Kapitel 3 - Sesam öffne dich

7.2K 499 72
                                    

"Luna! Scheiße wach auf! Wir kommen zu spät!", Aurel rüttelte energisch an meinen Schultern. Langsam kam ich zu mir und war plötzlich hellwach als ich begriff, was er soeben gesagt hatte. Erschrocken riss ich die Augen auf und wollte aus dem Bett springen, wobei ich über meine achtlos auf den Boden geworfene Hose stolperte und ein Stück weit über das spiegelglatte Laminat schlitterte. Um nicht dem Boden einen rasanten Besuch abzustatten, griff ich reflexartig nach dem Nächstbesten, das mich vor einem Sturz bewahren konnte. Unglücklicherweise war das einer der Kleiderbügel, der, statt mir halt zu geben, die gesamte, instabile Kleiderstange mit sich riss. Ich endete schließlich begraben von einem Klamottenberg auf dem Boden meines Zimmers, währen Aurel das Spektakel amüsiert mit angesehen hatte. „Bin fast fertig.", murmelte ich leise und blieb, verschüttet unter der Kleidung, reglos liegen. Er hob eine über meinem Kopf liegende Jeans auf und grinste belustigt auf mich hinab. „Du hast zwei Minuten." Dann klatschte er die Hose zurück auf mein Gesicht und ich hörte, wie er aus dem Raum stapfte.

Entgegen seiner Erwartungen hatte ich tatsächlich, innerhalb weniger Augenblicke, Kleidung übergeworfen, notdürftig meine langen, widerspenstigen Haare gebändigt und schnürte nun, mit einer Zahnbürste zwischen den Zähnen, die gelben Vans an meinen Füßen zusammen.

„Mach hin!", versuchte ich, mit der Bürste im Mund, so deutlich wie möglich die Treppe hinaufzurufen und erhaschte einen schnellen Blick auf die Küchenuhr. „Es ist schon kurz vor acht!", rief ich noch lauter, obwohl mein Bruder dank seines ausgezeichneten Gehörs auch ein Flüstern verstanden hätte. Ich pfefferte die Zahnbürste ins Waschbecken, als Aurel die Treppe herunter gepoltert kam. Sein Kopf und einer seiner Arme steckte bereits in dem Ärmel eines dunkelblauen Shirts, während der restliche Stoff noch über seiner Schulter baumelte. Immerhin war er in der Lage gewesen inzwischen eine Hose anzuziehen. Während er sich umständlich in das etwas zu enge Oberteil zwängte, erkannte ich, was ihn so lange aufgehalten hatte: Seine rabenschwarzen Haare waren aufwändig und perfekt gestylt, auch wenn der Rest seines Outfits darunter gelitten hatte. „Ist das nicht etwas zu eng?", fragte ich mit einem Fingerzeig auf das, an seiner breiten Brust, spannende Oberteil zweifelnd. Er zuckte mit den Schultern und zog sich eilig ein Paar schwarze Nikes über die Füße: „Ich glaube das ist von Luc." Dann grinste er: „Man kann doch zeigen, was man hat."Ich verdrehte die Augen und öffnete die Haustüre, während ich mich suchend nach dem Haustürschlüssel umblickte, den Luc uns dagelassen hatte. Er war schon früh am Morgen nach Jamestown gefahren, wo er einen Job auf einer Rinderfarm angenommen hatte.

Doch ehe ich nach dem Schlüssel, der von Innen im Schloss steckte, greifen konnte, hatte mein rüpelhafter Bruder mich schon aus dem Türrahmen, nach draußen gerempelt. Im einen Moment rief ich noch ein panisches: „Stop!" Und im Nächsten schloss er bereits die Tür hinter sich.

Ich schlug resigniert meine Hand gegen die Stirn. "Du bist so ein Idiot!" Ich wusste nicht ob ich über diese typische Panne lachen oder weinen sollte. „Wieso? Was habe ich jetzt wieder verbrochen?", er klang mindestens gleichermaßen überrascht, wie auch genervt über meine Äußerung und zog mich in unglaublicher Geschwindigkeit die Auffahrt hinab, als wäre ich nicht selbst in der Lage mich fortzubewegen. „Der Schlüssel hat noch auf der anderen Seite der Türe gesteckt!", hielt ich ihm kopfschüttelnd vor, doch er schien deutlich weniger erschüttert über diese Nachricht zu sein. „Ja, ja, darüber können wir uns später immer noch Gedanken machen.", war seine flüchtige Bemerkung. „Viel wichtiger ist: Hast du eine Idee, wie wir die Strecke zur Schule zurücklegen sollen?", er starrte betroffen den Waldweg entlang, den wir passieren mussten um in die Ortschaft zu gelangen. Ich räusperte mich scheinheilig: „Na ja, wir könnten-" Als er meinen verschwörerischen Tonfall erkannte, unterbrach er mich bestimmt: „Nein! Das ist viel zu gefährlich." Ich zuckte mit den Achseln und murmelte ein enttäuschtes. „Gut, dann eben nicht."

StrongWo Geschichten leben. Entdecke jetzt