Kapitel 2 | Greyson

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Kapitel 2 | Greyson

Halbherzig lausche ich den Befehlen meines Vaters, die er an die Soldaten verteilt. Ich stehe zu seiner Linken, sehe mit einem Schmunzeln zu, wie sich auf der Stirn des königlichen Beraters Schweißtropfen bilden. Das Volk ist unzufrieden und immer mehr stellen sich gegen König Balan. Wieder ist es zu Aufständen gekommen. Wieder sind hunderte Menschen ermordet worden. Seit Jahren schon ist mein Vater einem Wahn verfallen, der ihn dazu treibt, die letzte Solea und Hüterin des Lichts zu töten.

Eine Prophezeiung besagt, dass ihr Licht die Linie der Schatten vernichten wird. Sprich, die Macht dieser Hexe soll meine gesamte Blutlinie ausrotten. Meine geliebte Mutter ist bereits von uns gegangen, getötet von einer Solea. Ich war noch ein unwissender Bengel, aber jener Verlust hat mich schon in jungen Jahren zum Waisen gemacht.

Ivor Balan ist groß, stämmig und strahlt Autorität aus, die von Jähzorn und Brutalität geprägt ist. Der König duldet keine Schwächlinge in seinen Reihen und in der Familie erst recht nicht. Als ich acht wurde, hat er mir einen Welpen geschenkt, den ich groß gezogen und lieb gewonnen hatte. Nach einem Jahr hat er mir schließlich befohlen, ihn mit bloßen Händen zu töten. Als ich mich unter Tränen dagegen sträubte, hat er ihn erdolcht. Noch immer höre ich sein qualvolles Wimmern in den Träumen, die mir jedes Mal einen Schauer über den Rücken jagen. Seitdem sieht mein Vater einen Schwächling in mir, der nicht einmal einen kleinen Hund töten kann. Selbst meine Erfolge im Heer von Wyonell, als Feldmarschall viele Schlachten geschlagen und für ihn gewonnen zu haben, stimmen ihn da nicht mehr um.

Zur Rechten des Königs steht mein Bruder Crane, Goldjunge und Liebling unseres Vaters. Er verfolgt ähnlich grausame und brutale Ambitionen wie der Herrscher selbst. Es kommt nicht selten vor, dass er aus purer Langeweile Männer verprügelt, sie vor den Pranger stellt und sogar hinrichten lässt. Im Gegensatz zu mir ist sein Haar straßenköterblond und seine Augen glitzern in einem verräterischen Grün. Unser Verhältnis ist kühl und distanziert. Ich weiß um die Eifersucht auf meine Magie als Traumbringer. Ich kann Menschen und Tiere mit einer Handbewegung ins Reich der Träume schicken und in diese eindringen. Crane hingegen besitzt die Gabe der Telekinese, die ihm nicht genug zu sein scheint. Wie auch mein Vater drängt er stets nach mehr Macht und Kräften, die anderen gegeben sind und ihnen verwehrt bleiben.

Ein lauter Schrei hallt plötzlich durch den Thronsaal. Mein Blick wandert zu zwei Wachen, die eine dürre Frau in dreckigen Lumpen und mit pechschwarzem Haar hinter sich herziehen. Ihre Hände sind gefesselt, der ganze Körper übersäht mit blauen Flecken und offenen Wunden. Ein großes Loch klafft unter ihren Schulterblättern und ich erkenne sofort das Markenzeichen meines Bruders. In der Folterkammer richtet er Menschen so übel zu, wie keiner vor ihm. Noch eine Sache, die er mit Vater gemein hat. Den Drang zu quälen und zu töten.

Die Wachmänner werfen die arme Reisende vor den Thron und damit vor die Füße meines Vaters. Daraufhin senken sie ergeben ihre Häupter. »Mein König, wir bringen Euch die Zeugin, die von der Solea berührt und geheilt wurde.«

Sofort erhebt sich Wyonells Herrscher und steigt zwei Stufen hinab. Er beugt sich über die am ganzen Leib zitternde Frau, umfasst ihr Gesicht mit seiner rauen Hand und reißt den Kopf hoch, dass er ihr bedrohlich in die Augen schauen kann. Stumme Tränen rinnen über ihre blutigen Wangen.

»Sagt mir, Weib. Wo habt Ihr die Solea gesehen? Wie sieht sie aus?«, verlangt Ivor Balan mit eindringlicher Stimme.

»Ich weiß es nicht, Hoheit. Alles, woran ich mich erinnere, ist eine junge Frau, neben der ich aufgewacht bin, und mein Kopf hat höllisch geschmerzt. Als ich nach Hause kam, hat mein Mann diesen glühenden Handabdruck auf meiner Stirn entdeckt.«

»Wollt Ihr mir etwa weismachen, Ihr wisst nichts mehr von der Heilung oder dem Mädchen?«

»Nein, mein Gebieter«, wimmert sie.

Lichtschatten - Die letzte SoleaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt