Kapitel 13 (Xoon):

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Als Moonshine unser Versteck betritt, bin ich die einzige, anwesende Person. Sie sieht anders aus. Sauberer. Frischer. Irgendwie... glücklicher. Als ich sie mit einem Nicken begrüße, zieht sie sogar ihre Mundwinkel zu einem leichten Lächeln nach oben, woraufhin ich beschließe, sie anzusprechen. „Hey", sage ich. „Hey!", antwortet sie mit einem Grinsen. „Na, alles klar?" Ich zucke mit den Schultern. Nichts ist klar. Das ist es nie. Aber das weiß sie auch. Sie hat nur aus Freundlichkeit gefragt, das ist uns beiden klar. „Wo warst du?", ich werfe ihr einen prüfenden Blick zu. Sie hat saubere Sachen an. Moon beißt sich auf die Lippen und sieht mich lange an. Dann holt sie tief Luft. „Im Buchladen. Ich wollte mich auf dem Klo waschen, dann kam eine Mitarbeiterin. Sie hat mich duschen lassen und meine Wunde genäht", sagt sie und hebt Aufgrund meines leicht irritierten Blickes hilflos die Schultern, als würde sie sich entschuldigen wollen. Doch ich senke nur meinen Kopf, als Zeichen, dass es nichts Schlimmes ist. Natürlich, wir verachten die normalen Menschen. Gefangen in ihrer Uhr, angetrieben von ihrem Kontostand. Aber wenn sie uns helfen – warum sollten wir diese Hilfe nicht annehmen? Als Moonshine aufsteht, streift sie ganz leicht mit ihrer Hand meinen Oberarm. Ich blicke ihr nach aber es scheint ein Versehen gewesen zu sein, weshalb sie sich nicht mehr umschaut. Doch für mich ist es mehr als nur eine kleine, zufällige Berührung gewesen. Ich weiß, dass ich die nächsten Nächte nicht schlafen kann. Meine Schwestern werden wieder durch meinen Kopf spuken. Dieses Mädchen erinnert mich einfach zu sehr an die beiden Zwillinge. Seufzend stehe ich auf und laufe zur Tür. Innerhalb weniger Minuten komme ich von den Nebengassen zum Kölner Dom. Groß, majestätisch, gigantisch, schon fast furchteinflößend. Wie immer, wenn ich hier bin, bleibe ich stehen und starre eine gefühlte Ewigkeit dieses Gebäude an. Als ich mich schließlich losreißen kann, laufe ich zum nächsten Supermarkt. Während ich durch die Gänge laufe, und ich einige Dinge in meinen Korb lege, wandert flaschenweise Alkohol in meine Taschen. Natürlich, ich bin fast zwanzig. Ich könnte es kaufen. Doch Geld habe ich nicht. Als ich schließlich an der Kasse sitze und zwei Dosen Bier und eine Packung Papes bezahle, versuche ich, meine Nervosität zu überspielen. Wenn ich mich jetzt erwischen lasse, wandere ich in den Knast. Ich habe schon so viele Anzeigen – BTM, Körperverletzung, Verstoß gegen das Waffenschutzgesetz, Erpressung, Diebstahl und vieles mehr -, die Cops hätten es mir nicht deutlicher machen können: Noch ein Ausrutscher, egal wie klein, und ich lande hinter Gittern. Und zwar für eine lange, lange Zeit.

Ich zahle mein Bier und verlasse dann so schnell es geht, ohne aufzufallen, den Laden. Ich laufe und laufe, bis ich in eine der Gassen komme, in denen abends immer unterschiedliche Kids rumhängen. „Jo Xoon! Hast du Stoff?", werde ich öfter mal angesprochen, doch ich schüttle jedes mal den Kopf. Heute ist mir nicht danach, irgendwen abzuziehen.Ich setze mich etwas abseits und zaubere aus meinen tausend Taschen zwei Flaschen Wodka, einen Jägermeister und eine Hand voll Klopfer. Ich schraube eine Voddie auf, setze die Flasche an meine Lippen und nehme einige große Schlucke. Früher musste ich danach meist würgen, doch Übung macht den Meister. Ich bin kein Alkoholiker, bin nicht abhängig, denn das kann ich mir hier draußen nicht erlauben. Es gibt gute und schlechte Tage: Manchmal komme ich an Alkohol, manchmal eben nicht. Und wenn ich jetzt süchtig wäre, würde das mein Leben zerstören. Obwohl das eigentlich keine Rolle mehr spielt.

Denn mein Leben ist bereits zerstört.


On the road- Kinder der StraßeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt