Kapitel 2

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Die Unterhaltung hatte eine außerordentlich interessante Richtung eingeschlagen.

Wenn er gewusst hätte, wie effektiv der Einsatz eines Hundes bei einer Therapie sein kann, wäre er schon viel früher auf die Idee gekommen, einen einzusetzen. Er hatte darüber gelesen, sich bisher aber immer auf seine eigenen Fähigkeiten verlassen.

Der Jack Russell Terrier war alles andere als ein Profi auf seinem Gebiet, vor allem unausgebildet, schien aber ein Naturtalent zu sein.

Er hatte aktive Eigenschaften, die sich in seinem Spieltrieb und seinem starken Aufforderungscharakter äußerten, aber auch reaktive Attribute, spiegelte Wills Befindlichkeiten, indem er Ruhe ausstrahlen konnte und so Blutdruck senkend und Stress abbauend wirkte.

Er dachte an all die Möglichkeiten, wie man den Hund noch nützlicher einsetzen könnte und beschloss sich später intensiver in das Thema einzulesen.

„Freud zufolge hat beinah jeder Traum eine sexuelle Komponente. Bäume werden zum Phallus, Kaninchen zum Symbol nach dem Bedürfnis sinnentleerter Penetration."

Hannibal lehnte sich in seinem Sessel zurück und überschlug die Beine.

„Die Deutung von Trauminhalten ist eine sehr komplexe Angelegenheit, die zuweilen groteske Züge annehmen kann."

Ein halbes Lächeln breitete sich auf Wills Gesicht aus. „Ich träume nicht von Bäumen oder Kaninchen, Dr. Lecter."

Der Terrier gähnte in seinem Schoß, leckte sich über die Nase und hechelte. Will kraulte ihn hinter den Ohren.

„Die Inhalte meiner Träume bedürfen keiner Interpretation, sie sind..." Er unterbrach sich, leckte sich über die Lippen. „...eindeutig."

Der Wein und die Sensibilität des Themas hinterließen einen dunkelroten Schimmer auf Wills Wangen, der ihm gut zu Gesicht stand. Scham war ein neuer Aspekt an ihm, den Hannibal noch nicht kannte.

„Wie lange ist es her, dass du mit einem anderen Menschen körperlich intim warst?"

Will verschluckte sich so sehr an seinem Wein, dass der Hund vor Schreck von seinem Schoß sprang. Er hustete und spuckte, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.

Hannibal betrachtete das einen Moment länger, bevor er in einer fließenden Bewegung aufstand, den kurzen Abstand zwischen ihnen überbrückte und Will aus seinem Sakko ein Taschentuch reichte.

Will blickte nicht auf, als er es entgegen nahm und sich das Hemd trocken tupfte. „Danke."

Ein schmales Lächeln breitete sich auf Hannibals Gesicht aus, während er Wills Schulter berührte. Kurz, warm, unaufdringlich, doch er konnte den Schauer spüren, den Ruck, der Wills Körper erschütterte.

Hannibal kehrte zu seinem Platz zurück und wartete.

„Vier Jahre", antwortete Will schließlich, aber dann seufzte er, schüttelte den Kopf. „Fünf."

Eine erstaunlich lange Zeit, aber bei weitem nicht die längste Abstinenz, von der er schon gehört hatte. Hannibal sagte gar nichts, er blickte Will nur an.

„Ich weiß, was Sie sagen wollen."


Innerlich schmunzelte Hannibal, während er äußerlich eine interessierte Fassade aufrechterhalten konnte.

„Aber es war noch nie so schlimm wie jetzt, so... plastisch."

Will schluckte und sah dem Hund hinterher, der mit der Schnauze auf dem Boden die Ecken seines Büros erkundete. Es war klar, dass Will die Sicherheit des Tieres vermisste, während Hannibal hoffte, dass der Hund sich nicht erleichtern wollte.

Dein bester FreundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt