Kapitel 2 - Hinterhalt

8.3K 497 43
                                    


"Seid ihr komplett bescheuert!?", der etwa ein Meter neunzig große, junge Mann bedachte uns mit vorwurfsvollen Blicken. "Hier?! Mitten auf den Wegen!?" Seine haselnussbraunen Augen funkelten warnend. Er rieb sich angespannt die Schläfen und seufzte leise. "In Wolfsgestalt einen solchen Lärm zu machen, dass ich euch bis zum Haus hören kann-", er seufzte erneut. „Wenn ihr so weiter macht, können wir sofort wieder umziehen!", schnaubend stieg er den Hang hinab, auf uns zu.

Wir sahen beschämt auf die Erde. Unsere Handlungsweise war tatsächlich mehr als unüberlegt und riskant gewesen. "Worauf wartet ihr denn noch?", knurrte er ungeduldig und musterte uns mit einem vielsagenden Blick. Wir hatten verstanden und nachdem mich eine Hitzewallung durchfahren hatte, stand ich wieder in Form eines etwas blassen, schwarzhaarigen Mädchens vor meinem Bruder.

"Sorry Luc, haben nicht dran gedacht.", nuschelte Aurel schuldbewusst. Es war eine Seltenheit, dass er sich nicht seiner frechen Ausdrucksweise bediente. Doch selbst mein vorlauter Bruder wusste wann er einen Fehler gemacht hatte. „Ach Leute.", Lucs Stimme klang augenblicklich sanfter und nachgiebig. Er legte seine Arme um uns. „Ich habe einfach keine Lust mehr, ständig den Ort und die Identität zu wechseln. Also gebt euch bitte ein bisschen Mühe. Es wäre schön, wenn ihr hier wenigstens eure Abschlüsse machen könnt.", er sah bittend von Aurel zu mir. Ich nickte verständnisvoll. "Wann beginnt die Schule denn?", Aurel klang genervt.

"Für euch zwei Übermorgen.", beantwortete Luc seine Frage und ignorierte den lustlosen Unterton unseres Bruders dabei wissentlich. Wir stöhnten synchron was Luc schmunzeln ließ. Dann begann er zielstrebig den kleinen Abhang zu erklimmen: "Jetzt aber los, es gibt noch einige Kartons, die getragen und aussortiert werden müssen."

~

Ich wurde von einem unangenehmen Stechen im Brustkorb aus dem Schlaf gerissen.

„Man, Aurel!", stöhnte ich schlaftrunken und schob seinen Ellenbogen von mir weg. Quer auf mir schlummerte mein gut doppelt so schwerer Zwilling leise schnarchend und ließ sich von meinen Versuchen ihn von mir herunter zu bewegen, in keinster Weise stören. „Runter von mir du Koloss.", versuchte ich es erneut. Schließlich hatte ich keine Lust mehr auf die nette Tour und stemmte ihn mit einer schnellen Bewegung von mir, sodass er unvorbereitet auf das Laminat klatschte und aus seinem festen Schlaf schrak. Zu spät hatte ich Luc bemerkt, der sich neben dem Sofa, das Aurel und ich uns geteilt hatten, am Abend niedergelassen hatte und nun ebenfalls von ihm aufgeweckt wurde. Mit einem erschrockenen Stöhnen öffnete er seine Augen, als der etwa Einhundert Kilo schwere Junge auf ihm landete.

„Was machst du denn?!", keuchte unser überforderte Bruder, während Aurel sich aufrappelte.

„Was machst du denn?", fragte dieser vorwurfsvoll und drehte sich zu mir um. Ich lächelte honigsüß und tat, als wüsste ich von nichts: „Guten Morgen." Als sich die betretenen Mienen meiner Brüder nicht aufhellten wurde mir klar, dass etwas geschehen musste, wenn ich mein rüpelhaftes Aufweck-Manöver nicht sehr schnell wieder bereuen wollte.

„Ich geh' Brötchen holen.", trällerte ich daher ungewohnt zuvorkommend und nutzte den Vorwand um mich eilig aus dem Staub zu machen. Ich fischte ein frisches T-Shirt von einem der Jungs aus den letzten herumstehenden Kartons, wir hatten gestern wirklich ganze Arbeit geleistet, und zog es mir über den Kopf. Es war einige Nummern zu groß, aber das würde in diesem Nest sicher niemanden interessieren. Derweil grunzte Aurel ein verschlafenes: „Haben wir noch Pizza?"

Ich fiel beim Versuch meine Schuhe zu finden über einen der halb leeren Pizzakartons vom Vorabend und fischte ein etwas vertrocknetes Stück Hawaii heraus. Ich grinste ihn breit an und weil ich an diesem Morgen noch nicht genug provoziert hatte, schob ich es mir der Länge nach in den Mund. Der ungläubige Gesichtsausdruck meines Bruders war es allemal wert. Er stöhnte leise und ließ sich auf die Couch fallen: „Warum habe ich dich nicht einfach im Mutterleib gefressen?"

StrongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt