Kapitel 7 | Elle

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Kapitel 7 | Elle

Das Dorf steht in Flammen, als ich mit einem Korb selbstgepflückter Kornblumen heimkehre. Loderndes Feuer frisst sich durch die strohbedeckten Dächer, steckt alles in Brand. Ich höre Schreie, sehe Hühner und Schweine panisch umherrennen. Aber wo sind die Dorfbewohner?

Ich raffe meinen Rock hoch, renne den steinigen Weg entlang, an dem Korbflechter und Bauern vorbei, hetze nach Hause. Die Türe ist vollkommen schwarz, dicker Qualm zieht unter ihr hervor. Die Fensterläden sind versperrt.

»Claire!« Ich greife Vaters Axt und schlage sie in das brennende Holz, aber als ich sie herausziehen will, steckt sie unweigerlich darin fest. Die Schreie von drinnen werden immer lauter, qualvoller. »Nein! Haltet durch!«

Ich nehme Anlauf, ramme mit der Schulter gegen die Tür, aber sie bewegt sich kein Stück, als habe jemand etwas von Innen davorgeschoben. Die Flammen verbrennen meine Haut. Ich spüre die entstehenden Brandblasen, die in Sekundenschnelle zerplatzen, sich weiter ausbreiten.

»Bitte! Lasst mich rein!« Ich gehe zurück und werfe mich erneut in das brennende Holz, das endlich nachgibt und mit einem funkensprühenden Krachen auseinanderbricht. Ich falle in die Flammen, spüre das Feuer an den Beinen, schreie. Doch meine Stimme erstickt mit einem Mal, als ich Claire und Vater zusammengesunken am Boden liegen sehe. Ich eile zu ihnen, will sie an mich ziehen und um sie trauern, beschließe, mit meiner Familie in diesem Flammenmeer zu verbrennen. Ihre Körper zerfallen zu Asche, als ich sie kaum berühre, vergehen im Feuer.

»Nein ... Nein!« Ich suche den Boden nach ihren Überresten ab, einer Erinnerung, irgendetwas, doch ich kann nichts finden. Die Flammen fressen sich in meine Haut, aber ich spüre den Schmerz kaum noch, wiegt die Qual, meine Familie für immer verloren zu haben, um einiges schwerer.

Plötzlich vergeht das Feuer, eine Eiseskälte überzieht den Raum und alles wird von absoluter Finsternis verschluckt. Stimmen tuscheln, Wesen tanzen um mich herum. Ich kann sie nicht verstehen, nicht erkennen, aber ich weiß, wer sie sind. Die Schatten ... Sie haben mich gefunden.

*

Ich schrecke hoch, schaue um mich. Ein Lagerfeuer erhellt die winzige Stelle vor mir. Ich blicke in das schlafende Gesicht des Kaufmanns, der mir gegenüber Platz genommen hat. Wieder höre ich das Tuscheln der Schattenwesen, will mich rühren, bemerke die festen Knoten an den Händen. Verdammt, ich muss ... Ich reiße mit aller Kraft an dem Lederband, unterdrücke den Schmerz, als es scharf in mein Fleisch schneidet.

Mit einem Mal bin ich frei, blicke noch einmal auf die alten Zügel, die nachgegeben haben, ehe ich aufstehe. Ich muss mich kurz orientieren. Bevor ich jedoch loslaufe, halte ich einen Moment inne und beuge mich über den Kaufmann. »Verzeih, dass ich mein Wort nicht halte und doch weglaufe. Aber ich kann meine Familie nicht so zurücklassen.« Ich sehe die schwarzen Flocken in seinem Haar tanzen, spiele mit dem Gedanken, sie abermals zu berühren, lasse es jedoch bleiben. Ich will ihm keine Schmerzen bereiten. Er hat einen Freund verloren - das ist genug Schmerz für eine sehr lange Zeit. »Komm mich holen, ich werde mich nicht wehren. Aber gib mir etwas Zeit. Bitte.«

Ich laufe los, dringe in den finsteren Wald vor, vertraue meinem Licht, dass es mich führt. Ich muss Claire und Vater begraben. Ich kann sie nicht so zurücklassen.

*

Nach einer knappen halben Stunde weiß ich, wo ich bin, habe ich mich doch einmal genau hierher verirrt und Stubenarrest bekommen, weil ich unerlaubt den schwarzen Wald betreten habe. Ich werde langsamer, bleibe stehen. Die Gedanken, dass es nie mehr so sein wird, quälen mich, schnüren mir die Luft ab. Bitte.

Lichtschatten - Die letzte SoleaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt