Kapitel 7 (Michael Air Jordan):

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„Was hältst du von der Neuen?“, L.A. wirft ein Stöckchen in den Rhein. Wir sitzen hier seit etwa einer Stunde, neben uns einen Pappbecher wo Passanten ab und zu einen Euro reinwerfen. Aber oft passiert es nicht. Ich starre auf meine Jordans. Golden Moments. Haben über tausend Dollar gekostet. Wir hattens ja. Jetzt ist das Weiß verdreckt und das Gold schon ziemlich glanzlos. „Ich mag sie“, sage ich einfach. Mein Kumpel sieht mich irritiert an. „Du magst sie?“, fragt er ungläubig. Ich zucke mit den Schultern. „Ja. Sie scheint ganz nett zu sein.“ „Aber warum hast du sie dann so angeschrien?“, hakt L.A. nach. Ich verdrehe die Augen. „Um sie zu testen, du Idiot. Ich wollte sehen, ob sie zurückkommt.“ Mein Freund wirft mir einen kurzen Blick zu. „Du bist vollkommen durchgeknallt.“ Dann steht er auf und läuft am Ufer entlang, auf einen Jungen zu. Er nennt sich Blue, und so zieht er sich auch an. Ich beobachte unauffällig, wie L.A. ihm einige Scheine in die Hand drückt und dafür ein kleines Päckchen bekommt. Die beiden wechseln keine Worte, und laufen in Unterschiedliche Richtungen davon. Ich seufze. L.A. wird jetzt erstmal an einen ungestörten Ort verschwinden, um sich dort eine Ladung  H reinzuziehen. Also bleibt die Arbeit wieder an mir hängen. Ich stehe auf, klopfe mir den Dreck von der Kleindung und nehme unseren Kaffeebecher um das Geld zu zählen. 2 Euro 70. Na toll. Ich brauche heute mindestens zwanzig Euro. Essen, Zigaretten, Alkohol. In der Gang teilen wir zwar, aber wer dauerhaft kein Geld einbringt, fliegt raus. Ein Maul weniger zum Füttern. Wir haben hier nichts zu verschenken.

„´schudlige, haben Sie nen Euro?“, ich schüttle den Kopf. Das ist doch immer dasselbe. Die Leute sehen mich an, schauen wieder weg, murmeln eine Entschuldigung und eilen weiter. Ich seufze. Es ist so verdammt schwer, hier zu leben. Aber ich habe es mir selbst ausgesucht. Ich habe mein perfektes Leben aufgegeben, um frei zu sein. Denn darum geht es. Man ist zwar vielleicht unglücklich, hungrig, müde, man friert, wird angeschrien. Dafür ist man frei. Aber ob es das wert ist, bezweifle ich manchmal wirklich. Als ich sehe, dass die Sonne langsam untergeht, nehme ich den Becher und zähle das Geld. 8 Euro. 74 Cent. Na toll. Aber ich muss heute Abendessen besorgen. Ich gehe zum nächstbesten Bäcker. Er macht in einer halben Stunde zu. „Haben Sie vielleicht Reste von heute?“, frage ich. Die Bäckerin mustert mich mitleidig. Sie verschwindet ohne ein Wort zu sagen in den Nebenraum und kommt dann mit einer ziemlich großen Tüte wieder. Ich sehe sie überrascht an. Normalerweise sind die Menschen heutzutage nicht so großzügig. Ich sehe ihr in die Augen. „Vielen Dank“, sage ich aufrichtig und verlasse den Laden. Die Tüte verstaue ich in meinem Rucksack, dann gehe ich in einen Einkaufsladen. Ich laufe langsam durch die Gänge, lasse ab und zu eine Kleinigkeit in meinen Taschen verschwinden. Hier eine Tafel Schokolade. Da eine Packung Kaugummis. Und eine kleine Flasche Schnaps. Klauen ist ganz leicht. Man muss es nur unauffällig machen. Am Ende gehe ich mit einer Flasche Orangensaft, einer Packung Käse und einem Apfel zur Kasse. 4 Euro 20. Bleiben noch 4, 34€. Damit kann man auch nicht mehr viel anfangen. Also nehme ich sie mit und tue sie in die Gangkasse. Auf dem Rückweg zu unserem Treffpunkt gable ich noch L.A. auf. Er ist natürlich vollkommen high. Ich packe ihn bei der Schulter und zerre ihn ziemlich unsanft mit mir. Man, führe ich ein Scheißleben.

On the road- Kinder der StraßeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt