Kapitel 6 - Der Kursleiter

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Zwei Tage, zahlreiche Tiefkühlpizzas und zwei Game Of Thrones Staffeln später...

Aurel richtete sich schreiend in seinem Bett auf und blinzelte mich erschrocken an. Verschlafen versuchte er zu erfassen, was gerade geschehen war.

„Guten Morgen, Schlafmütze!", trällerte ich, und warf ihm den leeren Eimer, dessen eiskalten Inhalt ich gerade über ihm entleert hatte, in den Schoß. Mein triefend nasser Bruder starrte erst ungläubig auf den Eimer und dann wieder zurück zu mir: „Wow.", keuchte er leise und konnte offensichtlich noch immer schwer fassen, dass ich ihn tatsächlich mit einer großzügigen Ladung Wasser überschüttet hatte. „Du bist so was von tot."

Als mich sein dämonischer Blick traf, wusste ich: Es war Zeit mich aus dem Staub zu machen. So schnell ich konnte, rannte ich durch seine Zimmertüre, in dessen Rahmen ich auf seiner Kopfhöhe einige klare Lagen Frischhaltefolie angebracht hatte um ihn in vollem Lauf zu Fall zu bringen. Mein Plan ging auf: Er sprang aus dem Bett und hechtete, flink wie eine Gazelle, hinter mir her. Doch bei der Tür angekommen, bückte er sich in Windeseile und huschte gekonnt unter der von mir gebauten Falle hindurch. Damit allerdings, hatte ich nicht gerechnet und stand nun ziemlich überfordert vor meinem, vor Adrenalin pulsierenden, Bruder.

„Äh-", ich schielte kleinlaut zu ihm hinauf und überlegte fieberhaft nach einer Notlösung. „Können wir nicht wie zivilisierte Menschen über die Sache re- UAHH!" Aurel schmiss mich über seine Schulter und stapfte mit mir durch den Flur. Egal was nun kommen würde, es würde mir sicher nicht gefallen. „Ich wollte doch nur, dass du rechtzeitig zur Schule kommst.", gab ich mich so scheinheilig wie möglich, doch das beeindruckte ihn in keiner Weise. Schließlich entschied ich mich für die Letzte Möglichkeit und begann mich mit aller Macht gegen sein Vorhaben zu wehren. Ich trat, zappelte, ich biss sogar in seine massiven Nackenmuskeln, doch Aurel öffnete bloß die Tür zur Abstellkammer und sperrte mich kurzerhand darin ein. Nicht mal Licht gab es in diesem kleinen Kabuff. „Das ist doch jetzt nicht dein Ernst?!", ich hämmerte gegen die Tür und versuchte etwas durch das Schlüsselloch zu erkennen. „Ich muss zur Schule Aurel!"

„Du Dumpfbacke hast mich eine geschlagene Stunde zu früh geweckt!", blaffte er gereizt. „Heute beginnen die Projektwochen. Das bedeutet: Schule um halb zehn!"

Ich biss mir auf die Lippe. Verdammt, damit hatte er Recht. Das hatte ich total verdrängt. „Oh, okay tut mir Leid.", sprach ich möglichst reuevoll. „Lässt du mich jetzt wieder raus? Bitte?" Als ich keine Antwort erhielt, lugte ich erneut durch das Schlüsselloch. Er war verschwunden. Seufzend ließ ich mich auf den Boden sinken. „das bedeutet wohl nein."

Ich hatte mein Zeitgefühl völlig verloren, als sich ein Schlüssel im Schloss drehte und die Tür wieder geöffnet wurde. „Na endlich!", fuhr ich meinen Bruder gereizt an, der fertig angezogen und gestylt auf mich hinab grinste. Er packte meinen Arm und zog mich mit sich. „Jetzt reicht es aber! Aurel!", protestierte ich und versuchte mich aus seinem Griff zu befreien. „Jetzt lass mich verflucht noch mal los!" „Ich denke gar nicht daran.", war seine nüchterne Antwort, während er die Haustür öffnete.

Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und warme Sommerluft strömte ins Innere des Hauses. „Was Soll das hier überhaupt werden?!", ich runzelte genervt die Stirn. „Wir gehen zur Schule.", erklärte Aurel selbstverständlich. Ich sah an mir hinab. Ich trug noch immer ein viel zu großes, weißes T-Shirt, von Aurel, das mir bis zur Mitte des Oberschenkels reichte. Die kurze, hellgraue Schlafhose war kaum darunter zu sehen. Meine Haare, die am Abend noch in einem halbwegs anständigen Dutt befestigt gewesen waren, glichen nun einem zerpflückten Vogelnest. Außerdem war ich barfuß.

„Hast du nicht etwas vergessen?", ich deutete demonstrativ auf meine Kleidung und die ,Frisur', woraufhin sich ein Schmunzeln auf seinem Gesicht ausbreitete: „Du hattest doch genug Zeit dich fertig zu machen." Ich verdrehte die Augen: „Nicht witzig, Aurel." „Wir sollten uns beeilen, sonst kommen wir zu spät.", er zwinkerte schelmisch und zog mich ins Freie. Ich stemmte mich mit aller Kraft in die andere Richtung, doch Aurel war stärker: „Aktion, Reaktion, Schwesterchen.", flötete er schadenfroh. „Diese Ewigkeit in der Rümpelkammer war doch wohl Reaktion genug!", opponierte ich weiter. Aurel stöhnte. Allmählich schien es ihm lästig zu werden, dass ich mich derart konsequent gegen sein Vorhaben wehrte. „Wenn du nicht gleich spurst, klemme ich dich unter den Arm und trage dich zur Schule. Ist dir das lieber?" Meine Kinnlade klappte herunter. Der meinte das doch tatsächlich ernst!

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