Kapitel 3

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Es herrschte herrliches Wetter in Baltimore.

Zum ersten mal seit Wochen zeigte sich die Sonne an einem stahlblauen Himmel, keine Wolken weit und breit. Die warmen Strahlen lockten viele Menschen auf die Straßen, die das zaghafte Versprechen von Frühling mit dem ersten Eis des Jahres auskosteten.

Hannibal Lecter griff in seine Jackentasche, fand die kleine Rolle und trennte sich an der Perforierung eine Plastiktüte ab, die er mit einer Hand an seinem Bein aufschlug. Er sah nach links, nach rechts, nach unten und erblickte den Hund, der erwartungsvoll zu ihm aufsah.

Allem Anschein nach mit einem Lob rechnete.

„Fein gemacht", murmelte Hannibal durch seine Zähne, steckte die Hand in die Plastiktüte und sammelte die dampfenden Hinterlassenschaften des Tieres ein.

Er wurde das Gefühl nicht los, das die ganze Stadt ihn bei dieser Tätigkeit beobachtete.

Als Ex-Chirurg hat man keine Schwierigkeiten mit Körperausscheidungen jeglicher Art. Besonders nicht, wenn man eine so künstlerische, nebenberufliche Tätigkeit wie Hannibal ausführte.

Lehrjahre waren auch für angehende Ärzte keine Herrenjahre und er hatte in seiner Laufbahn schon so einiges gesehen und mitgemacht.

In jedem Fall handelte es sich dabei um Menschen. Darin lag eine gewisse berufliche, sowie persönliche Befriedigung.

Ganz anders sieht die Situation aus, wenn man einem Hund hinterher läuft, um dessen Exkremente einzusammeln. Die puren Ausmaße seines Geschäfts allein waren beeindruckend, wenn man bedachte, wie klein sein Körper eigentlich war.

Jedenfalls brauchte sich der Terrier vor größeren Vertretern seiner Artgenossen nicht verstecken, was das betraf.

Natürlich konnte er einem Tier keine böswilligen Absichten unterstellen, aber wenn er in die großen, schokoladenbraunen Augen sah, meinte er eine gewisse Häme entdecken zu können.

Ein Schatten legte sich über ihn und der Geruch eines charakteristischen Aftershaves stieg ihm in die Nase. Hannibal schloss die Augen und betete zu einem Gott, an den er nicht glaubte, dass er sich irrte.

„Dr. Lecter, was für eine Überraschung!"

Selbstverständlich irrte er sich nicht.

Hannibal hörte das Grinsen heraus, den belustigten Unterton. Wenn er jetzt sein Skalpell dabei hätte, könnte er für nichts garantieren, nicht mal am helllichten Tag auf offener Straße. Die Vorstellung, ihm die Mundwinkel bis zu den Ohren aufzuschneiden, um sein Lächeln zu verewigen, war beinahe zu verführerisch.

Ein Bild, das er sich einprägen würde. Vielleicht ergab sich eines Tages noch eine günstigere Gelegenheit.

„Frederick! Das gute Wetter hat Sie ebenfalls ins Freie gelockt."

Hannibal reichte ihm die Hand, die eben noch in der Plastiktüte gesteckt hatte. Dr. Chiltons Lächeln fror ein, er zögerte, ergriff die Hand aber trotzdem und schüttelte sie kurz, widerstand danach dem Drang, sich die Finger an der Hose abzuwischen.

Hannibal lächelte.

„Der Tag ist doch zu schön, um ihn im Haus zu verbringen. Ideal für einen Spaziergang", sagte Chilton und betrachtete den Terrier, der zu Hannibals Füßen saß.

„Ich habe schon davon gehört, dass Sie jetzt einen Hund besitzen, aber man kann es schwer glauben, bevor man es nicht mit eigenen Augen gesehen hat."

Die High Society von Baltimore war doch nur ein Dorf und auf Miss Woodbury war Verlass. Wahrscheinlich hatte sie sich damit gebrüstet, dass Hannibal Lecter den Hund ihrer Mutter adoptiert hatte. Das gab ein gutes Gesprächsthema auf jeder Cocktail-Party ab.

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