1. Verletzt

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Es war ein wundervoller Herbsttag in New Orleans. Die Blätter der Bäume in der Allee hatten sich schon stark orange verfärbt und doch schien die Sonne ihren Elan vom Sommer noch nicht verloren zu haben. Die Vögel sangen verträumt ihre Lieder und genossen die letzten noch etwas wärmeren Tage, bevor schließlich der Winter einkehren würde.

Auf den Straßen herrschte reger Betrieb, was nicht zuletzt an dem in regelmäßigen Abständen auftretenden Hupenkonzert erkennbar war.

Völlig in sich gekehrt beobachte eine junge Frau all diese Dinge, während sie mit einer wärmenden Tasse Tee vor ihrem Fenster stand. Ihre leicht zitternden Hände fest darum geklammert. Bei genauerem Hinsehen wurde einem klar, dass sie in keiner guten Stimmung war.

Ihr schulterlanges kastanienbraunes Haar war sehr zerzaust und deutete auf eine weitere schlaflose Nacht. Die sonst so schön aussehenden Locken hatten seit geraumer Zeit gänzlich ihren sonst so natürlichen Glanz verloren.

Seit Tagen war sie nicht aus dem Haus gegangen. Wozu auch? Erst vor einigen Wochen hatte sie ihren Job im Büro verloren und obwohl sie sich stets darum bemühte etwas Neues zu finden, gab man ihr einfach keine Chance. Sie konnte einfach nicht verstehen wieso. Sie hatte bisher nur eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch bekommen und obwohl sie der Ansicht war, dass der Chef dort ihr gar nicht abgeneigt gewesen war, hatte sie seitdem nichts mehr von der Firma gehört. Trotz der Versicherung, dass man sich auf jeden Fall bei ihr melden würde.

Es war doch wirklich zum Haare raufen. Ihr Leben ging momentan nur noch den Bach runter.

Als ob das mit der Arbeitslosigkeit nicht schon schlimm genug wäre, hatte sie kurz davor auch noch ihren Freund verloren. So sehr sie auch versuchte den Hass auf Sascha aufrechtzuerhalten, musste sie doch zähneknirschend zugeben, dass sie ihn unheimlich vermisste. Das war schließlich auch normal oder nicht? Immerhin waren sie fast zwei Jahre zusammen gewesen. Sie hatte von Anfang an ein komisches Gefühl in der Magengrube gehabt und doch hatte sie sich auf diesen Mann eingelassen. Er war einfach so unheimlich zuvorkommend, nett und scheinbar vernünftig gewesen. Noch nie hatte sie jemanden kennengelernt, der so anders war, aber in einem positiven Sinne. Sie hatten so viele Gemeinsamkeiten gehabt und wenn sie ehrlich zu sich war, hatte sie sehr gehofft, dass sie ihre Zukunft für immer mit Sascha verbringen würde und doch hatte er sie am Ende so dermaßen enttäuscht. Das typische Klischee... Nach all der schönen Zeit, hatte er sie betrogen und leider hatte sie ihn dabei auch noch erwischen müssen. Zum Glück aber nicht in ihrem, sondern in seinem Bett. Sie hatte ihm erst kurz vor diesem Vorfall vorgeschlagen gehabt, zusammenzuziehen, jedoch hatte er sie stets auf später vertröstet. Wenigstens wusste sie jetzt auch wieso.

Daria schüttelte angewidert den Kopf. Wenn sie an die Szene dachte, die sich leider unwiderruflich in ihrem Kopf festgebrannt hatte, wurde ihr fast schon wieder schlecht. Wie er sie angesehen hatte. Seine Augen waren so voller Reue gewesen und doch hatte er es getan. Sascha hatte sie angefleht ihm zu vergeben und ihr versichert, dass ihm diese fremde Frau in seinem Bett nichts bedeutete. Er hatte sie unentwegt versucht anzurufen und ihr unzählige Nachrichten geschickt, um sie zu bitten, ihm noch einmal zu verzeihen. Er hatte ihr so oft versichert, dass es ihm unglaublich leid tat und einmal hatte er ihr sogar eine Nachricht auf ihre Mailbox gesprochen, nachdem sie ihn ein weiteres Mal weggedrückt hatte, in der er den Tränen nah gewesen war. Das hatte Daria sofort gehört. Noch nie hatte sich seine Stimme so gebrochen und verletzt angehört.

Die junge Frau hatte es einfach nicht fassen können, dass er es tatsächlich wagte auf die Tränendrüse zu drücken. Wer war es denn, der ihre Beziehung aus freien Stücken beendet hatte? Sie oder Sascha? Er hatte von Anfang an gewusst, dass sie bei so etwas sehr empfindlich war, aber wer war das nicht? Sascha hatte gewusst, dass fremdgehen für sie eins der Dinge war, die eine Beziehung ohne Diskussion beendeten. Egal, wie viel Zeit man zuvor miteinander verbracht hatte. Dieses Risiko hatte er ohne nachzudenken auf sich genommen und das hatte er jetzt davon. Wieso hatte Daria aber das Gefühl, dass sie mehr litt als er?

Ironie des schicksalsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt