Kapitel 9

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Zwillinge

„Da wären wir." Parker deutete einladend auf eine imposante Villa, dessen schwarze Fassade an einer der Seiten fast gänzlich aus Glas bestand. Er schien zur Elite dieser Gegend zu gehören, wenn er ein solch fürstlichen Anwesen sein Zuhause nannte. Warum überraschte mich die Erkenntnis nicht?

Mehr oder minder freiwillig trat ich ein und musste zugeben, dass auch das Innere einiges zu bieten hatte: große, graue oder schwarze, jedoch sehr stilvoll gestaltete Räume boten sich mir. Wir stiegen eine Treppe hinauf, dessen Stufen in die Wand eingelassen waren. Im ersten Stockwerk angekommen erblickte ich einen langen Flur mit zahlreichen weiteren Türen. Er steuerte eine recht weit hinten liegende Tür an und ich versuchte die unangenehme Stille zu unterbrechen: "Die Größe eures Hauses konkurriert ja mit der, der Schule."
Parker nickte nur wortlos und öffnete die letzte Türe auf der linken Seite des Flures. Ein großes, grau, schwarz gestrichenes Zimmer mit einer großen Fensterseite, die allerdings von Rollos verdunkelt wurde, verbarg sich hier. Ein hohes Bücherregal, indem sich dutzende Romane stapelten, war das Erste, was mir in dem recht schlicht gehaltenen Raum auffiel. In der gegenüberliegenden Ecke stand ein ziemlich in Mitleidenschaft genommener Box Dummy, neben dem ein Paar Boxhandschuhe, sowie Bandagen und Hanteln lagen. Er war also belesen und trainierte viel. Nun, letzteres hätte sich mir bereits mit einem Blick auf seinen Körper erschließen können. Die Bücher, die sich im Regal türmten könnten aber auch bloß ein Alibi sein. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass sich der Macho Erik Parker für Literatur interessierte. Neugierig sah ich mich weiter in dem Raum um: Auf dem Parkettfußboden Lagen verstreut Klamotten, ein Skateboard und Einige Kisten, dessen Inhalt vor mir verborgen blieb. In der Ecke an der Fensterseite stand eine Couch mit einem Beistelltisch.

Parker ließ sich mit einem langen Seufzer auf die Couch fallen und klopfte auf die freie Fläche neben sich: „Willkommen in meinem Reich. Setzt dich ruhig.", dann erschien ein schwaches Lächeln auf seinem Gesicht: „Ist nicht super ordentlich, aber ich konnte ja auch nicht ahnen, dass heute so hoher Besuch kommt.",er zwinkerte mir zu. „Dann müsstest du mal unsere Bude sehen. Überall stehen halb ausgepackte Kartons rum, Pizzareste, wohin man sieht.", ich lachte und er stimmte ein. Ich ließ mich neben ihm nieder und erstmals hatte ich das Gefühl seine Augen würden ein wenig mitlachen. Oft hatte ich nun schon ein Grinsen auf Parkers Lippen gesehen, doch noch nie das Lächeln seiner Augen. Sie blieben auf eine traurige Weise stets trüb.

Er holte ein silbernes Macbook aus einem Schubfach unterhalb der Couch hervor und klappte es auf. „Schon ein Thema parat?", fragte er, ohne mich anzusehen. Ich schüttelte nachdenklich mit dem Kopf. „Vielleicht Photosynthese oder so ein Kram.",erwähnte ich ideenlos. Parker schwieg kurz. „Ich finde Raubtiere interessant. Vor allem Wölfe.", sprach er dieses diskrete Thema aus heiterem Himmel an. Fassungslos starrte ich ihn an. Als er meinen Blick mit einem amüsieren Schmunzeln erwiderte, versuchte ich mich zusammenzureißen und mir möglichst wenig anmerken zu lassen. Doch ich war zu überrumpelt von seinem Vorschlag.
"W-Wölfe ... Klingt gut.", stotterte ich möglichst gleichgültig. Parkers Augen lagen ruhig auf mir. Er hatte mich von Vorn bis Hinten durchschaut. Ich biss mir auf die Lippe und versuchte meine Tarnung zu verbessern: „Ist schließlich ein ziemlich aktuelles Thema, zumal es bereits in unseren Wäldern Wölfe gibt, die aus dem Norden eingewandert sind."

Er nickte langsam und bedachte mich mit einem scharfsinnigen Blick: „Ich hörte manche kommen sogar aus dem Süden."

Ich schluckte schwer. Meine Brüder und ich waren zuletzt aus Mexiko geflohen, was südlich vom Staat South Carolina lag. War das gerade eine Anspielung darauf gewesen? Ich schüttelte kaum merklich den Kopf. Wie sollte er davon wissen?

Als ich aufsah und mich sein prüfender Blick traf, rutschte mir das Herz in die Hose und ich holte ebenfalls, mit leicht zittrigen Fingern, meinen Laptop aus dem Rucksack: „Gut, teilen wir die Arbeit auf?", fragte ich mit heiserer Stimme und starrte auf dem Bildschirm um seinem Blick nicht länger stand halten zu müssen. Aus dem Augenwinkel konnte ich sein Nicken erkennen.

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