F I F T E E N

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F I F T E E N

"Verdammt.", murrte ich mit gekränkter Stimme, als Aira sich gerade verspielt an meinen Haaren austobte und vor Schreck über mein Fluchen ruckartig ihre Hände zurückzog. "Habe ich dir weh getan?", fispelte sie vorsichtig und begutachtete mich schräg von der Seite. Ich dagegen stürzte mein frisch geschminktes Gesicht in die kleinen Hände und konnte gar nicht anders, als in meinem kleinem Versteck noch weitere, unangebrachte Worte auszustoßen. "Nein, hast du nicht, keine Sorge.", sprach ich gedämpft zurück und betrachtete mein Spiegelbild ganz genau, als ich meinen Kopf wieder hob. Jeder kleinste Zentimeter war voll von zartem Puder. "Aber ich habe etwas vergessen. Etwas Wichtiges. In Midgard... Da ist es Winter, momentan. Und man feiert da mittendrin Weihnachten. So ein Fest. Kennst du das?" Airas gezupfte Augenbrauen zogen sich in die Höhe und sie schaute genauso in den geputzten Spiegel vor mir, als würde dort ihre passende Antwort stehen. "Nicht, dass ich wüsste. Was ist dieses...Weihnachten?" Da ich nicht wirklich an Gott oder so etwas glaubte, und ich die neugierige Zofe wahrscheinlich eh nur mit den erdischen Religionen verwirren würde, ließ ich diesen Teil aus. Und so wie ich die Braunhaarige kannte, würde sie mich noch nach Stunden über all die verscheidenen Glaubensrichtungen ausfragen. "Nun ja, es gibt einmal Heiligabend und Weihnachten. An Heiligabend trifft sich meistens die ganze Familie zusammen, um miteinander großartig zu essen und man ist grundgenommen fröhlich drauf. Am nächsten Tag bekommt man Geschenke, die, wie Kinder es glauben, von einem Mann namens dem Weihnachtsmann gebracht werden. Meistens sind es aber die Eltern, nur man möchte diese Magie den Kleinen nicht verderben. Und heute... heute wäre Weihnachten bei meiner Familie. Und ich bin nicht da. Ich bin ganz, ganz weit weg." Ich ließ einen tiefen Seufzer aus meiner trockenen Kehle gehen und allein der Gedanke an meine Familie ließ meine elende Traurigkeit erneut aufsteigen. Wie bitter enttäuscht und betrübt sie jetzt sein müssten, wenn sie bereits erfahren hätten, wo ich mich aufhielt. Grundgenommen musste sie das zutiefst getroffen haben, dass ich einfach ohne jegliches Wort abgehauen bin. Schon wieder. Ich schloss meine Augenlider, die mir nun schwerer erschienen als zuvor, und es war so, als würde ich direkt bei ihnen zu Hause sein. Ich roch den herben, aber vertrauten Geruch meiner Mutter, wie sie gerade neben mir hocken würde und wir zusammen Plätzchen aus einem Fertigteig ausstachen. Mein Vater würde vor uns sitzen und auch er hatte mal wieder einen bitteren Duft bei sich, der an entkoffenierten Kaffee und nach Zitronenkuchen erinnerte. Er würde Zeitung lesen und Aaron bei seinen Mathehausaufgaben helfen, die ihn seine unfaire Lehrerin über die Ferien aufgegeben hat. Und mein kleiner, nerviger Bruder selber würde versuchen mich zu einem Avenger Fan zu machen, indem er mir alle großartigen Taten von Captain America bishin zu Iron Man erzählte. So, wie es bis jetzt jedes Jahr abgelaufen war. Doch dieses Mal gab es kein Plätzchen Herausstechen für mich, und auch kein beisender Zitronenkuchen Geruch und keine öden Unterhaltungen über Superhelden. Es gab nur einen goldenen Palast, eine eigene Kammerfrau und eine nordische Adelsfamilie für mich. Doch ohne meine quirligen Eltern und meinen leicht zu beeindruckenden Bruder, für die ich nun mehr Heimweh empfand, wie ich es schon seit langer Zeit nicht mehr getan habe, war dies alles von keinem Wert mehr. Sanft spürte ich zwei zarte Hände, die sich auf meinem Arm platziert haben und wusste sofort, dass die nur von Aira stammen konnten. Ich schaute auf sie hinab, weil sie sich neben mir hingekniet hatte, und lächelte sie schwach an. Sie tat es mir gleich, doch ich konnte einen sichtlich sorgsamen Eindruck in ihren emeraldgrünen Augen wieder erkennnen. "Ich kann zwar nicht deine Familie herzaubern, auch wenn ich das gerne könnte, aber vielleicht kann ich dieses Weihnachten zu dir bringen." Meine hellen Augen weiteten sich auf die doppelte Größe und Airas Loyalität überraschte mich jedes Mal aufs Neue. "Was? Wie willst du das anstellen?", sprach ich verwundert, aber man konnte deutlich einen Hauch Aufregung in meinem Ton raushören. Aira setzte sich wieder auf und wandelte fast schon hüpfend in meinem Zimmer rum. "Nun ja, du musst mir einfach sagen, was du brauchst und ich lasse es bringen.", säuselte die Kammerfrau fröhlich dahin und ich ließ mich ermutigt von ihrer freudigen Euphorie anstecken. "Äh... also, einen großen Baum. Irgendeinen, den man schmücken kann." Die Asin nickte und kniff dabei nachdenklich ihre Augen zusammen, als ob sie schon einen Plan aushecken würde. "Baum, groß, und schmückbar. Das heißt... wir brauchen Schmuck?" Ich grinste über ihre Unwissenheit, aber auch weil sie sich so viele Gedanken darüber machte. Ich glaube, ich hatte noch nie jemanden, freundschaftlich gesehen, der extra ein ganzes Weihnachtsfest für mich schmeisen würde. Und das, obwohl ich Aira gerade mal erst ein paar Tage kannte. "Ja... Aber nicht normalen Schmuck, wie Ohrringe oder Armreifen. Wir brauchen Anhänger oder so etwas." Nun stand ich ebenfalls auf und zählte an meinen Fingern ab, welche weiteren Sachen wir noch benötigten. "Dann... Kekse! Lebkuchen! Glühwein! Habt ihr so etwas?" Die Brünette schaute mich an, als würde ich ihr gerade mitteilen, dass die Erde rund wäre. "Wir mögen zwar von anderen Welten kommen, aber nicht aus anderen Universen. Natürlich haben wir so etwas."

F I R E E M P R E S SWo Geschichten leben. Entdecke jetzt