer trifft auf dunkelgrüne Seide, sodass ich sogar das Kauen vergesse. Die Zeit um uns herum schien für einen Moment lang die Luft anzuhalten und uns gespannt zu beobachten. Doch plötzlich ertönt hinter uns ein ohrenbetäubender Krach und Scar und Tabolt kamen völlig verschreckt zu uns gelaufen. Sofort eile ich zu ihnen, um sie zu beruhigen. Scar allerdings steigt und schlägt mit ihren Hufen aus. >>Schh, meine Schöne. Beruhige dich. Scar, bitte beruhige dich!<< Als sie sich langsam tatsächlich beruhigt, lege ich ihr meine Hände über die Nüstern und streichele sie sanft. >>So, und jetzt erzähl mir, was passiert ist.<<, bitte ich sie flüsternd. „Ein Rudel Wölfe ist total verstört aus dem dunklen Wald gelaufen und jeder von ihnen hat gewimmert und geschrien, dass wir verschwinden müssen. Es kommt Gefahr genau in unsere Richtung. Wir müssen sofort weg!" Beunruhigt schaute ich zu Xavier, der inzwischen auch Tabolt beruhigen konnte. >>Scar sagt, dass wir sofort weg müssen.<< Er scheint nicht zu verstehen weswegen oder wie ich das überhaupt von ihr wissen konnte, doch ich kann mich jetzt nicht auf ihn konzentrieren. Jetzt spüre ich auch etwas Gefährliches auf uns zukommen. Langsam gehe ich in die Hocke und lege meine Hand flach auf den Boden und schließe meine Augen. Sofort ist mein sechster Sinn bei den Reitern vom Vortag, doch dieses Mal sind sie viel näher, zu nah! Ich reiße die Augen auf, greife nach den Zügeln von Scar und ziehe mich daran in den Sattel. Ohne Weiteres wollte sie losstürmen, doch ich kann sie gerade noch aufhalten. >> Warum müssen wir so plötzlich weg von hier? Gerade als es so schön geworden ist?<<, fragte mich Xavier mit einem dümmlichen Grinsen im Gesicht. >>Weil, werter Herr Wales, wir genau in diesem Augenblick von den Reitern von gestern umschlossen werden. Also würde ich nur empfehlen von hier zu verschwinden, oder meint ihr nicht?<<, frage ich ihn spöttisch. Endlich schwang er sich auf sein Pferd und Verstehen macht dem Grinsen Platz. Wir stürmen los, zuerst zurück zum Wasser, dann den schwarzen Strand entlang und das gefühlte Stunden. Der Regen hat noch nicht nachgelassen, aber endlich kommen wir an den Feldern hinter dem großen See an und reiten auf den Wegen weiter. Plötzlich ertönt hinter uns ein Schrei und ich spüre wie alle Männer, die versucht haben uns zu umzingeln, uns mit rasender Geschwindigkeit verfolgen. Die Landschaft driftete nur so an uns vorbei. Als ich sah, dass uns der schnellste von den Reitern fast erreicht hat, rief ich Scar und Tabolt gedanklich zu, dass sie auf mein Zeichen nach links über eine kleine Steinbrücke zwischen den Büschen in das Dorf reiten sollen. Scar stimmt sofort zu, doch Tabolt musste ich anschreien – in Gedanken versteht sich natürlich – dass er mir nur dieses eine Mal gehorcht. Der Reiter hinter uns spannte seinen Bogen. >>Jetzt!<<. Die Pferde reagieren sofort, nur Xaviers Blick schnellt zu mir, als wäre ich in der Zeit von der Lichtung heute Morgen bis jetzt verrückt geworden. Eigentlich wäre sein Blick lustig gewesen, wenn wir nicht gerade von einer Bande Männer verfolgt würden. Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gedacht, umgaben uns schon die Häuser und Hütten des Dorfes. >>Schnell, macht Platz da! Aus dem Weg!<< Xavier hat sich anscheinend wieder gefangen, denn jetzt versucht er die enge Gasse vor uns freizubekommen. Schreiend und fluchend eilen die Bauern und einfachen Leute aus dem Weg oder pressen sich an die dreckigen Wände. Eine Brut Hühner flog gackernd auf die Seite und hinterließ einen Haufen dreckig weiße Federn vor uns. Wir stürmen zwischen den Straßen und Gassen hin und her, in der Hoffnung unsere Verfolger abzuhängen, Schreie der Verletzten hinter uns zeigten, dass sie nicht so leicht abzuhängen waren. Irgendwann wurde der Weg vor uns zu schmal, als dass wir noch weiterreiten könnten, also stiegen Xavier und ich ab. Ich gehe vor, bis wir an dem Weg zu einer breiten Brücke ankamen. Hinter uns hörte ich die Männer, sie kamen wieder genau in unsere Richtung, sodass ich uns in Panik unter die Brücke führte. Ich nahm meinen Sattel, meine Satteltaschen und mein Geschirr von Scar herunter. Mir war eine Idee gekommen. >>Was macht Ihr da?<<, zischte Xavier. >>Nehmt auch Tabolt alles ab, ich hab einen Plan.<<, antwortete ich im Flüsterton. >>Und der wäre?<< >>Vertraut mir doch einmal, werter Herr Wales.<<, sage ich neckend. Also fing auch er an, seinem Pferd alles abzuschnallen. Währenddessen erklärte ich Scar meinen Plan „Glaubst du, ihr schafft das?", fragte ich sie am Ende. Schweiß stand mir auf der Stirn und dreckiger Dunst schien von der Brücke zu tropfen. Nicht allzu ferne Rufe ertönten. „Was soll daran denn bitte so schwer sein? Ich bin doch kein Pony mehr!", antwortete sie barsch. „Na dann! Ach, und erklär' Tabolt noch alles, auf dich wird er mehr hören als auf mich". >>Hüja!<<, rufe ich und schlage Scar auf ihre glänzende Flanke- die unverletzte. Und schon stürmen beide Pferde los, auf die andere Seite der Stadt zu, weg von uns. >>Was soll das? Wohin galoppieren unsere Pferde?<< Wut und Verwirrung schienen ihn zu überfluten. >>Ich sagte doch, vertraut mir! Sie werden für Ablenkung sorgen. Und jetzt versteckt Euch gefälligst!<<, flüsterte ich wieder, während ich ihn weiter in den Schatten der Brücke zog.
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Hours of the Shadow- Stunden der Nacht
FantasyRose, Geliebte..? Bist du da? Kannst du mich hören? Ich flehe dich an, Geliebte! Vergib mir, ich bitte dich! Es war ein Fehler, ein großer Fehler von dir zurück zu kommen, du hättest mit Scar verschwinden sollen! Oh es wird zu spät sein.. Er wird si...