Ein Flyer sowie ein kleiner Umschlag lagen am nächsten Morgen in meinem Briefkasten. Schmunzelnd rieb ich mir die Augen und nahm den Inhalt samt der restlichen Post mit nach oben. Es überraschte mich wie schnell das alles ging. Womöglich war aber schon längst alles vorbereitet und geplant gewesen. Jedoch war das Papier des Fylers etwas atypisch: Es war handelsübliches Kartonpapier, welches man überall kaufen konnte. Irgendwie ging ich davon aus, dass ein Artwork für den Eventflyer schon stand und Rick und Jon diesen einfach kurzerhand ausgedruckt hatten, damit ich etwas für Attila zur Hand hatte. So oder so: Ich hatte jetzt etwas, das ich Attila vor die Angel spannen konnte und nur darauf warten musste, dass er anbiss.
Attila lag noch immer in meinem Bett und schlief. Er hatte dafür gesorgt, dass ich kaum ein Auge zugemacht habe. Wenn der Blonde nicht gerade dabei war aus Albträumen panisch aufzuwachen, so hatte er es sich zur Aufgabe gemacht mich und meinen Arm zurückzuerobern, sobald ich auch nur eine Sekunde daran dachte mich einen Millimeter von ihm fortzubewegen.
Ich warf die Post auf den Küchentisch und setzte Wasser für den Kaffee auf, ehe ich mich dem Umschlag zum Flyer widmete. In Jons Handschrift stand mein Name auf dem hässlich braunen Papier. Vorsichtig riss ich ihn auf. Ich erwartete darin die Tickets für die Show. Stattdessen lag darin nur eine Hotel- sowie Flugreservation für zwei Personen. Ein kleiner Post-It klärte mich darüber auf, dass ich Plus Eins auf der Gästeliste stand.
Leise seufzend liess ich den Brief in einer Küchenschublade verschwinden, solange Attila noch schlief und ich nicht in mein Zimmer konnte. Der Punkt, dass Rick und Jon mich und Attila auf die Gästeliste gesetzt hatten nervte mich. Das war viel zu auffallend. Allerdings - wenn ich glück hatte, dann wird Attila dermassen überwältigt sein, dass ihm dieser kleine Fehler mit der Gästeliste nicht auffallen wird.
Ich hörte Schritte aus der Richtung meines Zimmers just in dem Moment als der Kaffee fertig gekocht war. „Morgen", grüsste ich Attila freundlich. Der Strassenjunge sah noch immer niedergeschlagen vom Vorabend aus. Und um einiges katastrophaler, jetzt wo die Wunden nicht mehr allzu frisch waren. Bei einigen Wunden hatte sich eine Kruste gebildet, während die blauen Flecken mittlerweile praktisch schwarz auf seiner blassen Haut wirkten.
„Magst Du einen Kaffee haben?", fragte ich Attila, als er sich aufs Sofa setzte. Das sprach so ziemlich gegen den Plan. Der Flyer lag ziemlich präsent auf meinem Küchentisch, weswegen ich gehofft hatte, dass Attila sich an den Tisch setzen würde und ihn so zu Gesicht bekam. Ich will schliesslich nicht aufdringlich sein. „Ich kann Dir auch was toasten", bot ich deshalb dem blonden Jungen an, „Dafür musst Du Dich aber an den Küchentisch setzen."
Kritisch hob Attila die Augenbraue, nur um kurz darauf schmerzerfüllt das Gesicht zu verziehen. „Toast ja. Aber kein Kaffee", murmelte Attila als er sich dann endlich an den Küchentisch traute. Schwankend setzte er sich hin. Ich beobachtete ihn aus den Augenwinkeln, wie er die Arme auf dem Tisch verschränkte und den Kopf darauf legte, während ich dabei war Toast in den Toaster zu stecken. Attila reagierte immer noch nicht auf den Flyer, obwohl dieser nun direkt vor seiner Nase lag. War er ihm in einem auffallenden Orange mit grünen Elementen denn nicht auffallend genug? Das sah doch selbst ein Blinder mit Krückstock auf dem Haufen weiss noch aus hunderten Kilometer Entfernung!
Ich reichte Attila sein Toast und seufzte mich mit meiner Tasse Kaffee an den Tisch. „Kannst Du mir die Post mal reichen?", fragte ich den Blonden. Kauend nickte Attila und schob den Haufen aus meinem Briefkasten zu mir rüber. Er bemerkte das knallige Stück Papier oben auf dem nüchternen Haufen nicht. Unauffällig liess ich das Ding in der städtischen Gratiszeitung, welche ebenfalls heute in der Post war, und schob sie rüber zu Attila.
„Was will ich damit?", fragte er mit vollem Mund. Ich zuckte mit den Schultern. „Dir angucken. Dich über Menschen lustig machen die da drin sind. Die Partybilder darin sind die Besten. Die musst Du Dir angucken."
Selbst ein Taubstummer hätte meine unterschwellige Tonart noch Meilenweit im nächsten Kontinent herausgehört. Doch Attila nicht: Dieser zuckte nur mit den Schultern und nahm mir die Zeitung aus den Händen. Die nächsten paar Minuten verbrachte ich damit genüsslich am Kaffee zu nippen und den Blonden dabei zu beobachten, wie er hin und wieder den ein oder anderen Artikel des Wisches las. Und wie seine Augen sich weiteten, als er das bunte Ding mittig in der Zeitung wiederfand.
„Alter Schwede", stiess er aus und liess um ein Haar seinen Toast fallen. Ohne etwas zu sagen winkte er mit dem Flyer vor meiner Nase herum. „Können wir da hin?", quietschte Attila freudig. „Ich weiss, dass ich gestern Mist gebaut habe. Aber fahr bitte, bitte, bitte, bitte, bitte mit mir dahin. Bitte Nael!"
„Was ist das überhaupt?", tat ich so, als hätte ich von nichts eine Ahnung, als ich ihm den Zettel aus der Hand nahm und ihn begutachtete. „Dasbestewasmirjehättepassierenkönnen", platzte es überdreht aus dem Mund des Blonden. „Na ja - abgesehen von zwei anderen Dingen ... von denen ich mir sicher bin, dass höchstens eines eintreffen könnte."
Vorsichtig schüttelte ich den Kopf - was allerdings eher auf Attilas Worte bezogen war. Nur bekam er es in den falschen Hals: „Komm schon Nael! Sag nicht gleich nein!"
„Hab ich doch nicht", brummte ich und trank den letzten Schluck aus meiner Kaffeetasse. Als ich diese auf den Tisch abstellte sah Attila mich schmerzerfüllt an. Ich wusste jedoch nicht, ob dieser davon kam, dass er gerade versuchte mich böse anzuschauen und seine frischen Wunden ihm das nicht ermöglichen. Oder ob er wirklich auf mich wütend war, weil er der Meinung war, dass ich direkt nein zu seiner Idee sagte.
„Aber Du hast doch den Kopf geschüttelt", murmelte Attila und blickte zu Boden. Er biss eine Weile auf seiner Unterlippe umher. „Ist ja nicht mal deine Musik", fügte er geknickt hinzu. Wenn der wüsste, dass ich alle bis auf eine Band des Line Ups schon mindestens einmal live gesehen hatte...
„Hey", flüsterte ich in einer beruhigenden Stimmlage. Vorsichtig rutschte ich mit meinem Stuhl etwas rüber zu Attila, sodass ich ihn den Arm um die Schulter legen konnte. Ich war ganz vorsichtig. Ein wenig fürchtete ich mich schliesslich davor, dem Armen mit einer hektischen Bewegung noch mehr Schmerzen hinzuzufügen. „Die Sache scheint Dir wichtig zu sein. Willst Du mir erzählen, worum es dabei genau geht?"
Attilas Augen strahlten. Er grabschte sich den Flyer und begann freudestrahlend mir alles zu erzählen, was ich bereits wusste. Nur um mich zu überzeugen, schmückte der Blonde Junge die ganze Sache noch mit dem ein oder anderen Detail aus.
„Okay", sagte ich lächelnd.
„Wie okay?", fragte Attila. Er war total verwirrt und überfordert. „Wir fahren dahin", sagte ich als wäre es das normalste der Welt. Attila war total aus dem Häuschen: Er wollte vor Freude aufspringen und mir um den Hals fallen. Stattdessen schaffte er es uns beide mitsamt den Stühlen auf den Boden zu werfen.
Schwach lächelte ich. Jetzt hatte ich nur noch ein Problem: Wie erzähle ich Attila von Edgar?
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Hi Mates!
Lückenbüsserkapitel müssen auch mal sein - und das hier ist eines davon. Hoffe trotzdem, dass euch Attilas Freude über den Flyer und Naels Zusage gefallen hat.
Hat jemand von euch eigentlich bisschen Interesse daran so zu wissen, welche Art ich von Musik mit den Figuren Nael/Attila/Edgar/Flu verbinde und mir vorstelle, was diese privat so hören? Ich hab nämlich meine Playlisten auf Spotify für jene öffentlich gemacht. Wenn's euch interessiert: Sucht einfach mal nach „lifeasapigeonx". Solltet ihr mich nicht finden, dass lass ich euch gerne einen Spotify-Direktlink zukommen ;)
Übrigens erhalten auch Lückenfüller Wochenfragen. Für dieses hier ist jene, die Nael am Ende des Kapitels gestellt hat: Wie soll er Attila das mit Edgar am Besten gestehen?
Habt einen schönen Sonntag und einen traumhaften Start in die Woche.
Take Care <3
Rika
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well built ships
General Fiction❝Es zählt jede Sekunde, die du fällst, bevor der Aufschlag das zerstört was zählt. Halt an und schätz' den Wert des Lebens wo du kannst.❞