Kapitel 11 ~ Rachegelüste

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Ich schrak schweißgebadet aus dem Schlaf. Mein Gesicht war mit zahlreichen Tränen benetzt, als ich mich orientierungslos umsah. Erschrocken fuhr ich zusammen, als schwungvoll die Tür meines Zimmers aufflog und Aurel hineingestolpert kam. Seine Augen waren weit aufgerissen, jeder Muskel seines kolossalen Körpers zum Zerreißen gespannt. Als er mich erblickte, entspannte sich sein Körper etwas und seinem Blick wich ein milder Ausdruck: „Du hast geschrien.", raunte er leise, als er auf mich zukam. „Was ist passiert?"

Ich gab bloß ein ungläubiges Kopfschütteln zur Antwort, als ich an den Traum dachte, den ich soeben durchleben musste. Er war so real gewesen, dass ich beinahe daran zweifelte, dass es sich um einen simplen Traum gehandelt hatte.

Plötzlich spürte ich, wie mich der wohltuende, heimische Duft meines Bruders umgab, als er mich fest in seine Arme nahm. Stumme Tränen rannen mir über die Wangen. Er wusste, wie ungern ich vor Anderen weinte und es ein Zeichen großer Sorge sein musste, wenn ich es doch tat.

Er sprach nicht, ließ mich einfach an seine Schulter gelehnt, meine Tränen auf seinem T-Shirt ausweinen.

Erst nach einer ganzen Weile, als meine Heulattacke langsam versiegte, holte ich einige Male tief Luft und sah ihm in sein unruhiges Gesicht. Die hohe, sonst glatte Stirn, zierten nun einige kleine Sorgenfältchen. Seine Pupillen waren geweitet und huschten über mein tränennasses Gesicht. Es fiel ihm offensichtlich schwer diesen Anblick zu ertragen.

Noch einmal holte ich tief Luft, dann begann ich zu erzählen:

Ich schilderte ihm jedes noch so kleine Detail meines Traumes, berichtete von dem dunkelroten Oberteil unserer Mutter, bis hin zu der Narbe auf dem Vorderbein des Wolfes. Mit jedem Wort, das ich sprach, trat ein Hauch von Entsetzen in sein Gesicht und als ich meine Erzählung schließlich mit Anthonys Worten «Ich werde die Spuren beseitigen und ihr die letzte Ehre erweisen » beendete, saß er wie ein Häuflein Elend vor mir und schien ebenfalls mit den Tränen zu kämpfen.

„Ein Unfall, hm?", seine Stimme war so tief und rau, dass sich eine Gänsehaut über meinen Körper ausbreitete. „Für mich klingt das nicht, als wäre auch nur einer der Beiden durch einen Unfall ums Leben gekommen." Seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Wir wurden von vorn bis hinten belogen."

Ich zuckte bloß matt mit den Achseln: „Es war bloß ein Traum, Aurel." Während ich diese Worte sprach, wusste ich, dass meine Intuition etwas ganz anderes hatte sagen wollen. Doch ausnahmsweise siegte in dieser Situation die Vernunft.

„Aber wenn an diesem merkwürdigen Traum doch etwas dran wäre-", begann er zu sprechen und ich führte seinen Satz fort: „-dann haben wir ein gewaltiges Problem."

Seine breiten, dunklen Augenbrauen hoben sich, was seinem Gesicht einen überraschten Ausdruck verlieh: „Wie kommst du darauf?"

„Diese Narbe am Unterarm des Wolfes-", begann ich mit meiner ernüchternden Aufdeckung. „Erik Parker aus unserer Klasse...", ich machte eine Pause und sah zu meinem Zwilling auf, der mir gebannt an den Lippen hing: „Er hat dasselbe Tattoo."

Obwohl ich damit gerechnet hatte, dass Aurel bereits wusste, was sich ihm hatte sagen wollen, schlug dieser Satz bei ihm ein wie eine Bombe. Seine gewaltigen Arme spannten sich vor Aggression an und die Muskeln an seinem Nacken wölbten sich. Sein gesamter Körper schien noch einmal um ein Stück anzuschwellen, während seine blau-grünen Augen nun stark an Claires erinnerten, als sie den Wolf hasserfüllt betrachtet hatte.

Wäre er nicht mein Bruder und wüsste ich nicht mit absoluter Sicherheit, dass er mir nie gefährlich werden würde, ich hätte bei seinem furchterregenden Anblick die Angst meines Lebens bekommen.

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